Freitag, 27. Februar 2009

I: 3.4 Warten auf St. Nimmerlein


„IBM ist verrückt“, kommentierte im Frühjahr 1979 Heinz Nixdorf, der erfolgreichste Computerbauer in der Bundesrepublik, die Ankündigung der IBM 4300. „IBM is confused“, meinte nicht minder kritisch James Trybig, Gründer der kalifornischen Computerfirma Tandem. Und immer wieder, wenn unter IBMern das Gespräch auf die 4300 kam, die Aussage: „Das Pricing ist falsch.“
Der sensationelle Preis der IBM 4300, der allerdings in den folgenden Monaten um etwa sieben Prozent nach oben korrigiert wurde, erhitzte damals die Gemüter. Wettbewerber, die es sich bislang unter dem breiten Preisschirm der IBM gemütlich gemacht hatten, sahen plötzlich ihre alten Felle davonschwimmen. Neue Konkurrenten wie Nixdorf, die gerade den Einstieg in IBMs Rechnermärkte vorbereiteten, vertagten ihre Entscheidungen und warteten erst einmal ab.
„Die IBM 4300 kämpft gegen alles“, klagte 1979 Carlton G. Amdahl, Sohn des legendären Computerbauers Gene Amdahl und damals noch Executive Vice President des IBM-kompatiblen Computergerstellers Magnuson, über das aggressive Pricing der zu jener Zeit brandneuen Computerserie. Er verließ Magnuson und arbeitete bis zum Frühjahr 1984 für seinen Vater in der Trilogy Corp., die von 1980 bis 1984 über 200 Millionen Dollar Risikokapital verbrauchte. Ohne Erfolg. Sohn Carlton warf erneut das Handtuch.
Gene Amdahl, der in den frühen sechziger Jahren als Chefentwickler IBMs legendäre /360 konstruiert hatte und in den siebziger Jahren seinem früheren Arbeitgeber mit der nach ihm benannten Firma Amdahl das Leben im Großrechnermarkt schwer machte, war an seinem dritten Meisterstück gescheitert: einen IBM-kompatiblen Großrechner zu bauen, der denen von Big Blue haushoch überlegen sein sollte. Doch das Auslieferungsdatum wurde von 1984 auzf 1985 auf 1986 und 1987 und schließlich auf den St. Nimmerleinstag verschoben. Gene Amdahl hätte weitere 100 Millionen Dollar Risikokapital benötigt, um sein Werk zu vollenden.
Zurück zu Magnuson- Vier Jahre lang versuchte der kleine PCMer beim Preispoker gegen den Marktführer mitzuhalten. Als dann im Herbst 1982 die IBM die ohnehin schon niedrigen Preise ihrer bis zu 1,5 Millionen Mark teuren Serie 4300 um rund 15 Prozent senkte, gab Magnuson auf: Im März 1983 stellte der kalifornische IBM-Konkurrent Antrag auf Vergleich (Chapter 11).
Einen Monat zuvor hatte bereits ein anderer Wettbewerber seine eigenen, ebenfalls auf den Markt der IBM 4300 zielenden kompatiblen Computer aus der Produktion genommen: National Semiconductor. Der kalifornische Halbleiter-Hersteller vertrieb von nun an über seine Tochtergesellschaft National Advanced Systems nur noch die mit dem IBM-Standard verträglichen Computer des Japaners Hitachi.
Selbst IBMs engagiertester Gegner im Markt für Speicherpreipherie, Storage Technology Corporation aus Boulder, Colorado, musste im Januar 1984 melden, dass sein 1981 gestarteter Versuch, einen kompatiblen Mainframe im 4300-Bereich zu entwickeln, gescheitert war. „Die Entwickler lagen im Plan zurück, so dass wir zu spät in den Markt eingestiegen wären“, kommentierte Firmengründer und Chairman Jesse Aweida seine Entscheidung, die wesentlich bestimmt wurde durch die Ankündigung neuer Rechner in der 4300-Familie im Herbst 1983.
Rund 400 Mitarbeiter musste STC, die 1983 einen Umsatzrückgang von 200 Millionen Dollar auf 886,9 Millionen Dollar verzeichnete, entlassen. Das Projekt galt als zu ehrgeizig. So wollte STC die Rechner auf der Basis von modernen CMOS-Chips entwickeln, denen bei Personal Computern eine riesige Zukunft vorausgesagt wird. Doch statt vor einem Big Business stand die Firma nun vor leeren Kassen. Sie wies im vierten Quartal 1983 einen Verlust von 35,4 Millionen Dollar aus, von denen 27,6 Millionen dem gescheiterten Mainframe-Projekt zuzuschreiben waren.Aweida, der mit Hilfe seiner IBM-kompatiblen Computer aus STC 1988 eine Zehn-Milliarden-Dollar-Firma machen wollte, erlebte dasselbe Schicksal wie ein halbes Jahr später Gene Amdahl. Beide waren zu ehrgeizig. Beide hatten den Faktor Zeit unterschätzt. Der technologische Vorsprung, den sie gegenüber IBM erzielen wollten, sollte so groß sein, dass sie den Marktführer in Preis- und Leistung lange genug ausspielen konnten, um sich in dem Markt zu etablieren. Je mehr sich die Ankündigung verspätete, desto kleiner wurde das Zeitfenster, von dem aus Gene Amdahl ebenso wie Jesse Aweida in die IBM-Welt einsteigen wollten. Am Ende mussten beide resignieren.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen