Samstag, 18. April 2009

I: 4.5 Aufbruch der Giganten (Teil 1)

Die beiden imperialen Technologie-Mächte IBM und AT&T sind die Superlativen ihrer Branche:
-IBM ist der mächtigste Computerhersteller und die gewinnträchtigste Firma der Welt, die seit über sechzig Jahren international tätig ist.
- AT&T ist der größte Telekommunikationsanbieter und die reichste Firma der Welt, die sich 1925 aus dem internationalen Business verabschiedete und nun nach der Deregulierung in den USA in die Auslandsmärkte drängt.
Technlogisch gehen beide Riesen bestens gerüstet in das Rennen um die Supermärkte der Zukunft. Vom kleinsten Halbbleiter-Bauelement bis zum Aufbau komplexer Computernetzwerke, vom Telefon bis hin zu digitalen Vermittlungsanlagen, vom Personal Computer bis zu Satellitentechnik, beherrschen sie beide alle Technologien, die für die Gestaltung einer modernen telekommunikativen Welt notwendig sind. Beide sind sogar Betreiber eigener Netzwerke. AT&T ohnehin als ehemaliges Fernmeldemonopol, IBM als Gesellschafter der 1975 gegründeten Satellite Business Systems und weiterer Joint-Ventures.
Zwischen die Fronten dieser beiden Kolosse gerät zwangsläufig alles, was in den Weltmärkten der Informationsverabeitung und Telekommunikation Rang und Namen besitzt oder erlangen will. Keiner bleibt verschont. Jeder wird erfasst vom kaum noch zu durchschauenden Stellungskrieg dieser beiden Giganten. Mit subtilen Methoden und von langer Hand geplanten Strategien passen sie sich den lokalen Telekommunikationsmärkten an, um sie dann energisch in ihrem Sinn zu verändern.
"Unser Ziel ist es, in Wettstreit zu treten und zu wachsen in allen Bereichen der informationsverarbeitenden Industrie. Und wie dieses Geschäftsziel bereits impliziert, wollen wir keinen Bereich ausklammern", erhebt VictorJ. Goldberg, Chef der Communications Product Division bei IBM, den vollkommenen Machtanspruch.

"IBM größter Mitbewerber in den USA ist nicht irgendein EDV-Hersteller, sondern einzig und allein AT&T", sah schon 1980 der amerikanische Computerexperte Philip Dorn voraus. Die amerikanische Wirtschaftszeitung "Wall Street Journal" empfahl 1981 kurz nach dem Regierungswechsel in Washington dem neuen Präsidenten Ronald Reagan: "AT&T gegen IBM anzusetzen, ist eine weitaus bessere Idee als der Versuch, sie durch Antitrust-Klagen zu zerschlagen."
Dieser nahm die Empfehlung prompt an und beendete die Antitrust-Prozesse gegen IBM und AT&T. Er setzte damit den entscheidenden Impuls für einen völlig neuen Imperialismus der Amerikaner: die absolute Weltherrschaft durch neue Technologien. Denn das ist eindeutig das Ergebnis des Wettrennens zwischen IBM und AT&T.
In ihn können derzeit nur noch die Japaner mithalten, vornehmlich deshalb, weil sie sich im Schatten der Antitrustjahre in Europa breit machen konnten und sich auch rechtzeitig ein hervorragendes Entree bei den Ländern der Dritten Welt verschafften, die heute von allen umworben werden.
»Es wird immer mehr Kooperationen geben«, sieht David N. Martin, Präsident von National Advanced Systems, bereits eine Dreiteilung der Welt. »Ich glaube, dass sich schließlich neben IBM zwei Machtgebilde durchsetzen werden, die aus japanischen und amerikanischen Unternehmen zusammengesetzt sind.«
Für Nippons Technologiekonzerne kommt es dabei nun darauf an, mit Europa noch enger zu verschmelzen. Doch solange ihre Auslandsfirmen weitgehend von Japanern geführt werden, wird dies nicht funktionieren, gelten sie nur als preiswerte Technologielieferanten, die mit ihren Produkten die Weltmärkte überschwemmen.
Genau diese Schwäche haben die beiden "amerikanischen Machtgebilde" IBM und AT&T bereits erkannt. Ihnen dienen die Japaner als Feindbild, als "Apokalypse now", das die Europäer gefügiger machen soll, sich mit dem einen oder dem anderen US-Riesen zu verbünden. AT&T oder IBM - so heißt die Alternative, die Amerika den Europäern aufzwingen will.
Die amerikanischen Supermächte IBM u7nd AT&T treiben mit sehr subtilen Methoden einen Keil nach dem anderen in die einst so dichte Phalanx der europäischen Fernmeldewelt und deren kartellartig abgesprochenen Märkte, die jetzt auseinanderbrechen.
Inmitten dieser Entwicklung stehen die nationalen Amtsbaufirmen und Computerhersteller, die ein neues Verhältnis zu ihren Mitbewerbern finden müssen. Konkurrieren oder kooperieren, das ist ihre Schicksalsfrage. Sie alle müssen sich zwischen Freund und Feind innerhalb und außerhalb Europas entscheiden:
- zwischen den Amerikanern IBM und AT&T und den Gesellschaftern der berühmten Japan AG.
- oder zu einem Verbund der Europäer untereinander.
Für Benedetti ist der Amerikaner IBM der "Feind Nr. 1", dicht gefolgt von den Japanern. Für die Mehrheit der 26 europäischen, in der CEPT-Kommission (Commission European Post and Telegraph) organisierten Fernmeldeverwaltungen scheint es eher der Telefonriese AT&T zu sein.
Die PTTs schlossen im Januar 1984 in Paris eine Vereinbarung, der zufolge sich die staatlichen Telekommärkte, diebislang in fester Hand der nationalen Amtsbaufirmen waren, gegenüber den europäischen Wettbewerbern öffnen sollten. (2) Sie fürchten die große Schwester AT&T, die als erste nationale Fernmeldeorganisation ihr staatlich verbrieftes Monopol aufgeben mußte, um sich nun international im Bereich der Telekommunikation und der Informationsverarbeitung betätigen zu können. Noch betrifft die neue Bedrohung hauptsächlich die nationalen Amtsbaufirmen, die eine sehr enge Zusammenarbeit zu ihren PTTs unterhalten. Noch drängt AT&T lediglich als Fernmeldeproduzent in die nationalen Märkte. Noch hält sie sich als Netzbetreiber zurück.
Doch die Zeit ist abzusehen, in der der Telefonriese abfängt, außerhalb der USA die Kontroille über Netzwerke zu erlangen. Schon macht AT&T mit ihrem Beispiel Schule. Die britische Fernmeldebehörde British Telecom (BT) sucht ebenso die Liberalisierung wie das japanische Postmonopol Nippon Telegraph and Telephone (NTT). Beide befinden sich im Umbruch, haben sogar schon ihr Netzmonopol aufgegeben. Ihr Ziel ist es, ebenfalls auf die internationalen Märkte zu drängen. So will sich BT als Netzbetreiber zusammen mit IBM in den USA profilieren. Beide wollen gemeinsam digitale Dienste auf den britischen Inseln anbieten. AT&T wird unweigerlich zurückschlagen und ebenfalls in dem Vereinigten Königreich eigene Telekom-Dienste anbieten.
Dadurch gerät mittelfristig die internationale Gebührenpolitik völlig durcheinander. Schon deutet sich ein Preiskrieg im internationalen Telefonverkehr an. Preiswerte Verbindungen nach Übersee wollen nicht nur die Briten, sondern auch die Belgier anbieten, die sich mit der ersten privaten britischen Fernmeldekonkurrenz Mercury zusammentun, um gemeinsam billige Leitungen nach USA anzubieten. Das Angebot ist verlockend. Bundesdeutsche Großunternehmen, mit hohem Telegonverkehr nach USA, werden mehr und mehr Standleitungen in Niedrigtarifländern aufbauen, über die dann kostengünstige Verbindungen nach USA geschaltet werden. All das wird Auswirkungen auf die Postgesellschaften haben, die ihre nationalen Monopole langfristig kaum aufrecht erhalten können.


Montag, 30. März 2009

I: 4.4 Der kategorische IBMperativ

Schaut man sich die Vergangenheit an, so basierte IBMs Marktverhalten nach Meinung des Amerikaners Howard Andcerson, Präsident der Marktforschungsfirma Yankee Group, schon immer auf zwei kategorischen Imperativen, die jedem Mitarbeiter dieses Unternehmens sorgfältig eingehämmert werden, deren Durchsetzung aber von den Telekommunikationsbehörden ständig behindert wurde:
1. Erlaube niemals, dass sich irgendjemand in Dein Verhältnis zu Deinen Kunden einschaltet.
2. Erlaube niemals, dass irgendjemand sich zwischen IBM und ihrem Wachstumsmarkt einmischt.
Genau diesen Imperativen widersprach in den siebziger Jahren zum Beispiel der Monopolbetrieb AT&T, dessen überaltertes Telekommunikationsnetz IBMs Wachstum gefährdete. Berichtet Anderson: "Das AT&T-Netz ist hervorragend geeignet für das, was es täglich übertragen muss: für Sprache. Wenn die Verbindung etwas schlecht sein sollte, spricht man einfach etwas lauter. Aber das AT&T-Netz ist miserabel, wenn es um Vermittlung von Daten geht."
Andersons Betrachtungen und das, was sich daraus für IBMs Imperative ergibt, gelten nun natürlich nicht nur für AT&T, sondern für alle Postnetze. In der Tat: Daten kann man nicht einfach lauter senden, wenn die Vermittlung schlecht ist. Und damit sind wir genau bei dem Phänomen, nach dem sich nach Meinung der IBM überall sehr unvorteilhaft in die Beziehung zwischen ihr und ihren Kunden einschaltet: die Fernmeldeorganisationen.
Rund 80 Prozent aller Computer in den USA sind heute in irgendeiner Form bereits an Übertagungsleitungen angeschlossen. Millionen von Personal Computern sollen in den achtziger Jahren ebenfalls telekommunikativ erschlossen werden. Allein aus diesen Gründen ist IBM sehr daran interessiert, einen möglichst preiswerten und hohen technischen Kommunikationsstandard durchzusetzen.
"IBMs Zukunft ist unauflöslich mit der Verfügbarkeit von billiger Datenübertragung verbunden", meint Howard Anderson. Und Frank T. Cary, Vorgänger von John R. Opel als Chief Executive Officer, erklärte 1980 gegenüber der New York Times: "Die wichtigste Aufgabe besteht darin, die Kommunikationskosten zu senken."
Mit der Beendigung des Antitrust-Verfahrens gegen AT&T hat sich die Lage nun völlig geändert. Nun ist der Telefonriese, der selbst in das Computergeschäft einsteigt, ebenfalls an einer Erneuerung der Telekommunikationsnetze brennend interessiert, nicht nur in den USA, sondern weltweit.
Dadurch wird sich die Veränderung der wohlgeordneten Telekommunikationslandschaft in den hochindustrialisierten Staaten der Erde, die diese bislang in weitgehender Unabhängigkeit voneinander aufgebaut hatten, weiter beschleunigen. Denn nun ist das Aufeinanderprallen zweier bislang streng isolierter Machtblöcke unausweichlich.
- auf der einen Seite die Telekommunikation mit einem Weltmarkt von rund 300 Milliarden Dollar, in dem 1983 allein 60 Milliarden Dollar in Fernmeldetechnik investiert wurde und der zu 70 Prozent von nationalen Postgesellschaften beherrscht wird.
- auf der anderen Seite die Informationsverarbeitung mit einem Weltmarkt von über 100 Milliarden Dollar im investiven Bereich (ohne die Personalkosten bei den Anwendern), der zu 95 Prozent von multinational organisierten Unternehmen bestimmt wird.
Diese beiden Machtblöcke nähern einander immer schneller und stellen alles in Frage: "Gedanken über eine Deregulierung der Märkte und über das Ende der Monopole, die vor wenigen Jahren noch als Häresie behandelt wurden, werden nun zu Aufgaben der öffentlichen Politik erhoben", analysiert Roberte Sageman, Chef von AT&T International, der Auslandstochter des amerikanischen Telefongiganten.
Schon entwickelt sich ein Wirtschaftskrieg, in den alte und neue Wettbewerber, Telefonbaufirmen, Netzbetreiber und Computerhersteller aller Nationen verwickelt sind. Auf dem Alten Kontinent, dem zweitgrößten Technologiemarkt der Welt, wird die Schlacht entschieden. Wer diesen Markt besitzt, beherrscht die ganze Welt. Und deswegen unternehmen die beiden Industriegiganten IBM und AT&T die größten Anstrengungen, um Partner zu gewinnen. Während sich IBM europäischer gibt als die Europäer, schmückt sich AT&T mit zwei der nobelsten Firmen innerhalb der EG, mit Philips und Olivetti.
Gestützt auf eine starke europäische Basis werden sich die beiden Riesen dann auf den Weltmärkten einen gnadenlosen Machtkampf liefern - zum Schrecken der Wettbewerber und zum Wohl der (längst) Vereinigten Staaten von Amerika, die damit ihre technische Überlegenheit gegenüber den Japanern behaupten wollen.
Wo immer die beiden Supermächte gegeneinander antreten, werden es Nippons Technologieschmieden es ungemein schwer haben - in Europa, in der Dritten Welt, in den USA. Eine neue Form amerikanischen Industrie-Imperialismus entsteht.
Fortsetzung folgt

Samstag, 28. März 2009

I: 4.3 Die zerstörte Ordnung

Obwohl 1980 für die Übertragung von Computerdaten nur 2,5 Prozent oder fünf Milliarden Dollar der Weltausgaben für Telekommunikation aufgewandct wurden, schickt sich die Informationstechnik mit aller Kraft an, die gute, alte Fernmeldewelt völlig umzukrempeln.
Monopole brechen auseinander. Immer mehr Wettbewerber treten auf den bislang sorgsam geschützten National-Plan der Postgesellschaften. Heimatmärkte öffnen sich unter dem Druck und Ansturm der neuen und alten Kontrahenten, die durch den unverhüllt demonstrierten Ehrgeiz von IBM und AT&T aufgeschreckt sind und sich nicht mehr an die Stillhalte-Abkommen der Vergangenheit gebunden fühlen.
Der Technologiekroieg droht allenthalben die alte Ordnung der Telekommunikation zu zerstören, die dadurch entstand, dass vor 50 Jahren unter dem Schutz der nationalen Fernmeldemonpole mächtige Telefonbaufirmen gegründet wurden, die besonders in den klassischen Industrieländern die heimischen Märkte weitgehend für sich allen beanspruchten und zunehmend auf den internationalen Märkten der Dritten Welt heftig miteinander konkurrierten:
- Siemens, SEL (ITT), AEG.Telefunken in der Bundesrepublik Deutschland,
- Plessey, Standard Telephone & Cables (bis 1982 mehrheitlich ITT) und General Electric Corp. (GEC) in Großbritannien,
- Thomson-CSF, CIT-Alcatel und CGCT (bis 1982 eine ITT-Beteiligung) in Frankreich,
- Philips in den Niederlanden,
- Italtel in Italien.
- L.M. Ericsson in Schweden,
- Fujitsu, Nippon Electric Corporation (NEC) und Oki in Japan,
- Northern Telecom und Mitel in Kanada
- Western Electric (heute AT&T Techn ologies Inc., hundertprozentige Tochter des ehemaligen Telefonmonopols AT&T), General Telephone and Electronics (GTE) und MCI in den USA.
Es war alles in allem eine heile Welt, in der keiner dem anderen allzu sehr ins Gehege kam: "Die nationalen Postverwaltungen der Industrieländer konzentrierten bisher ihre Nachfrage nach fernmeldetechnischen Einrichtungen fast ausschließlich auf inländische Anbieter. Es bestand deshalb eine Vielzahl isolierter Märkte für Fernmeldeeinrichtungen", konstatierte im Februar 1981 in einem Sondergutachten zuf "Rolle der Deutschen Bundespost" die Bonner Monopolkommission.
So wie in der Bundesrepublik, so wird in ganz Europa, in den USA und in Japan der Fernmeldesektor "üblicherweise von staatlichen Entscheidungen beherrscht", analysierte auch die EG-Kommission noch im Juni 1983 in einer "Mitteilung" an den Europarat die Lage des "Fernmeldewesens" auf dem alten Kontinent: "Netzaufbau und -leistung, Zulassungsvorschriften, obligatorische Normen, Kosten der Dienstleistungen für den Benutzer - alles dies wird weitgehend von den Staaten entschieden, die im übrigen auch bisher der wichtigste Kunde der Fernmeldeindustrie im engeren Sinne sind."
In Wahrheit waren Computer und mit ihnen die Mikroelektronik längst in das staatliche und stattliche Hoheitsgebiet der Telekommunikation eingedrungen, in dem souverän zu schalten und zu walten die Fernmeldebehörden gewohnt waren. In den Laboratorien der Computerhersteller, Elektronikfirmen, aber auch der Telefonbaufirmen entstanden in den siebziger Jahren neue Kommunikationstechnologien, die das verbriefte Postmonopol über Telefon, Telegraf und Telex zunehmend in Frage stellten.
Satellitentechnik, Breitbandkabel, Telefax, Datenübertragung, Bildschirmtext (Videotex), digitale Telefonnebenstellenanlagen, Telekonferenzen, Elektronische Post (Teletex) und natürlich die Computer selbst sorgen dafür, dass der Ruf nach einer Neuinterpretation oder gar Abschaffung der Postmonopole immer lauter wird. Die neuen Technologien verunsichern die Postgesellschaften und ihre Hoflieferanten, treffen sie in ihrem Lebensnerv.
Schon werden die Lebenszyklen der nachrichtentechnischen Einrichtungen, bislang stets für einen Zeitraum von 30 Jahren geplant, immer kürzer. An allen Ecken und Endes des Telefonnetzes tauchen neue, mitl Elektronik vollgestopfte Geräte auf, die in Kommunikation zueinander treten sollen. Doch dafür ist das gute, alte Telefonnetz überhaupt nicht geschaffen.
Wie keine andere Computerfirma der Welt ist IBM nun an der Zerstörung der alten Ordnung, sprich Modernisierung der Fernmeldewelt, interessiert, denn diese bestimmt zunehmend ihrenGeschäftserfolg. Seit Beginn der siebziger Jahre drängt sie auf eine Verbesserung und Verbilligung der Telekommunikationsdienste, die im entscheidenden Maße ihr Verhältnis zu den Kunden beeinflussen.
Solange aber die Einzelstaaten die Gestaltung ihres Fernmeldenetzes monopolistisch verwalten, ist der Computerriese machtlos, muss er erdulden, wie ihm die Postgesellschaften ständig ins Handwerk pfuschen. Ein unerträglicher Zustand für den Marktführer, der stets allein über seine Kunden herrschen will.

Montag, 23. März 2009

I: 4.2 Zauber der Digitalisierung

Die Digitalisierung des Fernmeldenetzes - das ist es, was technisch die Revolution des Telekommunikationsmarktes ausgelöst hat - bedeutet einen Abschied von der seit 100 Jahren angewandten Analaogtechnik. Auf digitaler Basis arbeiten heute alle Computer. Informationen werden dabei nur noch mit Hilfe zweiwertigen Cides, als Bit (binary digit), der Null und der Eins, "Strom fließt - Strom fließt nicht", verarbeitet.
Dieses Prinzip soll nun auch im Fernmeldenetz, also bei der Informationsübertragung angewandet werden. Das heißt:
- die bisherige analoge Übertragung, bei der die Signale in Form von Schwingungen transportiert werden,
- wird ersetzt durch die digitale Übermittlung, bei der Spannnungsimpulse in einer festen Größe weitergegeben werden.
Die Vielzahl von Diensten, mit denen die Postgesellschaften dem rergen Kommunikationsbedürfnis der Bürger nachkommen, werden also bald auf den Transport von Nullen und Einsen, dem binärern Code, dem Bit reduziert. Durch diesen Trick können Sprache, Text, Daten und sogar Bilder über ein- und dasselbe Netz, das Integrated Services Digital Network (ISDN) verschickt werden.
Diese enorme Vereinfachung ist die Basis dafür, dass Nachrichten- und Informationstechnik im Laufe dieses Jahrzehnts zu einem Supermarkt zusammenwachsen, in dem wektweit über eine Billion Dollar umgesetzt werden. Das ist (nominal) mehr als eine Verdreifachung gegenüber heute. "Kein Monopol kann diesen Bedarf befriedigen", sieht Björn Svedberg, Präsident des schwedischen Telekom-Giganten L.M. Ericsson, den Zwang zur Kooperation zwischen Fernmeldebehörden, Telefonbaufirmen und Computerherstellern.
Bereits in den siebziger Jahren entwickelte sich unter den Nationen im Telekommunikationssektor ein erbarmungsloses Rennen um die Exportmärkte. Denn nur durch den Absatz ihrer Produkte im Ausland können die Telefonbaufirmen ihre enormen Entwicklungskosten wieder hereinspielen.
- Japans Ausfuhren an fernmeldetechnischen Einrichtungen wuchsen in der vergangenen Dekade um durchschnittlich 25 Prozent auf über drei Milliarden Dollar. Die fernöstlichze Technologie-Macht ist damit größter Weltlieferant unter den OECD-Staaten und beherrscht den Markt der südostasiatischen Schwellenländer.
- Mit einem Exportanteil von 2,4 Milliarden Dollar wurden die USA mit einem durchschnittlichen Wachstum ihrer Ausfuhren von nur 18 Prozent auf Platz 2 der Weltrangliste verdrängt. Doch mit der Liberalisierung des Fernmeldesektors und mit der durch AT&T und Philips vollzogenen Allianz stoßen sie nun mit neuer Aggressivität in die Weltmärkte vor.
- Drittgrößter Exporteur unter den OECD-Staaten war 1980 die Bundesrepublik, deren Fernmeldeindustrie ihre Ausfuhren um knapp 20 Prozent auf zwei Milliarden Dollar steigerte.
Entwicklungskosten wieder hereinspielen.
- Viertgrößter Exporteur ist Großbritannien, das in den siebziger Jahren seine Ausfuhren um lediglich 16 Prozent auf 1,2 Milliarden Dollar vergrößerte. In den sechziger Jahren waren die Briten noch die stärkste Exportmacht gewesen.
- Platz 5 der Exportrangliste teilen sich mit je einer Millarde Dollar Frankreich (Wachstum: 24 Prozent) und die Niederlande (21 Prozent).
- Die weiteren Plätze belegen Schweden (0,9 Mrd. Dollar bei einem Wachstum von 18 Prozent), Italien (0,6 Milliarden Dollar/19 Prozent), Belgien (0,5 Milliarden Dollar/20 Prozent) und Kanada 0,5 Milliarden Dollar/12 Prozent)
Sie alle kämpfen um einen Weltmarkt, der 1980 rund 40 Milliarden Dollar groß war und zu 85 Prozent durch Investitionen der Wirtschaft und der Postmonopole im klassischen Telefonsektor bestimmt wurde. Doch die Expansion dieses Marktes hat erst jetzt begonnen: Marktforschungsunternehmen prognostizieren, dass bis 1990 die Telekommunikationsmärkte (inklusive Inflation)
- in Nordamerika von 20 auf 150 Milliarden Dollar und
- in Europa und Asien von jeweils zehn auf 70 Milliarden Dollar wachsen werden,
- in Lateinamerika sich auf zehn Milliarden Dollar und
- in Afrika und Ozeanien auf fünf Milliarden Dollar jeweils verzehnfachen werden.
Vor allem auf den von satten Wachstumsraten geprägten Markt der Entwicklungsländer zielen dabei die Ambitionen der größten Exportmächte im Telekommunikationssektor. Denn von den 550 Millionen Telefonen, 560 Millionen Fernsehern, den 1,4 Millionen Fernschreibern, die heute die Erde bevölkern, gehören 90 Prozent den 15 größten Industrienationen. Das bedeutet: Die Entwicklungsländer haben einen gigantischen Nachholbedarf.
Dieses zu befriedigen, darauf sind die Telekommunikationshersteller der Industrienationen erpicht. "Jedes dritte Telefon wird im Jahr 2000 in Asien abgesetzt, heute ist es erst jedes fünft", prophezeit Horst Edgar Martin von Siemens. Er glaubt zudem, dass 1990 etwa 30 Prozent der Nachfrage an Einrichtungen im Bereich Telekommunikation aud den Entwicklungsländern kommen wird. Heute sind es nur 25 Prozent.

Sonntag, 15. März 2009

I: 4.1 Europa zwischen IBM, AT&T und der Japan AG

"Europa ist sehr müde", diagnostizierte Heinz Nixdorf, Vorstandsvorsitzender der Nixdorf Computer AG. Sein Rezept: "Europa muss durch Kooperationen lebendiger werden."
"Wir können nicht alles selbst entwickeln", setzt auch Carlo9 de Benedetti, Chef des größten europäischen Computerherstellers Olivetti, auf Kooperation. Und der Börsenanalyst Jack Summerscale von Zoete & Bevan in London: "Ohne Zusammenarbeit sind die europäischen Firmen in einem kolossalen Nachteil gegenüber den großen amerikanischen Herstellern."
Doch die Frage ist, wer kooperiert mit wem gegen wen? Und schon ist Europa zerstückelt wie eh und je. Schlimmer noch: Am wenigstens mögen sich offenbar europäische Unternehmen untereinander.
So ergab eine Untersuchung der europäischen Marktforschungsgesellschaft Reseau, Mailand, dass europäische Elektronikunternehmen von 1979 bis 1984 rund 200 Vereinbarungen über Zusammenarbeit mit anderen Firmen getroffen haben. davon
- 51 Prozent mit US-Companies,
- 31 Prozent mit japanischen Unternehmen und nur
- 18 Prozent mitanderen europäischen Gesellschaften.
"Wenn einheimische Firmen kooperieren", resümiert Pierre Chavance, Executive Managing Director bei CIT-Alcatel, dem französischen Telecom-Hersteller, "dann ist es gewöhnlich mit japanischen oder amerikanischen Firmen". Dabei sind es gerade diese, die es den Europäern an den Weltmärkten für neue Technolo9gien immer schwerer machen. Gegen sie müssten sich eigentlich gemeinsame europäische Kooperationen richten.
Nach Aussage des amerikanischen Technologieberaters Kenneth R. Sonnenclar von Gartner Group stammen "45 Prozent der Produkte im Markt für Informationsverarbeitung in Westeuropa von Unternehmen mit amerikanischer Herkunft." Und mit dem Vormarsch der Japaner glaubt er bereits an "den Tod" von Europas wichtigsten Computerfirmen, die schon jetzt - wollen sie mit den Amerikanern nicht kooperieren, sondern konkurrieren - mit Nippons Technologieriesen zusammenarbeiten müssen.
Eine neue gefährliche Abhängigkeit entsteht, aus der es kein Entkommen gibt. Keiner kann alein bestehen. Und so fühlen sich die europäischen Technologiefirmen hin und her gerissen, vor allem zwischen Kooperationspartnern aus USA und Japan. Nur als ultima ratio feassen sie schließlich auch die Gemeinschaft mit einheimischen Industrieunternehmen ins Auge.
Alles in allem fehlt es an einer einheitlichen Strategie. Uneinigkeit beherrscht die Szene. Dies zeigt sich nirgendwo deutlicher als bei der Frage, wer denn nun eigentlich Europas größte Widersacher sind. Hier klaffen die Antworten nach wie vor weit auseinander.
Jean-Pierre Brunet, der frühere französische Botaschafter in Bonn und jetzige Chef des Technologie-Konzerns Cie. Generale d'Electricité (CGE) meint: "Angesichts der klaren Übermacht der amerikanischen Giganten wie IBM und American Telephone and Telegraph wird es für uns ein Kampf ums Überleben, wenn die e3uropäischen Unternehmen nicht anfangen, miteinander zu kooperieren."
Und Robert Wilmot, Managing Direktor des britischen Computerherstellers International Computer Ltd. (ICL): "Die Amerikaner mögen glauben, dass Japan unser größter Feind sei, wir tun das nicht."
Nicht ganz klar ist, wir Dr. Karlheinz Kaske, Vostandsvorsitzender der Siemens AG, denkt: "Ich akzeptiere die Japaner als Wettbewerber, aber ich fürchte sie nicht."
Philips-Chef Wisse Dekker pläduert indes für eine "gemeinsame Front gegen die Japaner", die seiner Meinung nach nicht nur aus Europäern bestehen muss.
Für "verkalkt und unbeweglich" hält Carlo de Benedetti, allgewaltiger Chef des italienischen Computerbauers Olivetti, die Wirtschaftspolitik auf dem Alten Kontinent: "Wir in Europa neigen dazu, die alten Industrien zu schützen und die neuen nicht zu fördern." Auch er glaubt nicht, dass Europa sich aus eigener Kraft erneuern kann. Sein Rezept lautet deshalb: "Eine europäische Lösung ohne Verbindung zu Amerika ist überhaupt keine Lösung." Denn eine Partnerschaft amit europäischen Firmen allein bringt ihm nichts.
"Es ist schwierig, Vereinbarungen zu treffen, wenn man untereinander weder Märkte noch Technologien austauschen kann."
Wisse Dekker und Carlo de Benedetti haben nicht von ungefähr ihrer Skepsis gegenüber einer europäischen Exklusivlösung gemein. Sie haben beide in jüngster Zeit schlechte Erfahrungen mit europäischen Partnern (sprich: französischen Unternehmen) gemacht:
- Philips wollte 1979 von CIT-Alcatel, heute eine Tochter der CGE, die Digitaltechnik auf dem Gebiet der Fernvermittlung einkaufen - und war an der Bürokratie gescheitert.
- Olivetti hatte 1980 ein Aktienpaket von 32 Prozent an dem über 300 Jahre alten Mischkonzern Saint Gobain verkauft, das ein Jahr später im Rahmen der Verstaatlichung an CIT-Alcatel (Umsatz: 1,6 Milliarden Dollar) weitergegeben worden war. Aus der Technologie-Beteiligung war "ein reines finanzielles Investment" (Benedetti) geworden. Heute hält CIT-Alcatel nur noch zehn Prozent der Aktien.
So suchte jeder für sich außerhalb Europas einen Partner - und sie fanden schließlich beide ein und denselben: den Telefonriesen American Telephone & Telegraph. Erwarteter Umsatz 1984: 56 Milliarden Dollar.
Der 100 Jahre alte Fernmelde-Koloss drängt seit dem Verlust seiner Monopolstellung in den USA auf die internationalen Märkte, die er 1925 zugunsten von International Telephone and Telegraph (ITT) aufgegeben hatte. Nun sucht er in aller Welt, vor allem aber in Europa, starke Partner:
- Mit Philips gründete er das Gemeinschaftsunternehmen AT&T-Philips, in das die Amerikaner die Technologie (digitale Telefontechnik) und die Holländer die internationale Präsent einbringen. Das Investmentment der beiden Partner: 800 Millionen Gulden.
- Für 260 Millionen Dollar erstand AT&T 25 Prozent der Aktien von Olovetti und erhielt dadurch mit seinen Produkten Zugang zum europäischen Computer-Markt. Dem Italiener hingegen öffnet sich endgültig der US-Markt.
Klar ist dabei schon jetzt, wer als Sieger aus diesen Kooperationen hervorgehen wird: AT&T. "Dieser Gigant wird verswuchen, ebensoviel Einfluss auf Europa zu gewinnen, wie ihn derzeit nur ein anderes amerikanisches Unternehmen besitzt - IBM", meint der Technologie-Experte Dr. Karl Schlagenhauf, geschäftsführender Gesellschafter des Instituts für Angewandte Organisationsforschung GmbH in Karlsruhe.
Zuhilfe kommt AT& T dabei, dass Europa schließlich auch darüber uneinig ist, wer denn nun eigentlich der größte amerikanische Herausforderer für die einheimischen Hersteller ist: IBM oder AT&T.
Diese Machtblöcke stehen einander in einem Kampf der Giganten gegenüber. Durch das Zusammenwachsen von Datenverarbeitungg und Nachrichtentechnik sind nicht nur die europäischen Computer- und Telefonbaufirmen, sondern auch die Fernmeldebehörden und die Europäische Gemeinschaft gezwungen, sich für einen der drei Konkurrenten - Japan AG, IBM, AT&T - zu entscheiden. "Gegen alle drei zusamen können sie nichts ausrichten", meint der Branchenbeobachter Klaus Sabirowsky, geschäftsführender Gesellschafter des Softwarehauses OSP-Metra GmbH in Essen, eine seit Jahresende 1983 bestehende gemeinsame Gründung des französischen Informatik-Konzerns SEMA-METRA (2000 Mitarbeiter) und der OSP.
Schon gilt dieser Technologiekrieg als so wichtig, dass sich zunehmend die Politiker einschalten. Denn diese haben ihn letzten Endces auch initiiert: durch die von US-Regierungen angezettelten beiden großen Antitrust-Prozesse gegen IBM und AT&T waren diese Giganten in ihrem Expansionsdrang über ein Jahrzehnt lang gelähmt. Dies half den Japanern bei ihrer staatlich massiv unterstützten, beispiellosen Aufholjagd, die ohn diese Verfahren niemals so erfolgreich gewesen wären.
Jetzt wollen auch die europäischen Politiker den Ausgnag dieses Rennens beeinflussen. Mit gewaltigen Mitteln wollen sie die europäische Industrie ins Spiel bringen: durch nationale und europäische Forschungsprogramme in Milliardenhöhe. "Europaliegt zurück", konstatiert Maurice Allegre, ein hohen Beamnter am französischen Ministerium für Forschunbg und Wirtschaft. "Aber es hat noch genügend Potential Der Rückstand kommt einzig und allein von der Tatsache, dass Europa nichts anderes ist als ein Nebeneinander von Ländern."
Und dies kann sich der Alte Kontinent nicht mehr länger leisten: "Entweder wir kooperieren miteinander, oder wir werden die Satelliten von amerikanischen und japanischen Firmen", fürchtet Pierre Chanvance von CIT-Alcatel. Doch die Techno-Kolonisation Europas hat schon längst begonnen.

Samstag, 14. März 2009

I: 4.0 Die Zerreißprobe

In ihrer Angst, den technologischen Anschluss an die USA und Japan endgültig zu verlieren, betreibt Europas Fernmeldewelt und Computerindustrie eine hektische und widersprüchliche Überlebenspolitik. Schon befinden sich beide Branchen in einer gewaltigen Zerreißprobe zwischen amerikanschen Technologiemächten IBM und AT&T, die sich einen erbitterten Kampf um den alten Kontinent liefern. Im Hintergrund wartet die Japan AG, die als lächelnder Dritter ihre Chance zu wahren sucht.

Samstag, 7. März 2009

I: 3.6 Schulden statt Schuld

Zurück in das Jahr 1979. Zum ersten Mal in seiner Geschichte ging der Marktführer (Weltmarktanteil bei Universalcomputern zwischen 60 und 70 Prozent) an den öffentliuchen Kapitalmarkt und nahm eine Anleihe von einer Milliarde Dollar auf, um den Mietbedarf seiner 303X-Kunden gerecht zu werden. Die Verschuldung des Unternehmens, das einst als "Schatzkästlein" Amerikas von dem Wirtschaftsmagazin Business Week gepriesen worden war, verfüffachte sich inm dioesem Jahr von knapp 300 Millionen auf 1,6 Milliarden Dollar und hat sich seitdem nochmals verdoppelt. Gleichzeitig wuchsen innerhalb eines Jahres IBMs Investotionen in Mietmaschinen um 50 Prozent von 2,7 auf 4,2 Milliarden Dollar. Der Anteil der langfristighen Verbindlichkeiten im Vergleich zum Umsatz des Giganten stieg um 0,9 Prozent (1978) auf 9,0 Prozent (1982).
"Das ist die größte Anleihe, die seit 1970 von einem Privatunternehmen aufgenommen wurde", meinte 1979 die britische Tageszeitung "Financial Times". Bis dahin hatte IBM ihre langfristigen Kredite, die bis 1979 im Vergleich zum Eigenkapital etwa 1,3 Proztent ausmachten, stets privat bei Banken und Versicherungsgesellschaften aufgenommen.
Eine überaschende Politik für ein Unternehmen, das täglich damit rechnen musste, dass es in mehrere Einzelgesellscjhaften zerschlagen werden kann.
IBM, hätte sie dies wirklich beführchtet, wäre wohl kaum auf den Kapitalmarkt gegangen, um dort Anleihen zu zeichnen, deren Laufzeit bis in das nächste Jahrtausen reichten. Zudem hätte sie, anstatt durch äußerst attraktive Mieten ihren Kapitalbedarf aufzublähen, eher die Verkaufspolitik favorisiert.
Damals - so besagen hartnäckige Gerüchte - habe sich die IBM den gewaltigen Preissturz beim Technologiewechsel von den Vorgängermodellen der /370-Generation zur Computerserie 4300 von der amerikanischen Regierung absegnen lassen, um zu verhindern, dass die aggressive Marketing-Strategie der neuen Rechner Gegenstand des Antitrust-Verfahren wird. Die Regierung in den USA soll vor allem angesesichts der weltweit zunehmenden japanischen Herausforderung eingewilligt haben.
IBM selbst befürchtete gegen Ende der siebziger Jahre, und zu Recht, dass sie auf dem japanischen Inlandsmarkt von Position 1 (1978) auf 2 rutschen würde. So mächtig drehte Fujitsu auf. In der Tat: 1979 verdrängte hier der japanische Hersteller den Computergiganten von dem Spitzenplatz, den dieser bis heute nicht zurückerobern konnte. Und auchauf den lokalen Märkten Europasverlor der Computerriese zunehmend an Boden - durch nationale Hersteller wie Siemens, ICL oder CII-Honeywell Bull, mehr noch aber ebenfalls durch die Japaner, die mit eiropäischen Formen kooperierten.
So machten die Hersteller wie Hitachi (Nr. 4 auf der Insel) und Fujitsu der IBM das Leben auf den internationalen Computermärkten immer schwerer. Bislang konzentrierte sich dieser Kampf auf Großcomputer in der Größenordnung bis zu 10 Mio. Dollar. Doch nun stand ein Frontalangriff auf IBMs Breitenbasis, die kleineren Großrechner (bis zu einer Million Dollar) bevor. Dass IBM diesen Breitenmarkt auf jeden Fall verteidigen wollte, zeigte schon dass Vorgeplänkel zur Ankündigung der 4300er Serie: Unter dem Codewort E-Serie (E für low END) kamen 1978 aus Japan die ersten Gerüchte über die bevorstehende Ankündigung des Computers.
"Amerika ist nur noch auf zwei Märkten weltweit führend: auf dem der Landwirtschaft und dem der Informationstechnologien", warnte zu jener Zeit die New York Times und schürte damit die Angst der Amerikaner vor den Japanern, die ihnen diesen Führungsanspruch zumindest im Computerbereich offensichtlich nehmen wollten und die eine Großoffensive nach der anderen auf die amerikanische Elektronikindustrie starteten.
Angesichts der Tatsache, dass es den übrigen amerikanischen Computerherstellern im Großcomputergeschäft nicht gelungen war, während des zu jener Zeit (1979) zehn Jahre alten und die IBM in ihrem Aktionsspielraum lähmenden Antitrustprozess ernsthaft zu stoppen, sah die amerikanische Regierung wohl auch keine Veranlassung auf Produzenten wie Burroughs, Univac, NCR, Control Data und Honéywell besondere Rücksicht zu nehmen.
Die Regierung erkannte auch, dass eine in viele Einzelgesellschaften zerschlagene IBM die neue fernöstliche Herausforderung ebenfalls kaum bewältigen konnte. William Baxter, Generalstaatsanwalt und Chefankläger gegen IBM, rehabilitierte endgültig den Computergiganten: "Es ist vollkommen klar, dass IBM ihren riesigen marktanteil auf gänzlich legalem Weg erhalten hat."
Und noch etwas kam hinzu: End e1979 hatten die Japaner über 40 Prozent des Marktes für Speicherchips mit dem damals üblichen Fassungsvermögen von 16.000 Basiszeichen (16 Kilobits) besetzt. Und IBM offerierte mit ihren jüngsten Computern den Einsatz der neuen Generation von Speicherchips: die 64-Kilobit-Chips. Um zu verhindern, dass die Japaner diese Technologie monopolisierten, war die Regierung auf den Hersteller angewiesen, der als einziger Amerikaner zu diesem Zeitpunkt in nder Lage war, 64-K-Chips in Mengen herzustellen: IBM.
Diese fortschrittöliche Speichertechnologie hatte es der IBM denn auch zu verdanken, dass sie den Preissturz bei ihrer E-Serie vornehmen konnte. Angesichts der zu diesem Zeitpunkt darniederliegenden Halbleiter-Branche in den USA war die amerikanische Regierung damals gezwungen, auf das einzige Trumpf-As, über das sie verfügt, zu setzen: auf IBM.
Für den Marktführer war damit wohl endgültig klar, dass die Regierung die in dem Antitrust-Prozess erhobenen Vorwürfe nicht mehr länger aufrecht erhalten konnte oder wollte. Und als dann am 8. Januar 1982 endlich die Niederschlagung des Verfahrens proklamiert wurde, konnte der Computergigant seinen Erobderunbgsfeldzug endlich fortsetzen: Im neuen Markt der Telekommunikation, dessen Schicksal sich auf dem alten Kontinent, in Europa, entscheiden wird.

