Donnerstag, 29. Januar 2009

Kapitel I: 2.09 Die EG-Klage


Bei den 1972 begonnenen Voruntersuchungen zur EG-Klage befanden sich die öffentlichen Konkurrenzbeobachter in derselben Situation wie die Wettbewerber der IBM, die zu klein und zu schwach waren, um gegen den Riesen wirklich etwas ausrichten zu können. Und darum ging es denn auch in diesem Verfahren: um die als überwältigend angenommenen Marktanteile der IBM und um den Schutz der kleinen Konkurrenten auf dem alten Kontinent, wo als Marktregulativ ein finanziell und technologisch ebenbürtiger Widersacher wie AT&T in den USA fehlte. So sollte IBM eben auf juristischem Weg kontrolliert werden.
Diese Philosophie hatte sich jedenfalls der Holländer Frans Andriessen´, verantwortlich für die Wettbewerbspoltik der EG-Kommission, auf seine Fahnen geschrieben. Er wollte mit diesem Prozess verhindern, dass "IBM ihre Marktanteile künstlich ausweitet." Dies erklärte er jedenfalls am 6. Februar 1982 in dem britischen Wirtschaftsmagazin "The Economist".
Immerhin trugen die Eurokraten im Laufe der Jahre soviel Stoff zusammen, um gegen den Computer-Koloss eine insgesamt tausend Seiten umfassende Klageschrift verfassen zu können. Sehr zum Ärgernis des IBM-Topmanagements wurde dem Giganten genau das vorgeworfen, was bereits in den USA Verfahrens-Gegenstand gewesen war: wettbewerbfeindliches Verhalten in den "relevanten Märkten", wo Big Blue eine "dominante Position" besitzt.
Das ist vornehmlich der Großrechner-Bereich, wo IBM den kompatiblen Anbietern wie Amdahl, National Advanced Systems, BASF, ICL und Siemens gegenüber steht, die sich dabei heute durchweg japanischer Computer-Technologie bedienen. Nur die Amdahl Corp. (Umsatz 1983: 777 Mio. Dollar) ist noch teilweise autark. Doch ihre selbstentwickelten Systeme werden breits zu 50 Prozent in Japan von ihrem wichtigsten Aktionär Fujitsu (49 Prozent) produziert.
Es ist eindeutig das Ziel der Japaner, neben IBM zur zweitgrößten Computermacht auf diesem Markt zu werden. Auch auf dem Gebiet der kompatiblen Speicherperipherie für Großrechner wagt sich die fernöstliche Supermacht immer weiter vor. Sie kann IBM nicht schlagen, die stets erfolgreich versucht, ganze Märkte an sich zu binden. Die Japaner können jedoch die Konkurrenz der IBM von sich abhängig machen. Und genau das ist die Strategie. Schon gibt es im Speichergeschäft nur noch drei wirklich relevante amerikanische Selbstversorger, die auf den Weltmärkten tätig sind: die Storage Technology Corporation, die Burroughs-Tochter Memorex und CDC. Selbst der deutsche Speichersoezialist BASF vertreibt mittlerweile Hitachi-Platten.
Doch das große Regiment führt nach wie vor der Altmultinationale IBM. Er hat das Zepter fest in seiner Hand. Er hat die Strategie der Japaner durchschaut und funkt nun dazwischen, indem er ebenfalls Kooperationsverträge mit Wettbewerbern wie zum Beispiel Siemens eingeht. (Siehe Kapitel: Die Zerreissprobe")
IBMs mächtigstes Herrschaftsinstrument in diesem Markt ist die Systemsoftware, die sowohl auf den eigenen Maschinen als auch auf denen der kompatiblen Wettbewerber läuft. Letzteres ist nur dann gewährleistet, wenn die Wettbewerber die in der Software vorgegebenen Schnittstellen in ihrer Hardware mitvollziehen. Doch das ist leichter gesagt als getan. Die IBM versucht dies mehr und mehr zu unterbinden - und nicht zuletzt deswegen hatte sie seit 1980 die EG-Klage am Hals. "IBM-Standards sind Weltstandards, nicht nur Firmenstandards", erklärte gegenüber dem Nachrichtenmagazin "Time" Bruno Lamborghini, Forschungschef bei Olivetti, dass die IBM-Standards längst der Allgemeinheit gehören. Doch der Marktführer möchte seine Standards schützen, zumindest dort, wo er die meisten Investitionen tätigt: bei der Software.
Das Zusammenspiel zwischen Hardware und System.Software kann man vergleichen mit zwei Zahnrädern, die sich gegenseitig bewegen. Das obere Rad ist die Systemsoftware, das Betriebssystem. Dies ist heute die treibende Kraft. Das untere Zahnrad ist die Hardware, ein Konglomerat aus Chips und Drähten, das die Anweisungen der Software verarbeitet. Die Räder drehen nur dann, wenn ihre "Zähne" genau aufeinander abgestimmt sind. Wird eines der Räder verändert, so muss das andere angepasst werden. Und genau das macht IBM. Sie modifiziert unentwegt ihr Räderwerk.
Sie verlagert zum Beispiel bestimmte Programmierbefehle, die bislang Teil des Betriebssystems waren, in die Hardware, in den sogenannten Microcode, einem Programm, das direkt mit der Hardware verbunden ist. Das Ergebnis ist, dass die Maschine diese Instruktionen viel schneller ausführen kann.
Als IBM 1978 erstmals 14 Befehle des Betriebssystems MVS (Multiple Virtual Storage) in den Microcode aufnahm, brachte das eine Leistungssteigerung von 14 Prozent.
Gegen solche Tuningmassnahmen kann eigentlich niemand etwas haben. Auch nicht die EG-Kommission. Was die Eurokraten indes gegen IBM aufbrachte, war die Art und Weise, wie Big Blue diese Änderungen im Markt plazierte. Sie kündigte bislang diese Modifikationen an, sagte aber erst viele Monate später, bei der Ausliefrung ihrers Betriebssystems, wie diese Änderungen aussahen. Erst dann, wenn die Softare auf den IBM-eigenen Maschinen bereits lief, wussten die Wettbewerber, wie sie ihren Computer zu ändern hatten, damit er ebenfalls das neue Betriebssystem fahren konnte. Sie liefen also ständig der Entwicklung hinterher.
Ziel der Weihnachten 1980 gegen IBM angestrengten EG-Klage war es nun, den Marktführer dazu zu zwingen, dass er bereits vier Wochen nach Ankündigung die Schnittstellen publiziert, damit die Wettbewerber sich rechtzeitig darauf einstellen können und nicht der technischen Entwicklung unentwegt hinterherrennen müssen. Doch der Marktführer wehrte sich mit aller Kraft gegen diese Forderung. So meinte IBM-Topmanager John R. Opel, dass IBM "nicht glaubt, irgendetwas Falsches getan zu haben" (Financial Times, 31.12.1983: "Beliefs are imperatives").Und sie widersetzte sich den EG-Ansprüchen. Mit guten Gründen.
"Ich bezweifle nicht, dass unsere Wettbewerber besser mit uns konkurrieren können, wenn wir ihnen die notwendigen Informationen geben. Wir können sie auch gleich finanzieren", komentierte voller "Sarkasmus" (Wall Street Journal) Nicholas Katzenbach, IBMs mächtigster Jurist, die EG-Forderungen. (Wall Street Journal, 13.6.84: "IBM says it would appeal negative ruling in EC Case") Schon längst gäbe IBM viele technische Informationen, hinter denen zumeist immense Forschungsaufwendungen stecken, vorzeitig und freiwillig an Kunden weiter, damit diese sich rechtzeitig darauf einstellen können. "Wir tun dies, weil wir das so wollen, nicht weil man uns dies befiehlt", meinte Katzenbach im Juni 1984, sechs Wochen vor der Beilegung des Verfahrens.
Im Gegenteil: Statt mehr und frühzeitig Informationen weiterzugeben, neigt IBM inzwischen näher dazu, überhaupt keine mehr zu veröffentlichen. Seit 1983 liefert der Computerrise den Quellcode von mittlerweile über 60 Softwareprodukten nicht mehr an seine Kunden aus.
Bei diesem Sourcecode handelt es sich um das Urprogramm, in dem alle "Zahnräder" der Software haarklein aufgeführt werden. Wenngleich die EG-Kommission gegen diese Praxis nichts einzuwenden hat (sie beobachtet es nur), verlangt sie von IBM, dass diese zumindest jene "Zahnräder" definiert, die direkt auf die Hardware wirken. Diese sind die sogenannten Schnittstellen. Eine Offenlegung der gsamten Software fordert sie nicht. Warum auch? Die steckerkompatiblen Hersteller interessiert das Innenleben dieser Sofware (noch) nicht, solange sie diese auf ihre Rechner laden oder damit ihre Peripheriegeräte steuern können.
Warum will IBM ihre Software so massiv schützen? Die Gründe für diese Aktion liegen in der Zukunft.
1. Die Kunden sollen nicht mehr dazu verführt werden, die Systemsoftware nach eigenem Gutdünken zu verändern. Dabei muss man wissen, das "Zahnräder" der Systemsoftware nicht nur das Zusammenspiel mit der Hardware regelen, sondern auch mit den übergelagerten Anwendungsprogrammen. Viele Anwender haben nun solche "Zahnräder", die in ihre Applikationsprogramme hineinwirken, verändert oder durch eigene ersetzt. Dies hat in den vergangenen zwanzig Jahren zu einem enormen Wildwuchs geführt, der letzten Endes die weltweite Kompatibilität der IBM-Software gefährdet und "Releasewechsel" erschwert. Zwar sind die so veränderten Systemprogramme nach wie vor kompatibel mit der Hardware, aber die Kunden müssen nun jedemals, wenn sie eine neue, erweiteret und verbesserte Version der IBM-Programme in den Computer laden, die Änderungen, die sie vorgenommen haben, wiederholen, damit ihre Anwendungen kompatibel bleiben. Dies ist mit soviel Aufwand verbunden, dass die Anwender erst gar nicht die neue Version einsetzen, sondern ihre DV-Organisation auf der alten Software einfrieren. Dadurch entsteht eine große Gefahr für IBM: sie verliert die Kontrolle über den Software.Markt, der wie kein anderer in den kommenden Jahren ihren Umsatz und ihren Gewinn bestimmen soll.
2. Genau diese enormen Wachstumschancen im Softwaregeschäft sehen auch die Japaner, die nicht nur mit IBM-kompatibler Hardware in den Markt drängen wollen, sondern künftig auch mit eigener Software, die verträglich ist mit den Anwendungsprogrammen der IBM-Anwender. Die Entwicklung von solcher Basis-Software wird wesentlich erleichtert, wenn man IBMs Programme als Vorbild nutzen kann. Und deswegen will der Marktführer seine Software massiv schützen.
Meinte IBM-Präsident John F. Akers wenige Wochen vor der Entscheidung des EG-Verfahrens in der "Computerworld": "Wir haben es niemals als notwendig angesehen, technische Informationen zum Wohle unserer Wettbewerber zur Verfügung zu stellen. Ich kenne keine andere Branche, in der so etwas üblich ist." Und der agile IBM-Manager kannte niemanden, "inklusive der EG-Kommission, der die Autorität besitzt", von einer Technologie-Firma zu verlangen, "die Früchte ihrer Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten wegzuschenken."
Doch seit dem 2. August 1984 gibt es nun diese Autorität. IBM verpflichtete sich vor der EG-Kommission, innerhalb von vier Monaten nach Ankündigung eines neuen Produktes die Schnittstellen zwischen Hard- und Software ihrer auf System /370-Architektur basierenden Produkte offenzulegen.

Bild oben: Vorabdruck des Buches als Serie 1984 in der Computer-Zeitung

Mittwoch, 28. Januar 2009

Kapitel I: 2.08 Die Klagemauer bricht zusammen

Dennoch: Auch die Guerilla-Taktik der Vertriebsbeauftragten konnte nicht darüber hinwegtäuschen, dass die US-Regierung über ein Jahrzehnt hinweg den Riesen in seinem gewaltigen Expansionsdrang eingedämmt und seine Aggressionslust weitgehend geebremst hatte.
Die Angst vor der Zerschlagung lähmte den Riesen zumindest bis 1979. Die Kartellwächter hatten ihm den Schneid abgekauft und somit - ohne Urteil - vieles von dem erreicht, was sie erreichen wollten: Sie hatten den wilden Riesen domestiziert.
Als Dompteur spielte sich in den siebziger Jahren aber nicht nur die US-Regierung auf, sondern auch eine kleine Schar von Wettbewerbern. Ermutigt durch die Regierungsinitiative und durch Anfangserfolge zogen immer mehr IBM-Kontrahenten gegen Big Blue vors Gericht und dabei meist den kürzeren. Insgesamt gewann IBM 16 Prozesse. Gleichwohl trug dies dazu bei, IBM in ihrem Expansionsdrang auszubremsen.
Im Herbst 1973 hatte die Telex Corporation, IBM-kompatibler Peripheriehersteller, gegen ihren übermächtigen Wettbewerber das erste Verfahren in erster Instanz gewonnen. IBM, der Verletzung des Wettbewerbsrechts vorgeworfen worden war, wurde zur Zahlung von 295,5 Millionen Dollar verurteilt. Das Vor-Urteil machte mutig. Innerhalb der nächsten 13 Monate strengte mehr als ein Dutzend anderer Wettbewerber ebenfalls ein Verfahren gegen den Marktführer an. Doch 1975 erlebten sie dann ihr blaues Wunder. Ein Bundesgericht in Denver verwarf das Telex-Urteil. Alsbald wurden weitere Verfahren abgeschmettert.
1977 gewann IBM ein gegen sie von California Computer Products Inc. (Calcomp) angestrengtes Verfahren, bei dem immerhon 309 Millionen Dollar Schadensersatz zur Diskussion standen.
1978 sah sich Memorex (gehört heute zu Burroughs) mit einer 908-Millionen-Dollar-Klage abgewiesen.
1979 musste auch die Transamerica Computer Co., heute Transamerica Equipment Leasing, eine Abfuhr hinnehmen. Sie hatte 261 Millionen Dollar Schadenersatz von IBM gefordert.
Doch das Verfahren wurde von Bundesrichter Robert H. Schnacke in San Francisco niedergeschlagen. Sein Kommentar: "Es wäre eine unkluge Gesetzespolitik, Wettbewerber zu verhätscheln, vor allem dann, wenn der Schutz nur dazu dienen soll, die Wettbewerbsanstrengungen eines größeren Unternehmens zu zerstören. Gerade jene Firmen, die beschlossen haben, einen beherrschten Markt zu betreten, müssen nach Lage der Dinge darauf vorbereitet sein, dem Wettbewerb zu begegnen." Zu den von Transamerica erhobenen Vorwürfen, meinte der Richter: "Selbst wenn man annimmt, dass IBM eine Monopolstellung in den relevanten Märkten besitzt, bedeuten ihre Mietstrategien, Designänderungen und Preispolitik noch keine unerlaubten Restriktionen für den Wettbewerber."
Auch Frank T. Cary, IBMs Chairman zu jener Zeit, blies voll Zorn ins selbe Horn. "Dies ist eine innovative und hochgradig wettbewerbsorientierte Branche. Wer etwas anderes annimmt, sieht der Wirklichkeit nicht ins Auge." Doch das alles wollte Transamerica nicht einsehen. Die Gesellschaft zog vor den Obersten Gerichtshof, um sich dort Gehör zu verschaffen. Aber auch hier wurde die Klage im Oktober 1983 ohne Kommentar abgewiesen.
Die einzige Firma, die jemals im großen Stil gegen IBM vor Gericht gezogen war, ist die Control Data Corporation (CDC). Nach fünf Jahren Vorbereitung verdonnerte sie im Januar 1973 den Computerriesen in einem spektakulären Vergleich zur Zahlung von 250 Millionen Dollar. Außerdem verpflichtete sich IBM, sich in den USA aus dem Geschäft mit den Service-Rechenzentren zurück zu ziehen. Dauer des Stillhalteabkommens: zehn Jahre. CDC hatte in mühsamer Kleinarbeit eine Fülle von belastendem Material gegen IBM zusammengetragen, das im Januar 1973 in einer Nacht-Und-Nebel-Aktion von den beiden Prozessgegnern gemeinschaftlich vernichtet wurde. Während IBM sonst immer in aller Breite in ihren Geschäftsberichten auf die diversen Antitrust-Klagen einging, hatte sie in ihrem "Annual Report '73" nur ein paar dürre Worte für diesen Vergleidch übrig.
Obwohl die anderen Wettbewerber niemals diesen Erfolg wiederholen konnten, gaben sie nicht auf. Sie wechselten nur den Schauplatz: von den USA nach Europa. Hier unterstützten drei US-Wettbewerber, die IBM-kompatoblen Anbieter Amdahl, Itel und Memorex die EG-Kommission rat- und tatkräftig bei der Vorbereitung einer Verwaltungsklage gegen den Riesen wegen Mißbrauch von Marktmacht, die 1980 erhoben worden war und nach zähen Verhandlungen am 2. August 1984 mit einem Kompromiss endete. Die EG-Kommission muss sich dabei vorwerfen lassen, sich zum Spielball amerikanischer Werrbewerber gemacht zu haben.
Genua dieses Engagement außereuropäischer Anbieter erbbiterte IBM. Meinte John F. Akers, seit Februar 1983 Präsident des Multis, kurz vor der Beilegung des Verfahrens: "Es ist wichtig, sich vor Augen zu führen, dass nicht ein einziger Benutzer in der Europäischen Gemeinschaft geklagt hat, nicht ein einziger Wettbewerber in der EG hat geklagt." Es waren durchweg amerikanische Firmen, die - wie Memorex - bereits gegen IBM vor Gericht verloren hatten.
Doch auf fremde Hilfe waren die EG-Kläger angewiesen. 1972 hatten die europäischen Kartellwächter damit begonnen, gegen IBM belastendes Material zu sammeln. Kunden und Wettbewerber des Masrktführers wurden angeschrieben. DIe IBM selbst wurde um die Herausgabe diverser Akten gebeten. Trotzdem sahen sich die Antitrust-Schnüffler lange Zeit auf verlorenem Posten. Meinte damals ein Gemeinschaftsdiener gegenüber dem deutschen Geschäftsführer einer kleinen Anti-IBM-Firma, von der er Stoff für seine Prozess-Träume erhoffte: "Wass sollen unsere drei Mann schon gegen die drei Großbuchstaben ausrichten?"