Montag, 2. März 2009

I: 3.5 Ausverkauf bei Ankündigung

Mit der Ankündigung der 4300 im Januar 1979 exerzierte der Gigant zum ersten und bislang einzigen Mal eine Strategie, die ihre gesamte Durchschlagkraft aus dem Preis holte. Das Ergebnis: Der Ausverkauf einer Computerserei fand bereits zum Ankündigungszeitpunkt statt. Daran änderte auch nichts die Preiserhöhung am 28. Dezember 1979, als IBM die meisten Preise um fünf bis sieben Prozent anhob. "Mit einem Federstrich hat IBM ihren Umsatz um eine Milliarde Dollar erhöht", kommentierte der Marktforscher S.S. "Tim" Tyler von Input in Palo Alto, Kalifornien, die Preiskorrektur gegenüber Business Week. (1) Viele Insider werteten dieses "Weihnachtsgeschenk" als ein Eingeständnis der IBM für eine verfehlte Preispolitik: Am Erfolg der Strategie des Marktherrschers änderte dies grundsätzlich nichts: die Gewinnung von Neukunden.
Mit der 4300 geriet das Preisgefüge des Computermarktes völlig durcheinander. Obwohl die Maschinen erst ein Jahr später in Mengen installiert wurden, erwarteten die Anwender, dass die Mitbewerber der IBM bereits zum Ankündigungszeitpunkt ihre Preise auf das neue Niveau senkten. Die Verkaufspläne der PCM-Anbieter (Plug Compatible Manufacturer) waren nicht einmal mehr das Papier wert.
Die AS/3.5 von Itel, 1978 als Dauerrenner gegen IBMs 4341-Vorgänger /370-138 und -148 angesetzt, verkümmerte zu einem "Ein-Jahres-Produkt" (Nuccio Condulmar, damals Präsident von Itel International in London im Frühjahr 1979). Sämtliche Pläne des aggressiven Computermixers aus San Francisco waren über den Haufen geworfen. Ein Dritel der Installationen wollte Itel 1979 mit dieser von dem kalifornischen Halbleiter-Produzenten National Semiconductor gefertigten Maschine tätigen. Als Frontalschuss gegen IBM geplant, geriuet das 1978 vorgestellte Modell AS/3-5 nun zu einem Rohrkrepierer. Schlimmer noch: Itel konnte ihren Abnahmeverpflichtungen gegenüber National Semiconductor und bei den Größtrechnern gegenüber Hitachi nicht nachkommen, der Schuldenberg wuchs ins Unermessliche (1,2 Milliarden Dollar).
Zu allem lockte die IBM mit äußerst günstigen Mietkonditionen, die von keiner Bank zu schlagen waren. Wer zum Beispiel seinen Rechner über eine Leasinggesellschaft zu ähnlichen Raten finanzieren wollte, musste einen Vier-Jahres-Mietvertrag abschließen. Bei IBM bekam er für denselben Preis bereits einen Zwei-Jahres-Mietvertrag, er konnte sich also erheblich kürzer
binden.
Heute sind rund 45.000 der bis zu 1,5 Millioen Mark teuren Computersysteme installiert, davon zwei Drittel IBM 4331, die seit Herbst 1983 zur Erweiterung auf IBM 4361 anstehen.
Amerikanischen Untersuchungen zufolge waren 1982 etwa 60bis 75 Prozent der Mittelgroßen Universalcomputer vom Typ 4300 gemietet.
IBM, die ihre Mietmaschinen zu Herstellungskosten in ihrer Bilanz als Anlagevermögen ausweist, benötigte in einem bislang ungekannten Maße Kapital, das sie aus eigener Kraft nicht mehr aufbringen konnte und wollte. Immerhin war das Anlagevermögen 1979 um zwei Milliarden Dollar auf 13,7 Milliarden gestiegen.
Woher kam dieser immense Kapitalbedarf? Die Vorfinanzierung des Mietgeschäfts der IBM 4300 konnte nicht die Ursache sein. Sie befand sich 1979 noch gar nicht in der Mengenauslieferung. Was war dann der Grund? Mittelbar war die neue Rechnerserie dennoch schuld an dem großen Sprung im Anlagevermögen der IBM. Die IBM 4300 zeigte nämlich mit ihrem sensationellen Preis-/Leistungsverhältnis eine unerwartete Fernwirkung bei den Kunden der Größtrechnerserie 303X, die sich von der bevorstehenden Ankündiugung der H-Serie - so der Codename des in der Gerüchteküche bereits wärmstens empfohlenen neuen Rechners - einen ähnlichen Preissturz erhofften.
Die Kunden wollten deshalb kurzfristig über die erst im zweiten Jahr ihres Auslieferungszyklus befindlichen Rechner vom Typ 303X disponieren, die nur als Brückenköpfe in eine völlig neue Computergeneration dienten. Durch Kauf hätten sie sich langfristig an diese Maschine gebunden. Das schinen nun gefährlich. Denn wenn das Nachfolgesystem ebenfalls mit einem solchen sensationellen Preis-/Leistungsverhältnis aufwarten würde wie die 4300, dann war die 303X-Serie alsbald am Gebrauchtmaschinenmarkt nichts mehr wert. Deshalb mieteten sie (oder leasten kurzfristig) ihre Jumbos. Mit einer solchen Fernwirkung seiner erfolgreichen 4300-Serie hatte der Marktführer wohl kaum gerechnet.
"Im Rückblick wünscht sich IBM. siehätte die Preise nicht so aggressiv angelegt", meint William R. Becklean, Wall-Street-Analyst bei Bache Halsey Shields (1)
Die vorherrschende Meinung unter den Anwendern war, dass die 303X-Serie immer nur eine Interimslösung, eine Brücke, Übergangsangebpt war. Sie galt nur als Kurzfrist-Produkt. Computerfachleute behaupten sogar, dass diese Serie technologisch sich in keiner Weise von den Vorgängern (/370-158 und -168) unterschied.
Als dann 1989 die H-Serie mit dem Prozessor-Komplex 3081-D angekündigt wurde, vollzog IBM zwar endlich den gewünschten Technologiewechsel, doch dfafür wiederholte sie nicht das günstige Preis-/Leistungsverhältnis der 4300. Zudem war die 308X für den Großteil der Kunden kurzfristig nicht verfügbar. Die Bestellorder kletterten dennoch im Laufe der weiteren Ankündigungen auf 7.000. Bis Ende 1985 rechnet man mit ingesamt 8.000 Installationen weltweit. IBM hatte die gesamte Marktnachfrage auf sich konzentriert, der sie jedoch sehr zögernd nachkam. Mit gutem Grund: Die alten Mietmaschinen der Interimslösung 303X mussten erst in Kaufmaschinen umgewandelt werden.

Freitag, 27. Februar 2009

I: 3.4 Warten auf St. Nimmerlein


„IBM ist verrückt“, kommentierte im Frühjahr 1979 Heinz Nixdorf, der erfolgreichste Computerbauer in der Bundesrepublik, die Ankündigung der IBM 4300. „IBM is confused“, meinte nicht minder kritisch James Trybig, Gründer der kalifornischen Computerfirma Tandem. Und immer wieder, wenn unter IBMern das Gespräch auf die 4300 kam, die Aussage: „Das Pricing ist falsch.“
Der sensationelle Preis der IBM 4300, der allerdings in den folgenden Monaten um etwa sieben Prozent nach oben korrigiert wurde, erhitzte damals die Gemüter. Wettbewerber, die es sich bislang unter dem breiten Preisschirm der IBM gemütlich gemacht hatten, sahen plötzlich ihre alten Felle davonschwimmen. Neue Konkurrenten wie Nixdorf, die gerade den Einstieg in IBMs Rechnermärkte vorbereiteten, vertagten ihre Entscheidungen und warteten erst einmal ab.
„Die IBM 4300 kämpft gegen alles“, klagte 1979 Carlton G. Amdahl, Sohn des legendären Computerbauers Gene Amdahl und damals noch Executive Vice President des IBM-kompatiblen Computergerstellers Magnuson, über das aggressive Pricing der zu jener Zeit brandneuen Computerserie. Er verließ Magnuson und arbeitete bis zum Frühjahr 1984 für seinen Vater in der Trilogy Corp., die von 1980 bis 1984 über 200 Millionen Dollar Risikokapital verbrauchte. Ohne Erfolg. Sohn Carlton warf erneut das Handtuch.
Gene Amdahl, der in den frühen sechziger Jahren als Chefentwickler IBMs legendäre /360 konstruiert hatte und in den siebziger Jahren seinem früheren Arbeitgeber mit der nach ihm benannten Firma Amdahl das Leben im Großrechnermarkt schwer machte, war an seinem dritten Meisterstück gescheitert: einen IBM-kompatiblen Großrechner zu bauen, der denen von Big Blue haushoch überlegen sein sollte. Doch das Auslieferungsdatum wurde von 1984 auzf 1985 auf 1986 und 1987 und schließlich auf den St. Nimmerleinstag verschoben. Gene Amdahl hätte weitere 100 Millionen Dollar Risikokapital benötigt, um sein Werk zu vollenden.
Zurück zu Magnuson- Vier Jahre lang versuchte der kleine PCMer beim Preispoker gegen den Marktführer mitzuhalten. Als dann im Herbst 1982 die IBM die ohnehin schon niedrigen Preise ihrer bis zu 1,5 Millionen Mark teuren Serie 4300 um rund 15 Prozent senkte, gab Magnuson auf: Im März 1983 stellte der kalifornische IBM-Konkurrent Antrag auf Vergleich (Chapter 11).
Einen Monat zuvor hatte bereits ein anderer Wettbewerber seine eigenen, ebenfalls auf den Markt der IBM 4300 zielenden kompatiblen Computer aus der Produktion genommen: National Semiconductor. Der kalifornische Halbleiter-Hersteller vertrieb von nun an über seine Tochtergesellschaft National Advanced Systems nur noch die mit dem IBM-Standard verträglichen Computer des Japaners Hitachi.
Selbst IBMs engagiertester Gegner im Markt für Speicherpreipherie, Storage Technology Corporation aus Boulder, Colorado, musste im Januar 1984 melden, dass sein 1981 gestarteter Versuch, einen kompatiblen Mainframe im 4300-Bereich zu entwickeln, gescheitert war. „Die Entwickler lagen im Plan zurück, so dass wir zu spät in den Markt eingestiegen wären“, kommentierte Firmengründer und Chairman Jesse Aweida seine Entscheidung, die wesentlich bestimmt wurde durch die Ankündigung neuer Rechner in der 4300-Familie im Herbst 1983.
Rund 400 Mitarbeiter musste STC, die 1983 einen Umsatzrückgang von 200 Millionen Dollar auf 886,9 Millionen Dollar verzeichnete, entlassen. Das Projekt galt als zu ehrgeizig. So wollte STC die Rechner auf der Basis von modernen CMOS-Chips entwickeln, denen bei Personal Computern eine riesige Zukunft vorausgesagt wird. Doch statt vor einem Big Business stand die Firma nun vor leeren Kassen. Sie wies im vierten Quartal 1983 einen Verlust von 35,4 Millionen Dollar aus, von denen 27,6 Millionen dem gescheiterten Mainframe-Projekt zuzuschreiben waren.Aweida, der mit Hilfe seiner IBM-kompatiblen Computer aus STC 1988 eine Zehn-Milliarden-Dollar-Firma machen wollte, erlebte dasselbe Schicksal wie ein halbes Jahr später Gene Amdahl. Beide waren zu ehrgeizig. Beide hatten den Faktor Zeit unterschätzt. Der technologische Vorsprung, den sie gegenüber IBM erzielen wollten, sollte so groß sein, dass sie den Marktführer in Preis- und Leistung lange genug ausspielen konnten, um sich in dem Markt zu etablieren. Je mehr sich die Ankündigung verspätete, desto kleiner wurde das Zeitfenster, von dem aus Gene Amdahl ebenso wie Jesse Aweida in die IBM-Welt einsteigen wollten. Am Ende mussten beide resignieren.