Montag, 19. Januar 2009

Kapitel I: 2.07 Geheimdienst am Kunden

Ein wesentlicher Grund für den überragenden Erfolg dieses Unternehmens ist aber auch seine multinationale Verfassung, der alle 369.000 Mitarbeiter (Stand: 31.12.1983) weltweit unterworfen sind.
Sorgsam wachen die Manager des Goliaths darüber, dass keiner Mitarbeiter offiziell gegen die Geschäftsgrundsätze verstößt. In diesem hehren Codex sind unter anderem alle nach wie vor gültigen Bestimmungen aus dem Antitrustvergleich von 1956 eingearbeitet, den der Computergiganz damals mit der US-Regierung abgeschlossen hatte. An diesem Vergleich hatte übrigens auch Bundesrichter David N. Edelstein mitgewirkt, der in diesem vier Jahre währenden Verfahren ebenso den Vorsitz führte wie in dem 1982 abgeschlossenen Prozess.
IBM wirbt mit ihren Grundsätzen, wann immer sich eine Gelegenheit bietet. Sie möchte damit ihren hohen moralischen Anspruch dokumentieren. Und bei aller Kritik an der praktischen Umsetzung dieser Grundsätze muss man ihr zugestehen, dass sie sich wie kein anderer Multi bemüht, ihre supranationale Verfassung einzuhalten und gegenüber den Mitbewerbern durchzusetzen. Die IBM-Bediensteten in aller Welt sind ihr bedingungslos unterworfen.
So scheut sich der Geschäftsmoralapostel nicht, bei Verstößen gegen die heiligen Gebote spektakuläre Exempel gegen die eigenen Angestellten zu statuieren. Dies zeigt jedenfalls die Degradierung von Cornelius Schulz-Wolfgram, bis 1981 brillanter Vertriebsleiter der IBM Deutschland, der damals bei strikt verbotenen „Kompensationsgeschäften“ ertappt worden sein soll, mit denen er eine Amdahl-Offerte bei Unilever in Hamburg parieren wollte.
Diese Todsünde wider den guten Geschäftsgeist der IBM musste geahndet werden. Es war eine harte Entscheidung, nicht nur gegen „Schuwo“ oder „CSW“, wie der smarte Vertriebschef von seiner Verkaufsmannschaft kurz genannt wurde, sondern auch für die IBM Deutschland, die vom European Headquarter in Paris gedrängt worden war, den allzu offensiven Starverkäufer zu maßregeln.
In dem Schicksal von CSW spiegelt sich der moralische Zwiespalt wider, in den jeder Vertriebsmann der IBM unweigerlich geraten muss. Berichtet ein deutscher Ex-IBMer über seine täglichen Verkaufserfahrungen. „Als Vertriebsbeauftragter lebte man täglich in einem unerträglichen Zielkonflikt. Einerseits ist laut Geschäftsgrundsätze alles verboten, was man wirklich effektvoll im Kampf gegen Wettbewerber einsetzen kann. Andererseits ist der Erfolgsdruck so hoch, das man gar nicht anders kann, als zum Beispiel Konkurrenten zu diskriminieren oder einmal eine Vorankündigung zu wagen.“
Kurt Lingg, Vizedirektor des Schweizer Softwarehauses Systor AG, war in den siebziger Jahren Systems Engineer bei der IBM. Er erinnert sich: „In den Meetings passierte es regelmäßig, dass die Vertriebsbeauftragten eine leidenschaftliche Diskussion über die Antitrustbestimmungen anfingen. Die VBs wollten einfach nicht einsehen, dass ihnen in Gesprächen mit Kunden bestimmte Argumentationsweisen, die den Wettbewerbern erlaubt waren, verwehrt blieben.“
Als besonders unverständlich erschien es den Vertriebsbeauftragten, dass ein Fehlverhalten in der Schweiz Gegenstand der Antitrust-Klage in den USA werden konnte. Lingg: „Bei aller Identifikation mit der IBM - irgendwo sahen wir uns als Schweizer in unserer nationalen Souveränität betroffen.“
IBMs Geschäft blühte derweil im Verborgenen. Hin und her gerissen zwischen den persönlichen Zielen, dem Wohl der Firma sowie der Kunden und den hohen moralischen Ansprüchen der supranationalen Verfassung, machte sich selbst im Topmanagement eine ungesunde Doppelmoral breit, die fatale Folgen haben konnte.
So hatte 1978 im Vorlauf der weltweiten Ankündigung des für Verteilte Datenverarbeitung ausgelegten Computersystems IBM 8100 ein hoher Manager des Multis im Fight gegen einen Wettbewerber bei einem süddeutschen Großunternehmen sich nicht mehr anders zu helfen gewusst als den Rechner in allen damals verfügbaren Details vorab anzukündigen (Preannouncement). Der im Umgang mit dem Marktführer erfahren EDV-Chef trieb nun seinen Schabernack mit dem Starverkäufer. Er schrieb ihm einen Brief, in dem er nicht minder ausführlich die geheimen Inhalte des Vor-Verkaufsgesprächs resümierte. Das Ergebnis: Der IBMer jettete prompt zum Kunden, rückte den Brief , auf dem der Eingangsstempel fehlte, und bat den Anwender flehentlich, das Schreiben als nicht geschrieben betrachten zu dürfen. Der EDV-Chef lachte wohlwollend, nahm seinen Brief zurück – und gab dem Wettbewerber den Auftrag.
Doch in der Regel funktioniert der Geheimdienst am Kunden bestens. Noch so vage Andeutungen der Vertriebsbeauftragten über künftige Produkte verunsichern die Anwender zumeist so sehr, dass sie selbst nicht mehr fremdzugehen wagen – oder nur mit sehr starken Gewissensbissen. „Noch nie hat jemand einen Job verloren. Weil er sich für IBM entschieden hat“, meint Barry Smith, Marketing-Manager bei Apple-Computers, IBMs größtem Herausforderer im Markt der Personal Computer.
Stöhnte 1980 Michael E. Zioutas, damals Vertriebsleiter des IBM-Wettbewerbers Amdahl: „Ich habe alle Argumente auf meiner Seite. Im Gespräch mit den Kunden gelingt es mir stets, alle rationalen Bedenken aus dem Weg zu räumen – nur nicht die irrationalen.“ Und Jürgen P. Schoon, für den DB/DC-Bereich der ADV/ORGA F.A. Meyer AG verantwortlicher Manager, dessen Mannschaft in Deutschland gegen IBMs IMS-Datenbanksystem das von dem amerikanischen Softwarehaus Cullinet entwickelte IDMS rund 100mal installierte: „Es gibt keine sachlich begründeten Vorbehalte gegenüber unserem Produkt. Ich höre immer nur strategische Drohungen, an denen zumeist nichts dran ist, die aber dann so wirkungsvoll unters Volk gebracht werden, dass sich unsere EDV-Chefs sogar gegen den Rat ihrer eigenen Experten für IMS entscheiden.“
Mit dem Kürzel FUD (Fear , Uncertainty und Doubt) – so berichtet Gene Amdahl, der prominenteste aller Ex-IBMer – hatte der Gigant intern selbst diese Strategie der permanenten Verunsicherung der Kunden gekennzeichnet.
„Hochnasenstrategie“ nennt dies Nixdorf-Manager Gerd Wagner. Der Ex-IBMer ist Gründer und Chef der rund 450 Mann starken Nixdorf-Division Compatible Informations Systeme (CIS) in München, die nach zweijähriger intensiver Vorbereitung 1980 in das Geschäft mit hochkompatoblen DOS-Maschinen eingetreten war und bis April 1980 über 400 System vom Typ 8890 verkauft hat. „Mit der Floskel ‚Ob-Die-Das-Wohl-Können’ haben die IBMer immer wieder versucht, Zweifel bei den Anwendern zu säen.“

Samstag, 17. Januar 2009

Kapitel I: 2.06 Der Glaube ist Befehl

In 130 Ländern tätig, macht die IBM mittlerweile mehr als die Hälfte ihres Umsatzes von 40,2 Milliarden Dollar (1983) außerhalb der USA. Wie keinem anderen Unternehmen ist es ihr gelungen, Mitarbeiter unterschiedlichster Mentalität, Nationalität, Geschichte und Kultur unter einem einzigen Dach zu vereinigen. „IBM war cleverer als die vielen anderen amerikanischen Multis. Sie schuf sich ihre eigene Kultur, die so mächtig ist, dass sie alle Unterschiede zwischen Amerikanern und Europäern überspielt“, vergleicht der britische Computerexperte David Butler den EDV-Riesen mit dem Römischen Reich, das einst mit dem Status Civis Romanus seinen Bürgern und somit seinem Imperium Supranationalität verlieh. „Die Leute glauben, unsere wahre Stärke läge im Marketing. Doch das ist nicht unser Geheimnis. Unsere wahre Stärke ist die Organisation“, würdigt ein alt gedienter Mitarbeiter die Meriten seines Arbeitgebers.
Im Herbst 1982 befragte das amerikanische Wirtschaftsmagazin Fortune 6000 Manager der Neuen Welt. Das Ergebnis: Neben Hewlett-Packard votierten die Führungskräfte am häufigsten für IBM. Und ein Jahr später, 1983, stand der Koloss allein an der Top-Position.
„Die Überzeugung, dass Umsatz- und Gewinnwachstum wesentlicher Bestandteil einer göttlich verklärten Mission sein soll, ist uns Europäern nur sehr schwer zu verkaufen. Wir haben zu viele Helden wie den Hunnen Attila gesehen. Wir haben des Dritte Reich erlebt. Wir glauben nicht mehr an Missionen. Die Europäer reagieren auf so etwas mit Skepsis“, stellt Butler die überwältigende Anziehungskraft der IBM heraus, die es grandios verstand, dieses geschichtlich gewachsene Misstrauen zu überwinden.
Dieser Firma gelang es, aus einer Geschäftsphilosophie so etwas wie eine Religion zu entwickeln, die dereins von Firmengründer Thomas J. Watson gepredigt wurde. Selbst der Intellektuelle John R. Opel, IBMs heutiger Topmanager, meint: „Ich habe die absolute Überzeugung, dass unser Glaubensbekenntnis, unsere Verpflichtung gegenüber unserem Glaubensbekenntnis, unsere Ethik einen Imperativ darstellt. Man kann alles ändern, nur das nicht.“[1]
Und der deutsche Technologieexperte Dr. Karl Schlagenhauf, Geschäftsführer des Instituts für Angewandte Organisationsforschung in Karlsruhe, vergleicht den Koloss mit der katholischen Kirche. „IBM ist multinational und hierarchisch organisiert. Sie hat sich eine eigene Sprache gegeben, eigene Lebensregeln, eine eigene Uniform, und sie hat die Ohrenbeichte eingeführt.
In der Tat hat kaum ein anderes Unternehmen ein derart inniges Verhältnis zu seinen Kunden wie Mother Blue, wie die Amerikaner den Marktführer wegen seiner jahrzehntelang gepflegten Vorliebe für diese uniforme Farbe – vom Computer bis zum Anzug der Vertriebsbeauftragten – nennen. (Heute wird IBM aber auch gerne als der „Graue Riese“ apostrophiert, nachdem das Firmenlogo in dieser Farbe gestrichen wurde. Hellgrau sind auch viele Rechner und dunkelgrau die Anzüge.)
Viele Kunden verstehen sich als wahre Gläubige, die mit „big blue eyes“ der IBM überallhin folgen, wohin diese sie führt. Sie beichten jeden Schritt, den sie vom Pfad der Tugend (z.B. durch Bestellungen beim Mitbewerber) abgewichen sind, und hoffen auf Absolution. Sie brauchen die Gnade von Mother Blue wie das tägliche Brot.
Diese Ausstrahlung auf ihre Kunden bezieht IBM aus ihrer unerschöpflichen Kraft, Mitarbeiter zu fesseln und für eine große Sache zu gewinnen.
Wenngleich heute mitunter die Faszination der sechziger Jahre vor allem unter den Vertriebsbeauftragten ein wenig abgeklungen ist, so funktioniert die Identifikation der Mitarbeiter mit diesem hochkapitalistischen Unternehmen nach wie vor selbst dort, wo man es in anderen Firmen am wenigsten erwartet: bei den gewerblichen Mitarbeitern.
„Wenn Sie daran zwqeifeln, dass es der IBM nicht gelungen sei, europäische Manager und Arbeiter unter ihrer transnationalen Kultur zu vereinen, so mag Sie vielleicht folgendes Faktum überzeugen. In Greenock, Großbritannien, hat es in der dortigen IBM-Fabrik noch niemals einen Streik gegeben. Dabei handelt es sich hier um eines der schwierigsten Notstandsgebiete der Insel“, erläutert der Brite Butler.
Greenock gewann sogar 1982 die IBM-interne Ausschreibung für die Produktion des Personal Computers (PC) in Europa, der im Januar 1983 auf dem Alten kontinent angekündigt worden war. Es ist eines der wichtigsten Produkte, das mit dazu beitragen soll, dass IBM in dieser Dekade die Umsatzgrenze von 100 Milliarden Dollar überschreiten wird. „Wir werden in den achtziger Jahren durchschnittlich um 20 Prozent wachsen“, prophezeite John Opel, Chief Executive Officer der IBM, anlässlich der Ankündigung des Personal Computers in den USA im August 1981.
In der verbleibenden Zeit dieses Jahrtausends hat IBMs Run auf die Supermärkte der nahen Zukunft begonnen. Sie geht dabei bestens gerüstet in die Schlacht.

[1] Financial Times, December 31, 1983: „Beliefs are imperatives“


Freitag, 16. Januar 2009

Kapitel I: 2.05 Die Klagemauer bröckelt

Vor Gericht konnte IBM der Aufmarsch der Hardware-Konkurrenten Mitte der siebziger Jahre nur recht sein. Mit den sinkenden Marktanteilen bröckelte die Klagemauer. Und das Gericht musste sich fragen, was geschähe, wenn IBM nun tatsächlich in Einzelgesellschaften aufgespaltet werden würde? Hatten dann dieser neuen Wettbewerber überhaupt noch eine Chance? Welche Rücksicht würden die „kleinen IBMs“ dann noch auf ihre gemeinsame Vergangenheit nehmen?
Auf dem Höhepunkt des Gerichtsverfahrens warnte 1978 der Branchenbeobachter Gideon Gartner, Gründer der amerikanischen Technologieberatung Gartner Group, vor diesen Folgen. Er behauptete damals, dass eine mögliche Zerschlagung eine große Gefahr für die alten und neuen Konkurrenten bedeutet: „Man könnte glauben, dass eine Neustrukturierung für IBM eine Katastrophe wäre. Ich meine – wie übrigens viele andere auch - , dass das Gegnteil der Fall wäre. Die Wiederbelebung der Marketing-Kräfte würde es IBM ermöglichen, noch größere Marktanteile zu gewinnen.“
Bestätigt Meyer: „IBMs Teile wüchsen schneller als ihre Summe. Eine in viele Einzelgesellschaften zersplitterte IBM hätte es zum Beispiel viell leichter, mit Softwarehäusern zusammenzuarbeiten. Bei heute hat sich der Marktführer noch nicht endgültig entschieden, ob er uns nun eigentlich aks Umsatzbringer ider als Konkurrenten verstehen soll. Hier steckt er nach wie vor in einem argumentativen Patt.“
In der Tat – die Zerschlagung hätte aus einem Monopol, das ständig zwischen widerstreitenden Interessen abwägen und wählen müsste, ein übermächtiges Oligopol entstehen lassen, das sich mit aller Konsequenz der Marktkräfte so bedienen würde, wie es gerade opportun erschien, und alles, was nicht irgendwann einmal IBM geheißen hatte, wäre zum Schattendasein verurteilt.
Der Gigant musste deshalb vor Gericht glaubwürdig machen, dass nur und nur die gute, alte, heile IBM-Welt den Wettbewerb retten kann und – wie die Beispiele von A wie Apple bis Z wie Zilog zeigen – neue Konkurrenten entstehen lässt. Die Lage war fast schon paradox. Um IBM als Ganzes zu bewahren, musste sie dem Gericht unterschwellig zu verstehen geben, dass die von der Regierung angestrebte Zerschlagung verheerende Folgen für die Wettbewerber haben könnte, also das Gegenteil von dem einträfe, was die Kartellwächter bewirken wollten. „Sie versuchte, die Argumente des Gegeners a absurdum zu führen“, meint ADV/ORGA-Chef Meyer.
Vor allem bei den Prozessgegnern musste der Angeklagte den Eindruck erwecken, dass ihn seine jetzige Daseinsform beim Vormarsch in neue Märkte mehr behindert, als wenn er – in viele Einzelgesellschaften getrennt - zuschlagen würde. Zudem war die große Frage, inwiefern die aus dem Antitrust-Vergleich von 1956 gültigen Bestimmungen auch noch nach der Zellteilung Gültigkeit hätten. War damit nicht auch das Unbundling hinfällig? Waren sie die Rechtsnachfolger ihrer gemeinsamen Vergangenheit oder nicht? Branchenanalytiker Robert Malik: „Die neuen IBMs könnten sich völlig ungehemmt am Markt bewegen, ohne große Rücksicht auf frühere Antitrust-Entscheidungen zu nehmen.“So jedoch blieb der Riese Gefangenen seiner eigenen Vergangenheit, die er nur langsam überwinden konnte und die sich in seinen Geschäftsgrundsätzen manifestiert. Und waren diese Fesseln nicht stark genug? War nicht die Eigenkontrolle, die Selbst-Beherrschung besser als das freie, ungehemmte Spiel vieler IBM-Marktkräfte?