Samstag, 21. Februar 2009

I: 3.3 Tombola für einen Computer

Allein durch die Ankündigung dieser Rechnerfamilie holte sich IBM innerhalb weniger Wochen einen Auftragsbestand von rund zehn Milliarden Dollar. Die Nachfrage war derart groß, dass die Vertriebsbeauftragten nur noch telefonisch akquirierten. Die Klingel-Methode hatte Erfolg: 42.000 Letters on Intent (Absichtserklärungen) wurden bis Mitte 1979 weltweit von den Kunden abgegeben. Vertriebschef "C. Schulz-Wolfgramm sieht in der Überbuchung die Akzeptanz dessen, was die IBM über Datenverarbeitung zu sagen hat", schrieb damals der interne Mitteilungsdienst "DV-Informationen", aus denen die IBM-Vertriebsbeauftragten ihr Herschaftswissen beziehen. Wer eines dieser neuen Systeme (Kaufpreis zwischen 150.000 DM und 1,5 Millionen DM) bei IBM bestellte, musste mit Wartezeiten bis zu 24 Monaten rechnen. In der Stuttgarter Liederhalle veranstaltete die IBM eine Tombola, bei der in einem Losverfahren festgestellt wurde, welche Anwender als erste in den Genuss der neuen Serie kommen sollten.
"Die erste wirklich neue Generation IBM-Hardware seit neun Jahren", begrüßte das US-Magazin "Fortune" damals die neue Serie. Noch weiter in die Vergangenheit zurück ging die "New York Times". Für sie war die IBM 4300 "die erste neue Computergeneration seit 15 Jahren".
Allein in der Bundesrepublik absolvierte das extra für die 4300 gegründete "Komptenz-Center München" in den ersten 140 Tagen nach der Ankündigung 250 Kundenveranstaltungen, zu denen rund 1500 Teilnehmer kamen. "Ein Novum in der DV-Geschichte: Hard- und Software waren schon am Tage der Ankündigung einsatzbereit", prahlte die IBM-interne Branchenpublikation "DV-Informationen" mit der Erstinstallation einer 4331. Im Oktober war dann eine 4341 im "Kompetenz-Center" verfügbar.
Bereits am 28. März 1979 - zwei Monate nach der Ankündigung - lief im Werk Mainz die erste seriengefertigte 4331 vom Stabel. Knapp neun Monate später, am 12. Dezmeber, verließen die ersten vier 4341-Rechner die Fabrik. "Einer davon wird an einen deutschen Kunden ausgeliefert, drei gehen in andere europäische Länder", verbreitete das IBM-interne Mitteilungsblatt in seiner letzten Ausgabe des Jahres die frohe Botschaft, die längst den Markt durchdrungen hatte. Schon zur Hannover Messe 1979 meldete IBM intern die Rekordbesucherzahl von 40.000, die "die neuesten DV-Produkte" besichtigen wollten.
Geradezu überschwenglich begrüßte das Wirtschaftsblatt "Forbes" die Superminis, die kaum größer waren als eine Tiefkühltruhe. "Die IBM hat das Computergeschäft zweimal revolutioniert: 1964 mit der Ankündigung der /360, 1979 mit der Computerfamilie 4300."
In der Tat - die IBM 4300 bedeutet eine Revolution.

I: 3.2 Die große Wut

Als Gerd Wagner, Chef von Nixdorfs Compatible Information Systems, am Tag der 4300-Ankündigung in Sunnyvale zu einem Freundschaftsbesuch bei der Amdahl Corp., einem früheren Beteiligungsunternehmen der Paderborner (fünf Prozent bis 1977), weilte, wurde er von dem Announcement mitten in einem Meeting mit Eugene R. White, Chefkaufmann der kalifornischen Technologie-Schmiede, überrascht. Ein Amdahler hatte White einen kleinen Spickzettel mit der Auflösung des seit Monaten währenden Rätselratens um die E-Serie (Codename) zugesteckt. Im Besitz des neuen Herrschaftswissens der IBM veranstaltete Smalltalkmaster White ein Preis-Ausschreiben. "Was kostet die kleinste 4300?" befragte er seinen Gast. "130.000 Dollar" halbierte Wagner den Kaufpreis der /370-138 (Vergleichsmodell der Vorgängerserie), und er lag damit 100prozentig daneben. Denn IBMs etwa gleichstarke 4331 kostete nur 60.000 Dollar.
Niemand hatte einen derartigen Preissturz erwartet. Sie alle hatten sich zu sicher gefühlt in einem Markt, der innerhalb von vier Jahren von Null auf einen Installationsbestand von einer Milliarde Dollar hochgeschnellt war. "In der guten alten Zeit waren die Gewinnmargen lächerlich hoch, und man konnte selbst bei niedrigen Produktionszahlen und schlaffem Management bequem überleben, erinnert such Stephen Ipolito, Gründer und Chef von IPL Systems, dem PCM-Anbieter für die Control Data Corp., die damals den Vertrieb der mittelgroßen IBM-komaptiblens Mainframes in den USA besorgte. QUELLE
IBMs Preisgericht schmeckte außer dem glücklichen Anwender niemandem. Vor allem nicht der Börse. Die Aktienkurse der vollkompatiblen Wettbewerber wie Amdahl, Fujitsu, Itel, Memorex und Storage Technology Corp. (STC) purzelten in den Keller und waren Ende 1979 kaum noch die Hälfte wert. Denn nun erwarteten die Anleger einen ähnlichen Preissturz bei allen anderen PCM-lastigen IBM-Produkten.
IBMs lästigster und von der 4300 in seinen Strategien am stärksten betroffener Konkurrent, Itel. musste bereits im dritten Quartal des Jahren 176 Mio. Dollar Verluste anmelden und beendete das Jahr mit einem Verlust von 444,2 Mio. Dollar. Insgesamt stiegen die Schulden auf 1,3 Milliarden Dollar.
"1979 war ein Jahr voller Tragik und immenser Veränderungen für Itel. Die Auswirkungen dieser Störungen setzten sich 1980 fort. Eine Myriade von Problemen entstand durch den Kollaps im Computergechäft", umschrieb im Geschäftsbericht der neue Chairman James H. Moon.
"Nach der Ankündigung hat unser Management das Auftragsbarometer von der Wand genommen und in den Schrank gesperrt", erinnert sich ein ehemaliger Itel-Mitarbeiter. Nie zuvor war die IBM mit soviel Ungestüm und geballter Aggressivität in einen durch sorgfältig plazierte Gerüchte über ein Jahr lang unter Hoch-Spannung gehaltenen Markt hineingedonnert.
Anstatt noch länger durch Wohlverhalten die Entscheidung des Gerichtes und der Regierung positiv zu beeinflussen, entwickelte die IBM seit 1979 immer mehr Offensivkraft, Wagemut und Angriffslust. Sie trat mit aller Macht die Flucht nach vorne an. Die zehn Jahre lang aufgestaute Wut über den 1969 noch am letzten Tag der Johnson-Regierung angezettelten Kartell-Krieg musste raus. Der Gigant betätigte sich als Entfesselungskünstler, indem er sich elegant von den ihn einschü+chternden Antitrust-Ketten zu befreien suchte. War der Preisverfall bei Großcomputern in den Jahren von 1970 bis 1975 etwa durchschnittlich neun Prozent im Jahr gewesen, so beschleunigte IBM diesen in den folgenden Jahren auf rund 25 Proeznt, analysiert der Branchenbeobachter Robert Djurdjevic. 1979 erreichte der Preiskampf seinen bislang einzigartigen Höhepunkt: der Kunde bekam für jeden investierten Dollar viermal mehr Leistung.
"Die IBM hat sich in den vergangenen drei Jahren aufgeführt, als ob es das Justiz-Ministerium überhaupt nicht geben würde", komentierte im Janiar 1982 der Wall-Street-Analytiker Sanford Garrett von Paine-Webber die Zeit von 1979 bis zur endgültigen Niederschlagung des Antitrust-Prozesses. Doch wenn man anschaut, dann hat sie nichts getan, was den Interessen des Justice Departments widersprechen konnte. "Ich möchte klar herausstellen, dass die Antitrust-Gesetze in den Vereinigten Staaten zumindest von der Theorie her darauf ausgerichtet sind, den Verbraucher zu schützen. Ihre Absicht ist es nicht, die Wettbewerber zu protegieren", stellt Ex-IBMer Stephen Ippolito, Chef des CPU-Mixers IPL, Cambridge, klar. Und ganz im Sinne der Computeranwender war der Billgmacher IBM 4300.