Dienstag, 6. Januar 2009

Kapitel I: 2.04 Handel und Wandel durch Unbundle

Das Unbundling belebte den Markt ungemein. Bald überstieg die Nachfrage nach Software die Kapazität der Programmierproduzenten, sprach man von der Software-Krise. Je mehr Anwendungen auf die Rechner geladen wurden, desto stärker wuchs auch die Nachfrage nach IBM-Hardware, ebenso nach besserer Systemsoftware. So erfuhr der Marktführer eine Belebung seines Geschäftes durch Dritte, sah aber auch, dass der von ihm nach wie vor geprägte Markt schneller wuchs als sein Umsatz, er an Marktanteilen verlor. Die Situation war geradezu paradox: Je größer die von den Produktstandards des Marktführers geprägte IBM-Welt wurde, desto kleiner wurden seine Marktanteile.
Das lag im Wesentlichen daran, dass sich die Aufspaltung des IBM-Marktes in Hardware und Software keineswegs so schnell entwickeln konnte, wie der Marktführer dies gerne gehabt hätte. Es war ein mühsamer, allmählicher Prozess. Und je langsamer IBM entbündelte, desto mutiger wurden jene Wettbewerber, die mit IBM-kompatiblen Produkten in den Markt einstiegen. Neue Hersteller traten auf den Plan, die sich der von IBM gesetzten Standards bedienten und mit preisgünstigen Alternativen den Marktführer permanent unterboten.
„IBM ist kein Wettbewerber, sondern der Markt“, charakterisiert Udo Siebert, Stuttgarter Vertriebsbeauftragter des Speicherspezialisten Memorex, die Lage. Durch das Unbundling befand sich IBM außerdem in einer weiteren gewaltigen Zwickmühle: Sie konnte nicht plötzlich Geld für Software-Produkte verlangen, die bislang kostenlos waren. Sie galten als „public domain“, waren allgemein verfügbar. Sie waren keine kostenpflichtigen Lizenzprogramme. Gleichzeitig waren sämtliche Anwendungsprogramme der Kunden auf diese Software abgestimmt. Sie bildeten die eigentliche Machtbasis der IBM.
Geld aber konnte der Marktherrscher nur für neue Software verlangen. Doch hier war sein Angebot lange Zeit noch klein. Erst 1976 wurde das Release 34 des für mittelgroße Mainframes konzipierten IBM-Betriebssystem DOS (Disc Operating System) als modulares Lizenzprogramm angekündigt. Das hatte zur Folge, dass IBM ihre gigantischen Investitionen in Systemsoftware nach wie vor durch überteuerte Hardware hereinholen musste. So bildeten ihre Produkte einen Preisschirm, unter dem es sich immer mehr Wettbewerber bequem machen konnten. Denn sie selbst hatten keine großartigen Softwareinvestitionen zu tätigen.
Ja, in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre hatten die kompatiblen Konkurrent wie Amdahl und Itel sogra das große Sagen in der Branche, hörten die Kunden mitunter mehr auf deutlichen Worte der Wettbewerber als auf die vagen Äußerungen der IBM-Vertriebsbeauftragten (VBs), galt es unter den Anwendern als chic, statt der teuren IBM-Produkte die kompatiblen Geräte der Konkurrenz zu installieren. Und billiger als der Marktführer zu sein, war damals kein großes Problem.
Es hat etwa zehn Jahre gedauert, bis IBM ihre wichtigsten Softwareprodukte so erneuert hatte, dass sie dafür Lizenzgebühren im beträchtlichen Umfang einnehmen konnte. 90 Prozent aller kommerziell eingesetzten Mainframes fahren heute IBMs kostenpflichtige Systemsoftware. Heute ist der Marktführer der größte Programmproduzent der Welt. Er verkaufte allein 1983 Computercode für rund 2,3 Milliarden Dollar, davon kam das meiste über Lizenzen für Systemsoftware herein. Ende dieses Jahrzehnts werden die Software-Einnahmen zehn Milliarden Dollar erreichen. Das bedeutet: IBM kontrolliert den Markt mit Hilfe von Software viel stärker als in den sechziger Jahren mittels Hardware. Kaum war das Unbundling vollzogen, begann der Preissturz bei der Hardware, was schließlich zu großen Problemen bei den Wettbewerbern führte. Sie hatten sich zu sicher gefühlt unter dem Preisschirm. Sie hatten es durchweg versäumt, sich auf die Zeit nach dem endgültig entfalteten Unbundling vorzubereiten. Zwar bieten die japanischen Konkurrenten Fujitsu und Hitachi eigene IBM-kompatible Betriebssoftware an, doch außerhalb des fernen Inselstaates werden diese Systemprogramme so gut wie gar nicht gefahren.



Montag, 5. Januar 2009

Kapitel I: 2.03 Die Spaltung der IBM-Welt

Cover: Vorabdruck von "Das blaue Wunder" im Computermagazin, 1983, Titelheld ist IBM-Chef John R. Opel



Trotz ihres ungebrochenen Willens zur Macht war IBMs Marktverhalten in den verfahrenen Antitrustjahren geprägt von einer gewaltigen Irritation. Sie fühlte sich in ihrer Bewegungsfreiheit mächtig eingeengt, sie arbeitete mit verdeckten Strategien, die jene Aggressivität vermissen ließ, die man sonst von dem Giganten gewohnt war. Diese konnte man allenfalls vor Gericht spüren, dem nun mal wichtigsten Kampfplatz jener Zeit. Am Markt verhielt sich IBM eher schwerfällig und betrat anfangs nur zögernd neue Arenen, neue Märkte. Zu sehr damit beschäftigt, ihre Position, ihren Glauben an das Gute in sich selbst zu verteidigen, hatte die „Company“ (IBM-Jargon) den Markt als ihren angestammten Kampfplatz vernachlässigt. Mit gutem Grund: Dort ging es um (Markt-)Anteile, vor Gericht jedoch um das Ganze, um die Erhaltung der Macht in einer Hand.
Aber ein Teufelskreis tat sich auf: Je mehr sich das IBM-Management um den Prozess kümmerte, desto kleiner wurden die Marktanteile. Je mehr die Marktanteile schrumpften (von 70 Prozent in 1969 auf 62 Prozent in 1981) , desto unsinniger wurde der Prozess. Je mehr das Verfahren an Sinn verlor, desto größer wurde die Beweisnot der Anklage. Und je undurchsichtiger der Fall wurde, desto mehr Zeit musste das IBM-Management in die Klarstellung seiner Position vor Gericht aufbringen.
„IBM befand sich in einer permanenten Pattsituation“, analysiert Friedrich A. Meyer, Präsident des Bundes Deutscher Unternehmensberater und Vorstandsvorsitzender des Wilhelmshavener Softwarehauses ADV/Orga F.A. Meyer AG, die Antitrustjahre.
IBM versuchte, sich selbst aus dieser unheilvollen Pattsituation zu befreien, und zwar durch eine Entscheidung, die zunächst einmal durch den Pr0zess selbst veranlasst wurde.
Mit der Klage vom 17. Januar 1969 warf das Justizministerium IBM unter anderem die von ihr erfolgreich betriebene Politik des „Bundlings“ vor, Hardware und Software der legendären /360-Computer waren bislang in der Preisliste nicht getrennt ausgewiesen worden. Wer einen Rechner bei IBM erwarb, erhielt „ohne gesonderte Berechnung“ die Software als Bündel gleich mit dazu. Dadurch blockierte IBM nicht nur Wettbewerber, sondern sie verhinderte damit auch, dass neue Konkurrenten, neue Märkte – wie zum Beispiel die Software-Industrie - entstanden. Es gab damals so gut wie kein externes Schulungsangebot. Die meisten EDV-Veteranen von heute drückten zu jener Zeit auf Kosten ihres Lieferanten die Schulbank bei IBM.
Kaum ein halbes Jahr nach der Klageerhebung, am 23. Juni 1969, verkündete der Riese, dass er diese Politik verlassen werde. Von jetzt an würden die Preise für Hard- und Software getrennt ausgewiesen. Dies war der Startschuss für die Gründung von tausenden von Softwarehäusern in aller Welt, die jetzt bei den IBM-Anwendern das große Geld witterten. Schulungsunternehmen wie die amerikanischen Multimedia-Spezialisten Deltak Systemes Inc. und Advanced Systems International entstanden.
Es war eine harte Entscheidung für den Marktherrscher. Selbst heute trauern alt gediente IBMer den /360er Jahren nach, in denen die Computerwelt noch nicht in Hardware und Software zerrissen war. Denn der Kunde, dem bis dahin quasi kostenlos Softwareprodukte (Betriebssysteme, Dienstprogramme und Anwendungssoftware) zur Verfügung gestellt wurden, erhielt gleichzeitig und ebenfalls „ohne gesonderte Berechnung Manpower-Unterstützung von IBM durch die Systemingenieure (SEs = Systems Engineers). Viele von diesen Softwarespezialisten machten sich zu Beginn der siebziger Jahre selbständig und gründeten ihre eigene Firma.
„In gewisser Weise fand damit so etwas wie eine Zerschlagung der IBM statt“, erinnert sich der Ex-IBMer Klaus Sabirowsky, der damals in Essen das Softwarehaus OSP AG (heute OSP Metra Gesellschaft für Softwaresysteme mbH) mitgründete: Von nun an wie die IBM-Verkaufswelt getrennt in Hardware, Software und Services. Und auf allen drei Gebieten machte sich alsbald immer mehr Wettbewerber breit.
Langfristig sollte diese „Zerschlagung“ aber durchaus keine nachhaltigen Folgen für den Marktführer haben. Meint Erwin Huber, Geschäftsführer von Deltak Systems Inc. in Bad Homburg: „Die Softwarehäuser verbreiterten jetzt mit ihrem Engagement die Anwendungsbasis der IBM-Rechner erheblich.“ Ihr Markt waren vornehmlich Applikationsprogramme. Nur sehr wenige wagten sich an Softwareprodukte wie IBM-kompatible Betriebssysteme, Datenbanken oder Programme zur Steuerung der Datenkommunikation (in den USA: Cincom, Cullinet; in GB: Altergo; in BRD: Software AG). Hier dominierte nach wie vor IBM, für die diese Systemsoftware strategisch viel zu wichtig war, um sie Dritten zu überlassen. Denn damit entschied sich ihr Markt, damit beherrschte sie ihn.
Applikationsprogramme hatte sie indes schon immer von Fremden (meistens von Anwendern) aufgekauft und ihren Kunden gleichsam kostenlos zur Verfügung gestellt. Jetzt konnten die Softwarehäuser direkt an die Kunden herantreten. Programme und andere Dienstleistungen verkaufen.

Sonntag, 4. Januar 2009

Kapitel I: 2.02 Die doppelte Herausforderung

Cover: Fortune, 22. März 1982



Die damals 353.00 Mitarbeiter des Computerriesen (Weltumsatz 1981: 29 Milliarden Dollar) in 130 Ländern seufzten erleichtert auf. Die drohende Zerschlagung des Multis in viele Einzelgesellschaften fand nicht statt. Jetzt war die Zeit des ewigen Wartens auf den Richterspruch endgültig vorbei.
IBM hatte allerdings bereits 1979 mit den ersten kräftigen Lockerungsübungen begonnen und sich so verhaltren, als ob es das Verfahren gar nicht mehr gäbe. Sie schien sich ihres Sieges sicher. Dass dies nicht voreilig war, bestätigte zwei Jahre später der von Präsident Ronald Reagan inthronisierte Chefankläger Baxter. Er deutete 1981 an, dass er das Verfahren einstellen werde. Es sei „ohne Verdienste“. Schlimmer noch: Baxter, ein Meister der Rhetorik, der seine Vorgänger im Amt des Kartellwächters nicht direkt kritisieren wollte, gab gegenüber der britischen Wirtschaftszeitung „Financial Times“ im Februar 1982 zu verstehen: Es ist schwer, sich selbst hinter einen Vorhang von Ignoranz zu stellen.“
Obgleich viele Insider mit einer Niederschlagung des Antitrustprozesses gegen IBM schon seit 1979 rechneten und der Marktführer sich seit dieser Zeit auch schon so aggressiv verhielt, als ob es das Verfahren gar nicht mehr gäbe, steht dennoch eins fest: Mit der Beendigung dieser beiden Kartell-Verfahren veränderte sich innerhalb weniger Stunden die gesamte Wettbewerbssituation am internationalen Markt für Informationstechnologien. Mit ihren Antitrust-Entscheidungen hatte die Regierung endgültig die immer größer werdende japanische Herausforderung angenommen.
Meinte der Präsident der American Business Conference, John Albertime: „Baxter hat schon immer innerhalb der Reagan-Administration in der vordersten Front derjenigen gestanden, die den Wert der Antitrustbestimmungen in der Verbesserung unserer internationalen Wettbewerbsfähigkeit sehen.“
So erlaubte der Kartellwächter, dass sich 1983 in den USA zwölf Technologie-Firmen (CDC, Digital Equipment, Sperry etc.) zusammentaten, um unter dem Namen Microelectronics & Computer Cooperative (MCC) eine Gemeinschaftslaboratorium für die Entwicklung von Computern der Fünften Generation zu errichten – allerdings ohne die Teilnahme von IBM. Vielmehr sollten die Im Vergleich zu dem Koloss erheblich kleineren Firmen dazu befähigt werden, sich gegen IBM, gegen AT&T und gegen die Japaner zu behaupten.
Mit der Beendigung der Antitrustprozesse wurden aus dem bisherigen Gefangenen der amerikanischen Regierung deren gefährlichste Waffen im Wirtschafts- und Technologiekrieg mit den Japanern, die wie kein anderer von der Lähmung der IBM in den siebziger Jahren profitiert hatten. Und um die Energie der beiden gesündesten Giganten der USA gegen Japan richtig zu aktivieren, wurden sie obendrein noch aufeinander losgelassen. Die Explosionskraft von 100 Milliarden Dollar Jahresumsatz wurde freigesetzt.
Prophezeite im Januar 1982 das amerikanische Nachrichtenmagazin „Newsweek“: „Was von Ma Bell[1] (nach der Zerschlagung) übrig bleibt, könnte zu dominierenden Macht in dem nun anbrechenden Informationszeitalter werden – ein Schrecken für die Wettbewerber im Telekommunikationsbereich, bei Kabelfernsehen, Zeitungen und selbst für die mächtige IBM“.Der Marktführer ist in der Tat seitdem doppelt herausgefordert: durch die Japaner und durch AT&T. Und jeden der drei Konkurrenten beseelt der Wunsch, die Welt in einem Sinn zu verändern – ein gewaltiger Anspruch, den zu realisieren bislang nur einem der drei gelungen war: IBM in den goldenen /360er Jahren[2].
[1] „Nickname“ für AT&T vor dem 8. Januar 1982
[2] .Mit ihrer 1964 angekündigten Großrechnerfamilie /360 war IBM der große Durchbruch auf den internationalen Märkten gelungen. Siehe auch: Hermann K. Reiboldt, Raimund Vollmer, „Der Markt sind wir – Die IBM und ihre Mitbewerber“, Stuttgart 1978





Samstag, 3. Januar 2009

Kapitel I: 2.00 An der Klagemauer

Kein anderes Unternehmen der Welt hat soviel Rechtsgeschichte gemacht wie IBM. In den USA ebenso wie in Europa waren die Geschäftspraktiken des blauen Riesen Gegenstand der größten Antitrustprozesse in der Geschichte dieser Kontinente. Aus beiden Verfahren ging der Koloss als strahlender Sieger hervor. Sein bester Rechtsschutz sind seine bezwingende Moral, seine eiserne Selbstbeherrschung, seine kompromisslose Professionalität, die besser wirken als alle Gerichte und Gesetze.