I: 3.1 Der Computerschock

In keinem anderen Zeitraum der EDV-Geschichte waren die Marktchancen für die Wettbewerber so groß wie in den siebziger Jahren, als der amerikanische Antitrust-Prozess den Multi lähmte. Die Gerichtsschranken waren IBMs größte Marktbarrieren. Zehn Jahre lang - von 1969 bis 1979 - wusste der Gigant nicht, wie er sie überwinden sollte. Sein Umsatzwachstum fiel in dieser Zeit kaum höher aus als die Inflationsrate. Es waren durchschnittlich 13 Prozent "Wachstum".
Doch dann kam die Wende.
Trotz des noch immer schwebenden Verfahrens zog sich der Rechnerriese von 1979 an mit steigender Aggressivität aus der Rechts-Affäre, deren gutes Ende er einfach vorwegnahm.
Bereits gegen Ende der siebziger und zu Beginn der achtziger Jahre äußerten immer mehr Insider in den USA die Meinung, dass es niemals zu einem Urteilsspruch im "Methusalem-Prozess" gegen IBM kommen würde.
"Sie hat die besseren Anwälte und mehr Geld als die Regierung, dafür hat diese das Gericht in der Hand", machte bereits 1978 der amerikanische Branchenkenner Philip Dorn darauf aufmerksam, dass der Ausgang des Prozesses einzig und allein von der politischen Entscheidung in Washington abhängig war.
Und selbst IBMs Topmanager John Roberts Opel orakelte 1981 öffentlich: "Der Prozess gehört der Vergangenheit an", sah am 28. Januar 1979 auch Bob Erickson, damals Vizepräsident und Anwalt des kalifornischen IBM-kompatiblen Speicherspezialisten Memorex das Prozessergebnis in erster Linie als ein Politikum.
Einen Tag später, am 29. Januar 1979, schien zumindest IBM zu wissen, wie sich Washington entscheiden würde: Sie kündigte an diesem Tag ihre neuen, mittelgroßen Universalcomputer vom Tyxp IBM 4300 an. Diese Serie wie gegenüber den Vorgängermodellen ein sensationelles, um den Faktor 4 verbessertes Preis-/Leistungsverhältnis aus.
Die Ankündigung schlug bei den Wettbewerbern wie eine Bombe ein. "Das ist ein Langzeitprodukt", spekulierte einen Tag nach der Ankündigung Gary B. Friedman, Firmengründer von Itel, dem damals aggressivsten Wettbewerber der IBM im kompatiblen Computermarkt.
Er ahnte gar nicht, wie recht er hatte.
Die 4300 überdauerte nicht nur sein Unternehmen, das bereits 1979 zusammenbrach (und sich 1983 fernab von allen Computeraktivitäten wieder zurückmeldete), sondern drängte eine Fülle weiterer Wettbewerbern - von der Philips-Beteiligung Two-PI über Nanodata bis hin zu Magnuson und IPL Systems Inc. an den Rand des Ruins. IPL, an der der Italiener Olivetti beteiligt ist, machte 1983 zehn Mio. Dollar Umsatz und 4,2 Mio. Dollar Verlust.
Geschockt von dem Announcement verzichteten andere, potentielle Hersteller auf den für 1979 projektierten Einstieg ins PCM-Geschäft. "Wir haben es gecanceld", meinte Edward Faris, Chef der Computer-Division von Electronic Memories & Magnetics Corp. (EM&M), damals ein aggressiver Speichermixer im IBM-Markt. "Wir sind davon überteugt, dass dies langfristig kein großer Markt mehr sein wird. Das galt zumindest für die PCMs, die Plug Compatible Manufacturers.
"Eigentlich sind wir die einzigen Hersteller, die wirklich erfolgreich im 4300-kompatiblen Geschäft sind", meint Gerd Wagner, Gründer von Nixdorfs Compatible Information Systems (CIS) in München, die im April 1984 über 400 ihrer IBM-kompatiblen 8890-Rechner unter Vertrag hatte, wobei Nixdorf im Gegensatz zu allen anderen Wettbewerbern nichts IBMs Betriebssystem (DOS/VSE) einsetzt, sondern sehr erfolgreich eigene, kompatible Betriebssoftware (NIDOS).

I: 3.0 Der Befreiungsschlag

Herausgefordert durch den erbarmungslosen Siegszug der Japaner begann IBM 1979 mit der Eröffnung einen beispiellosen Gegenoffensive. Sie kündigte die Rechnerserie 4300 an, die sehr schnell den Computermarkt auf den Kopf stellte. Es war der erste mächtige Befreiungsschlag, mit der der Computerriese die Umklammerung durch das Antitrustverfahren in den USA brechen wollte.