Kapitel I: 2.01 Big beautiful

Dass es zu dem spektakulären Ende der spektakulären Prozesse gegen IBM und AT&T kommen konnte ist eindeutig das Verdienst von Willial Francis Baxter, dem von Präsident Ronald Reagan inthronisierten Kartellwächter des amerikanischen Justizministeriums. Er machte nicht nur kurzen Prozess mit den beiden schon längst völlig verfahrenen Verfahren, sondern auch mit der überkommenden Interpretation der Antitrustbestimmungen. Er hatte gänzlich andere Ansichten über Wettbewerbsregeln als seine Vorgänger. Dies wurde nirgendwo so deutlich wie bei der Niederschlagung des „Methusalem-Prozesses“ gegen IBM. Baxter: „Im Allgemeinen habe ich keine Schwierigkeit mit der Vorstellung, eine Firma wegen unerlaubter Monopolisierung eines Marktes zu verfolgen. Aber ich glaube nicht, dass ein solches Verfahren dazu dienen darf, große und erfolgreiche Firmen nur deswegen zu quälen, weil ihre Größe die Öffentlichkeit befremdet.“
Seine Thesen in Kurzform:
- Eine Firma darf nicht deswegen bestraft werden, weil sie groß ist.
- Der Markt muss das aggressive Verhalten eines Giganten tolerieren, solange es dazudient, die Wettbewerbsstärke eines Unternehmens zu erhalten, ohne die Konkurrenz vernichten zu wollen.
- Während AT&T unter Ausnutzung eines von der Regierung zugesicherten Monopols Wettbewerber bedrängte, hat IBM ihre Marktposition allein durch eigene Anstrengungen erworben.
Letzten Endes waren also die Mitbewerber selbst schuld daran, dass IBM so groß und so stark werden konnte. Ihr Machtmonopol basierte auf den Entscheidungen des Marktes. AT&T hingegen hatte ihre gewaltige Macht einem staatlichen Auftrag zu verdanken. Dieser Musste dem Telekommunikationsriesen entzogen werden, wenn er tatsächlich in einem Kampf der Giganten mit IBM eintreten wollte. Dies geschah mit der Abspaltung der 22 Tochtergesellschaften, die bislang das regionale Telefongeschäft in den USA besorgten und am 1. Januar 1984 endgültig in eine neue Selbständigkeit entlassen wurden.
Bereits Mitte 1981 signalisierte Baxter, dass er vor allem an einem baldigen Ende des Prozesses gegen IBM interessiert war: „Auf der Basis der für mich verfügbaren Informationen, kann ich nur eine vernünftige Richtung sehen, die das Verfahren noch nehmen kann: Es muss so schnell wie möglich eingestellt werden.“
Gerade dieser Prozess hatte gigantische Ausmaße erreicht. Er war unüberschaubar geworden. Und damit wuchs die Zahl der möglichen Fehlerquellen. Das Risiko eines Justizirrtums wurde immer größer. Gleichzeitig schnellten die Kosten des Prozesses nach oben. Eine Fortführung des Verfahrens hätte die Regierung jährlich bis zu zqei Millionen Dollar gekostet, doppelt so viel wie in den Jahren zuvor. Der Staat hatte schon jetzt 13,4 Millionen Dollar ausgegeben. Indirekt war es sogar erheblich mehr. Denn Prozess-Gegner IBM konnte seine gesamten Aufwendungen von der Steuer voll abschreiben. Gigantisch war auch der Aufwand. 145 Millionen Schreibmaschinenseiten wurden im Laufe der Jahre auf Verwertbarkeit für den Prozess und die diversen Nebenverfahren analysiert. Die Dokumente konnten schließlich nur noch elektronisch verwaltet werden. Dazu entwickelten Spezialisten eine Datenbanksoftware, die heute dem Namen Stairs bei hunderten von IBM-Kunden in aller Welt installiert ist.
Ein eigenes, landesweites Netzwerk entstand, das um die Uhr an sieben Tagen in der Woche den Juristen und ihren Helfen zur Verfügung stand und ihnen den permanenten Zugriff auf die Datenbank in White Plains im Staate New York ermöglichte. „Wir mussten auf alle Fragen vorbereitet sein, die in diesem Verfahren an uns gerichtet wurden – Monat für Monat, Jahr für Jahr“, berichtet James R. Connell, ein IBM-Manager, der verantwortlich war für die informationstechnische Unterstützung der Anwälte.
Wie viel Geld der der Gigant insgesamt in das Verfahren hineingesteckt hat, kann man nur erahnen – vielleicht eine halbe Milliarde Dollar, vielleicht sogar noch mehr. Doch damit war jetzt Schluss.
Foto: William Baxter


Freitag, 2. Januar 2009

KAPITEL I: AUFERSTEHUNG EINES RIESEN





Kapitel I: 1.00 Der große Gerichtstag



Dreizehn Jahre lang lähmte der längste Antitrust-Prozess in der Geschichte der Vereinigten Staaten den in 130 Ländern präsenten Computermulti IBM. „Missbrauch von Marktmacht“ wurde ihm vorgeworfen. Doch seit dem 8. Januar 1982 sind die schweren Antitrustjahre vorbei. Das Verfahren wurde niedergeschlagen.
Am selben Tag beendete die US-Regierung aber auch einen anderen Prozess: das Antitrustverfahren gegen den US-Telefonriesen American Telephone & Telegraph (AT&T). Er ist der „neue“ Erzrivale IBMs im Kampf um die Vorherrschaft im Weltmarkt für Informations- und Nachrichtentechnik, in dem zu Beginn der neunziger Jahre rund 1000 Milliarden Dollar umgesetzt werden.
Und so liefen die Ereignisse chronologisch ab:

Cover: Schon 1982 war der erwartete Kampf zwischen IBM und AT&T der leider inzwischen eingestellten Fachzeitschrift "Datamation" eine Titelgeschichte wert.

Kapitel I: 1.01 High Noon für AT&T




Schon 1981 ahnte das Wirtschaftsmagazin Fortune, dass AT&T aus seinen Monopolzwängen befreit werden musste.













Washington, Freitag, 8. Januar 1982, 12.00 Uhr. William Francis Baxter, 53, Chefankläger im Antitrust-Prozess gegen IBM und und AT&T, betritt den National Press Club. Ohne großes Vorspiel verkündet der Kartellwächter vor den gespannt wartenden Journalisten das Urteil: ein Vergleich mit AT&T, dem Fernmeldemonopol der Vereinigten Staaten. 360 Millionen Dollar Anwaltskosten hatte der Fall den Telefonriesen in sieben Jahren Prozessdauer gekostet, 15 Millionen Dollar die amerikanische Justiz.
Das reichste Unternehmen der Welt, American Telephone & Telegraph (AT&T), hatte einem „Consent Decree“ (Vergleich) zugestimmt, der den Fernmeldegiganten (Jahresumsatz 1981: 58,2 Milliarden Dollar), Anlagevermögen: 137 Milliarden Dollar) innerhalb von 18 Monaten um 22 Tochtergesellschaften erleichtern sollte. Dafür durfte der Riese die Produktionsfirma Western Electric (12 Milliarden Dollar Umsatz), die Bell Laboratories (Forschungsetat 1982: über zwei Milliarden Dollar) und das Geschäft mit den Fernleitungen (Long Lines) behalten.
Doch der größte Erfolg war, dass AT&T, jahrzehntelang größter Privatkunde der IBM, endlich deren größter Konkurrent werden konnte. Der Einstieg ins lukrative Computergeschäft war dem Telefonmonopol bislang aufgrund eines alten Antitrustvergleichs aus den Jahre 1956 verwehrt gewesen. Damit war jetzt Schluss. High Noon für AT&T, die nun endlich IBM zum Duell der Giganten herausfordern konnte. Doch der „Freedom Friday“ (so das Wirtschaftsmagazin „Fortune“ über den größten Gerichtstag in der amerikanischen Wirtschaftsgeschichte) war noch längst nicht zu Ende, er hatte damit nur seinen ersten Höhepunkt erlebt.




Kapitel I: 1.02 Champagner für IBM



New York, Freitag, 8. Januar 1982, 16.15 Uhr.
Bundesrichter David N. Edelstein, 71, betritt den Gerichtssaal im Court House am Foley Square. Sein Fall: Vereinigte Staaten von Amerika versus International Business Machines. Sieben Jahre dauert schon der Prozess, 13 Jahre sind seit der Klageerhebung vergangen, 18 Jahre seit den ersten Voruntersuchungen. Eine weitere Sitzung im langwierigsten Antitrist-Prozess der US-Rechtsgeschichte steht bevor.
Doch an diesem Tag fehlt William Baxter, damals Chef der amerikanischen Kartellbehörde und der Anklage gegen IBM. Verärgert fordert der greise, aber gefürchtete Bundesrichter Edelstein den Baxter-Assistenten Abbot Lipsky, 32, auf, das Fehlen seines obersten Dienstherrn zu erklären. Der Junior-Kläger und Stanford-Schüler offeriert jedoch verschüchtert nur Ausflüchte. Voller Zorn bedrängt Edelstein Lipsky, endlich mit der Wahrheit herauszurücken. Schließlich gesteht der Baxter-Ersatz kleinlaut, dass die US-Regierung das Interessen am seit 13 Jahren währenden Verfahren endgültig verloren habe.
Der Prozess ist zu Ende.
Riesige Aktenberge mit insgesamt 60 Millionen Seiten waren nun Makulatur: 2500 Zeugenaussagen wurden nicht mehr gebraucht. Rund 300 Rechtsanwälte waren ihren Fall von einem Tag zum anderen los. Denn so ist das in Amerika. Richter Edelstein: „Wenn sich die Parteien darin einig sind, ein Verfahren zu beenden, dann muss keine Billigung des Gerichts eingeholt werden.“
Nach vier Jahren Vorbereitung (1965) hatte Ramsey Clark, damals oberster Kartellwächter im amerikanischen Justizministerium am 17. Januar 1969, dem letzten Tag der Johnson-Regierung, Klage gegen IBM erhoben. Das „Methusalem-Verfahren“ (Gerichtsjargon) erlebte vier amerikanische Präsidenten, bis es bei Ronald Reagan landete, der schließlich kurzen Prozess machte und das mittlerweile ungeliebte Verfahren einstellen ließ.
Während am Abend des 8. Januar 1982 in einer Diskothek an der Park Avenue in New York IBMs Top-Manager die Champagner-Korken knallen ließen und John R. Opel, Chief Executive Officer (CEO), hoch erfreut darüber war, dass das Justizministerium nun endgültig das bestätigt hatte, was die IBM seit 13 Jahren behauptete, war Charles (Charley) L. Brown, Chairman von American Telephone & Telegraph bei seinem Urteil über den Baxter-Vergleich erheblich zurückhaltender. Zitiert das amerikanische Wirtschaftsmagazin „Fortune“ den obersten Fernmelder: „Es ist genau das, was die Regierung wollte.“


Cover: Das Wirtschaftmagazin Business Week sah schon 1981 IBM als Gewinner


Donnerstag, 1. Januar 2009

Prolog

Isaac Asimov, Zukunftsdenker und Autor zahlreicher, hochkarätiger Science-Fiction-Bücher, betätigte sich einmal mehr als »America’s Great Explainer«.
1980: »Wir schicken uns an, eine Welt zu betreten, in der Entfernungen. Soweit sie den Faktor Informationen betreffen, unwichtig werden. Und in dieser Welt wird das gesamte verfügbare Wissen nur in einem ganz bestimmten Sinne begrenzt sein, nämlich einzig und allein durch die Informationsmenge, die es auf der Welt gibt.«
So äußerte sich der Biologe in einem Interview mit der amerikanischen Zeitschrift »Output« im November 1980.
Dass diese Informationsmenge praktisch durch nicht begrenzt wird, dafür sind drei Entwicklungen verantwortlich, die auf ihrem Weg zur Vollkommenheit unser Denken revolutionieren werden.
1. Telekommunikation. Die großen, weltumspannenden, Himmel und Erde miteinander verbindenden Errungenschaften der Telekommunikation wie Satelliten und Glasfaserkabel sorgen dafür, dass Informationen überall auf der Welt in dem Augenblick verfügbar sind, in dem sie entstehen.
2. Großcomputer. Die bald mit Lichtgeschwindigkeit operierenden Großrechner werden es uns eines Tages ermöglichen, dass riesige Mengen von Informationen in Echtzeit verarbeitet werden können, das heißt also, in dem Augenblick, in dem sie entstehen.
3. Personal Computer. Jedermann erhält Zugang zu diesen Informationen über die Personal Computer (PCs), die als Endgeräte in einem globalen Netzwerk jede erwünschte Information an jedem Punkt der Erde verfügbar machen. Die Tischrechner, die derzeit einer permanenten Technologie-Revolution unterworfen sind, sind das Fenster zu einer Welt, in der alles, was ist, in Informationen umgesetzt ist. Und diese Informationen können durch den Personal Computer individuell weiterverarbeitet werden.
Wir leben in einer Welt, in deren biblischem Anfang das Wort bei Gott und Gott das Wort war, in deren Unendlichkeit alles zur Information werden kann, was war, was ist und was sein wird. Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft können durch den Faktor „Information“ in ständig neue Beziehung zueinander gesetzt werden. Eine Welt entsteht, in der alles möglich ist, deren einzige Grenze unsere Phantasie ist.
Und diese Welt wird bestimmt von drei Großbuchstaben – von IBM. Sie stehen für International Business Machines. Dieses Unternehmen ist mit aller Konsequenz in das Geschäft mit der unerschöpflichen Ressource „Information“ eingestiegen und machte damit 1983 über 40 Milliarden Dollar Umsatz und 5,5 Milliarden Dollar Gewinn.
»In der gesamten Industriegeschichte lässt sich kein zweites Beispiel für eine ähnliche Spitzenstellung finden. Seit 30 Jahren verfügt die IBM über die absolute Macht. Seit 30 Jahren ist sie praktisch konkurrenzlos«, schwelgt der französische Publizist Jean-Jacques Servan-Schreiber in seinem Buch »Die totale Herausforerung« in Superlativen für dieses »berühmteste Industrieunternehmen der Welt«.
Dabei verdankt IBM ihren Welterfolg einer ebenso einfachen wie genialen Erkenntnis. „Information ist doch nicht etwas wir Mais oder Wassermelonen“, verrät John R. Opel, seit Beginn der achtziger Jahre IBMs Topmanager, das IBM-Geheimnis. Denn: „Information schafft stets den Bedarf nach mehr Informationen durch Neukalkulation, Neuinterpretation oder neue Einsicht in das Verhalten von Daten untereinander.“
Das ist in der Tat der entscheidende Unterschied. „Man kann zu dem Punkt gelangen, an welchem man einfach keine Melonen mehr sehen, geschweige denn essen kann. Aber noch etwas mehr Informationen, noch einen Blick mehr in eine Datei, noch eine Datenzuordnung mehr – das wäre verlockend.“
IBM sucht wie kein anderes Unternehmen auf der Welt das Geschäft mit dieser sich ständig erneuernden Ressource „Information“ und zwar auf allen Ebenen:
- bei der Informationsübertragung über Himmel und Erde,
- an den Informationsquellen, am Fließband (Roboter) genauso wie im Büro des Sachbearbeiters (Personal Computer)
- bei der komplexen Verarbeitung und Auswertung von Informationen durch Großrechner,
- bei der Informationsspeicherung vor Ort (Personal Computer) oder zentral (Großrechner).
Für den Computergiganten IBM ist das Geschäft mit dem Faktor Information ein perpetuum mobile, das unentwegt neue Kraft aus sich selbst schöpft.
Damit wird IBM selbst zu einem perpetuum mobile, zum ewigen Licht der Informationsverarbeitung.
Die wundersame Brotvermehrung, von der die Bibel erzählt, ist das Geschäft der IBM. Und mit all ihrer Macht sorgt sie dafür, dass sie von diesem Brot den größten Teil selbst abbekommt.
Sie bestimmt dabei die Gesetze des Marktes. Sie versteht es, jahrzehntelang abgeschottete Märkte wie zum Beispiel den staatlich regulierten Bereich der Telekommunikation zu öffnen, neue Barrieren zu errichten, alte schonungslos niederzureißen. Und all dies tut sie mit atemberaubender Geschwindigkeit, erbarmungslos, kaltschnäuzig. Die IBM ist das einzige Unternehmen in der Welt, das den Plan für eine neue Welt besitzt und die Macht, ihn zu verwirklichen. Diesen Plan verfolgt sie mit aller Konsequenz, mitunter rücksichtslos gegen sich selbst.
Nur noch die Japaner unter der Federführung ihres mächtigen Ministeriums für Industrie und Handel (MITI) besitzt einen ähnlich ehrgeizigen Plan. Der Japan AG fehlt es freilich an internationaler Macht.
Macht, jedoch noch keinen voll entwickelten Plan, hat der amerikanische Telefonriese AT&T, seit Januar 1984 endgültig IBMs stärkste amerikanische Konkurrenz auf den Weltmärkten der Informationstechnologien.
Dennoch sind beide Formationen, die Japan AG und der Telematikriese AT&T, IBMs größte Herausforderer im Weltmarkt für Informationstechnologien.
Doch Big Blue oder Mother Blue, wie die Amerikaner den Computergiganten wegen seiner Vorliebe für die Farbe Blau nennen, sorgt mit mehrgleisiger, vielschichtiger, nur schwer zu durchschauernder Strategie dafür, dass der blaue Riese in jedem Markt, den er betritt, zu den unumstößlichen Siegern gehört – sei es nun in der Telekommunikation, bei den Personal Computern, Robotern oder sonst wo.
Rigoros verteidigt IBM dabei angestammte Wachstumsmärkte wie die Großcomputerei. In brillant geführten Wendemanövern passt sie sich den Gesetzmäßigkeiten der von ihr besetzten Märkte an, verändert sie und zwingt damit ihre Mitbewerber bis an die Grenze der Selbstverleugnung mitzuhalten.
Die IBM verlangt aber nicht nur ihren Mitbewerbern alles ab, sondern auch sich selbst. Nicht zuletzt aus diesem Grund überstand sie souverän das Antitrustverfahren, das die amerikanische Regierung 1969 gegen sie anstrengte und nach 13 Jahren erfolglosem Bemühens aufgeben musste.
„Missbrauch von Marktmacht“ war IBM vorgeworfen worden. Sie habe das Computergeschäft monopolisiert, meinte das US-Justizministerium, die Preise kontrolliert. Doch nach 13 Jahren konnten die Kläger der IBM nichts nachweisen. Sie mussten ihre Absicht aufgeben, den Computerriesen in ein halbes Dutzend Einzelgesellschaften zu zerschlagen.
Befreit von den engen Fesseln des längsten Antitrust-Prozesses in der Geschichte der USA erhebt sich die Supermacht IBM nun endgültig zu einem beispiellosen Wettrüsten um die Märkte der Zukunft.
Erstmals in seiner Geschichte muss sich dabei der Computerriese allerdings gleichwertiger Konkurrenten erwehren, die ihm an Finanzkraft und Wille zur Macht ebenbürtig sind: die Japan AG und der amerikanische Telefonriese AT&T. Genau zwischen die Fronten der weltweiten Auseinandersetzung geraten mehr und mehr die Europäer.