Montag, 2. Februar 2009

Kapitel I: 2.10 Marktherrschaft zwischen Justiz und IBM

Ist IBM der große Verlierer? Hat die EG-Kommission mit dem seit dem 2. August 1984 ausgesetzten und damit wohl auch beendeten Verfahren genau das erreicht, was sie wollte. Wurde IBM in die Knie gezwungen?
Als "anmaßenden Eigentumsenteignung" hatte immerhin im Frühjahr 1984 John Roberts Opel, IBMs Chairman, die Ziele der EG-Kommission bezeichnet und sie gewarnt: Sollten die Kläger mit ihren Vorwürfen durchkommen, würde er sich nicht scheuen, vor den europäischen Gerichtshof in Luxemburg zu gehen. Das Verfahren, das nur auf einer Verwaltungsklage basierte, werde noch einmal aufgerollt.
IBM musste drohen. Denn die EG-Kläger hatten ein gewaltiges Strafmaß zur Verfügung. Auf der Basis von Artikel 86 der Römischen Verträge konnte IBM theoretisch zur Zahlung von vier Milliarden Dollar gezwungen werden: Das sind zehn Prozent des Umsatzes in 1983.
Als dann die EG-Entscheidung vorgelegt wurde, war von irgendwelchen finanziellen Strafen nicht zu lesen. Und damit hatte auch niemand gerechnet. Mehr noch: IBMs Weste blieb weiß. Die ursprüngliche Beschuldigung, sie würde ihre Marktmacht missbrauchen, wurde mit keinem Wort erwähnt. Im Gegenteil: IBMs Marktmacht wird auf der Basis des Kompromisses noch weiter steigen. Bislang konnte Big Blue nur über Marktanteile Macht ausüben, von nun an hat sie die absolute normative Macht über den Markt, der sich alle Wettbewerber, die bis jetzt noch in irgendeiner Form separatistische Ambitionen hatten, beugen müssen. IBM ist der Souverän.
Die kommenden Jahre werden zeigen, dass der Marktführer als der heimliche Gewinner aus diesem Prozess hervorgehen wird. Und die EG-Kommission wird bei der Rekapitulation des Verfahrens entdecken, dass sie nur einen optischen Sieg erzielte. Es wird als ein moderner Pyrrhus-Sieg in die Geschichte eingehen.
Was sind denn nun die wesentlichen Vereinbarungen dieses Kompromisses?
1. Innerhalb von 120 Tagen nach Ankündigung eines neuen oder der Änderung eines bestehenden Produktes in Europa, das auf der /370-Architektur basiert, wird IBM die Schnittstellen offenlegen.
2. IBM kann diese Vorschrift nicht dadurch umgehen, dass sie ein Produkt oder dessen Änderung zuerst in den USA ankündigt und vier Monate vor Auslieferung und Offenlegung das Announcemenbt nachholt.
3. IBM verpflichtet sich - allerdings ohne Angabe von Zeiträumen - Änderungen innerhalb ihrer Systems Network Architecture rechtzeitig bekannt zu geben.
Auf den ersten Blick mögen diese Bestimmungen als sehr hart erscheinen. Ja, sogar als äußerst fragwürdig.
Erinnern wir uns. Als die EG-Klage 1980 erhoben wurde, hatte IBM die Kommission drauf hingewiesen, dass das, was ihr hier in Europa vorgeworfen wird, auch Gegenstand des damals noch schwebenden Antitrust-Verfahrens in den USA sei. Mit Hinweis auf die europäische Souveränität, sich ihr eigenes Urteil bilden zu dürfen, hatte die EG-Kommission dieses Argument abgeschmettert. Gloeichzeitig sagte sie, dass das, was als Ergebnis des Verfahrens herauskommen werde, auch für die USA gelte. Der Hintergedanke: Durch eine zeitversetzte internationale Ankündigung hätte IBM bequem die gewünschten Offenlegungsfristen umgehen können. Doch mit der in Punkt 2 dargestellten Vereinbarung verhinderte die EG-Kommission dies.
Welch ein Rechtsempfinden! Einerseits ignorierte die EG-Kommission die Arbeiten eines amerikanischen Gerichts, andererseits verlangte sie, dass die von ihr getroffenen Anordnungen weltweit gelten. Das ist schlicht und einfach Rechtsimperialismus. Welche eine Arroganz! Das technologisch angeschlagene Europa wollte auf juristischem Wege das nachholen, was seine Unternehmen am Markt versäumt hatten.
Mit diesem Ansinnen kam die EG-Kommission nun durch. Auf solch einen Kompromiss hatte sich die IBM mit der am 2. August 1984 veröffentlichten Vereinbarung eingelassen. Warum?
Man muss das Papier genau interpretieren, um zu erkennen, dass diese Vereinbarung gerade wegen ihrer weltweiten Bedeutung eine riesige Chance für IBM enthält. Wir werden erst gegen Ende dieser Dekade im vollen Umfang ermessen, welche Auswirkungen dies haben wird.
IBM ist mit diesem Kompromiss erstmals indirekt offiziell und öffentlich von einer politischen Macht als normative Kraft anerkannt worden, wenngleich EG-Kommissar Frans Andriessen dies zu verneinen sucht. Sie fungierte bislang immer nur als eine private Industrienorm, die allein mit marktwirtschaftlichen Mitteln durchgesetzt wird. Jetzt steht hinter ihrer Schnittstellenpolitik ein öfentlicher Auftrag, der gemeinsame Wille einer politischen und einer privaten supranationalen Organisation. IBM wird darauf in Zukunft immer wieder hinweisen. Sie wird diesen Kompromiss voll zu ihrem persönlichen Vorteil auslegen.
Wir werden in den kommenden Jahren erleben, welchen immensen Machtzuwachs der Marktführer daraus kreieren wird. Von nun an ist IBM nicht nur eine Firma, sondern eine private Institution, die mit einem "öffentlichen" Auftrag ausgestattet ist, Mehr noch: Sämltliche Staaten der Europäischen Gemeinschaft stehen hinter dieser Vereinbarung. Mit ihren supra-nationalen Normen kann IBM nun ganz Europa formen.
Dabei hatte es anfangs so ausgesehen, als ob die IBM durch die EG-Kommission in eine gefährliche Defensive gedrückt worden sei, die nur mit einer Niederlage, bestenfalls mit einem Unentschieden enden konnte. IBM stand and der Wand.
Doch wie in den USA wusste sich der Marktherrscher alsbald mit allen Kräften, Kniffs und Konteraktionen gegen die Angriffe zu wehren und fing an, das Tempo des Verfahrens mehr und mehr zu bestimmen.
IBM begann ihre Verteidigung mit den bereits in amerikanischen Prozessen bewährten Methoden: Sie machte daraus zuerst einmal einen Papierkrieg. Sie setzte am 31. August 1981 der tausendseitigen Klageschrift "44 Anwälte und einen zwei Meter hohen Papierstapel entgegen", berichtet ein EG-Mitarbeiter gegenüber der britischen Sonntagszeitung Sunday Times. Das Untentschieden war erreicht.
Jetzt ging sie in die Offensive. Sie versuchte systematisch, die Gegenseite zu demoralisieren, behandelte sie wie kleine Schulbuben, disqualifizierte die Juristen der Gegenseite. Sie erklärte, die Klageschrift für "juristisch mangelhaft". Sie enthalte nicht genügend Daten, um eine entsprechende Antwort zu ermöglichen. Begriffe wie "Marktanteile" seien nicht plausibel dargestellt. Dies hatte sie auch im amerikanischen Antitrustverfahren erfolgreich gerügt. Dann holte sie zu zwei Tiefschlägen aus: Sie bezweifelte einmal, dass dieses Verfahren den Vorschriften entspricht, und zum anderen, dass die Beamten, die die Klage initiiert hatten, überhaupt im Rahmen ihrer Kompetenz gehandelt hätten.
Diese Vorwürfe kamen nicht von Ungefähr. Denn das ganze Gerichtsprozedere war mehr als ungewöhnlich. Im Gegensatz zum 1982 niedergeschlagenen Antitrustprozess der amerikanischen Regierung handelte es sich bei dieser Verwaltungsklage um ein Verfahren, bei dem die Kommission nicht nur die Rolle der untersuchenden Behöre und der Staatsanwaltschaft übernahm, sondern auch gleichzeitig das Gericht und die Richter stellte. Der Hintergrund: Dadurch konnte das Verfahren nur sehr schwer verschleppt werden.
Verärger über diese Rechtslage wollte IBM bereits im Frühjahr 1981 am europäischen Gerichtshof in Luxemburg eine Gegenklage initiieren, die jedoch abgeschmettert wurde. Auch hier die Überlegung: Das Verfahren sollte auf keinen Fall verzögert werden. Doch das war ein Fehler: Denn nun schaltete IBM auch auf Tempo um und setzte die EG unter Zeitdruck. Ein reger Schriftwechsel begann. Zudem kam jetzt der Eindruck auf, dass das Verfahren von selbstherrlichen Beamten geführt wurde, die sich Urteile über etwas anmaßten, dessen Wesen sie gar nicht verstanden.
Das Verfahren blieb also in Brüssel, und IBM änderte ihre Taktik. Sie sann weiter nach neuen Mitteln, wie sie den Prozess gänzlich in ihre Hand bekommen könnte.
Alle erwarteten, das IBM es der EG nun mit gleicher Münze heimzahlen würde. Alsbald kursierten böse Gerüchte in der EDV-Welt. IBM wolle sich aus Europa zurückziehen, falls sie den Prozess verlöre, meinten Insider. Andere behaupteten, dass sich IBM mit Investitionen in Europa zurückhalten werde.
Doch beide Gerüchte waren "gleichermaßen lächerlich", urteilten die aufmerksamen Watcher der Gartner Group. In der Tat - dies konnte nicht die Strategie sein. Denn IBM war längst Gefangene ihres eigenen Erfolgs. Sie macht seit Jahr und Tag ein Viertel ihres Weltumsatzes in Europa. Diesen Markt durfte sie nicht einfach den Japanern überlassen, die sich seit 1978 durch Kooperaionsverträge mit europäischen Unternehmen mehr und mehr in die IBM-Welt eingeschmuggelt hatten und eine ernsthafte Bedrohung für IBM darstellten. Mit einem Rückzug aus Europa hätte sie den Japanern den Markt kampflos überlassen.
Eine Einschränkung der Investitionen wäre noch gefährlicher gewesen: Die europäischen Regierungen hätten den Marktführer unter gewaltigen politischen Druck gesetzt. Man hätte ihn als Ausbeuter Europas geächtet und schließlich vor die Tür gesetzt. Die bislang stets mit schlechtem Gewissen durchgeführte Protektion nationaler Hersteller (Stichwort: EDV-Förderung) wäre plötzlich moralisch voll begründet gewesen.
IBM war viel zu listig für solche Kindereien. Sie tat genau das Gegenteil. Sie verhielt sich europäischer als die Europäer. Sie versuchte die EG-Kommission, die in Wirklichkeit nicht die Interessen europäiscjer Unternehmen, sondern japanischer und amerikanischer Firmen vertrat, ins moralische Abseits zu stellen. Und diese ging ihr in die Falle.
Schon bald stand die EG-Kommission unter einem gewaltigen psychologischem Druck. Sie erkannte, dass sie mit jedem Tag, den das Verfahren dauerte, mehr und mehr an Gesicht verlor. IBM verteilte eine Ohrfeige nach der anderen. Anstatt durch Wohlverhalten zu glänzen, wie man dies vom Angeklagten erwartet, schlug sie erbarmungslos zurück. Hinter vorgehaltener Hand kommentierte ein deutscher IBMer: "Die in Brüssel, das sind doch Amateure."
Und der Ausgang des Verfahrens zeigt, dass die Eurokraten letztlich von der Gnade IBMs abhängig waren. Mit dem Kompromiss, der in Wirklichkeiot gar keiner war, rettete der Gigant das Ansehen der Kläger, die genau wussten, dass sie die von IBM-Chairman John Opel angedrohte Forsetzung des Verfahrens vor dem Europäischen Gerichtshof in Luxemburg verlieren würden.
Trotz der Drohung passte der IBM in Wirklichkeit ein weiteres Verfahren vor dem Luxemburger Gerichtshof nicht ins Konzept, obwohl die Richter der EG-Kommission eine vernichtende Niederlage bereitet hätten. Doch derweil wäre IBM die Zeit davongelaufen. Denn sie hat große Pläne mit Europa, die sich nur verwirklichen lassen, wenn keine Rechtsunsicherheit besteht.
Die Fortsetzung des Verfahrens hätte IBM schaden können bei ihrem Bemühen, sich als eine europäische Firma darzustellen, die sich als integraler Bestandteil des alten Kontinents versteht, die nicht nur die Koexistenz, sondern auch die Kooperation mit europäischen Firmen sucht. Was nützte ihr ein später Sieg vor Gericht, wenn ihr das Verfahren derweil die Durchschlagkraft im Markt nahm?
Also suchte sie einen Kompromiss, der beiden half. Die EG-Kommission musste ihr Gesicht wahren, und IBM vergab sich nichts.
Wer das Ereignis genau analysiert, wird nach einigem Nachdenken erkennen, dass einzig und allein IBM der Sieger ist. Dabei liegt der totale Sieg in dem Kompromiss. Wenn die EG-Kommission das Verfahren sang- und klanglos eingestellt hätte, dann wäre alles so geblieben, wie es war. Jetzt aber kann IBM sagen, dass sie sich gegenüber einer supranationalen Organisation verpflichtet hat, Standards zu erlassen, die allgemein gültig sind.
Auf der Basis der am 2. August 1984 geschlossenen Vereinbarung besitzt das Privatunternehmen IBM zwar indirekt, aber dennoch offiziell das technische Gestaltungsmonopol für 50 Prozent des europäischen Marktes, den sie zwar de facto schon immer beherrschte, doch ohne eine öffentliche Legitimation. Genau die hat sie nun erhalten – ob das die EG-Kommission nun so sehen will oder nicht. Sie hat nun alle Chancen, ihre normative Kraft auf 100 Prozent des Marktes auszudehnen.
Indirekt wurde IBM von der EG-Kommission beauftragt, die europäische Informatikanwendung zu gestalten. Dies ist sicherlich nicht die Absicht der EG-Kommission, doch wird es letztlich darauf hinauslaufen. Durch die Vereinbarung hat der Gigant die Vollmacht erhalten, normativ bis in staatlich geschützte Domänen hinein zu wirken. Denn Gegenstand der Vereinbarung ist auch die Systems Network Architecture (SNA), die bislang nur private Rechnernetze steuert. Mit der Bestimmung, neuen Schnittstellen rechtzeitig bekannt zu geben, haben die Wettbewerber keinen Grund mehr zu verhindern, dass SNA auch ein öffentlicher Standard wird, der von den Postgesellschaften eingeführt wird. (Siehe auch: Die Zerreißprobe) Die britische Fernmeldeorganisation British Telecom hat ohnehin bereits Ende Juli 1984 verkündet, dass sie gemeinsam mit IBM ein Unternehmen plant, das telekommunikative Dienstleistungen auf der Basis von SNA anbieten will.
Dieser Kompromiss wird IBMs Rolle in Europa stärken und die Mitbewerber letzten Endes schwächen. Ihre Abhängigkeit von IBM wird größer. Es wird genau das Gegenteil von dem erreicht, was die Kläger wollten. Statt IBMs Marktmacht einzudämmen, wird diese nun ihren Einfluss massiv ausweiten.

Donnerstag, 29. Januar 2009

Kapitel I: 2.09 Die EG-Klage


Bei den 1972 begonnenen Voruntersuchungen zur EG-Klage befanden sich die öffentlichen Konkurrenzbeobachter in derselben Situation wie die Wettbewerber der IBM, die zu klein und zu schwach waren, um gegen den Riesen wirklich etwas ausrichten zu können. Und darum ging es denn auch in diesem Verfahren: um die als überwältigend angenommenen Marktanteile der IBM und um den Schutz der kleinen Konkurrenten auf dem alten Kontinent, wo als Marktregulativ ein finanziell und technologisch ebenbürtiger Widersacher wie AT&T in den USA fehlte. So sollte IBM eben auf juristischem Weg kontrolliert werden.
Diese Philosophie hatte sich jedenfalls der Holländer Frans Andriessen´, verantwortlich für die Wettbewerbspoltik der EG-Kommission, auf seine Fahnen geschrieben. Er wollte mit diesem Prozess verhindern, dass "IBM ihre Marktanteile künstlich ausweitet." Dies erklärte er jedenfalls am 6. Februar 1982 in dem britischen Wirtschaftsmagazin "The Economist".
Immerhin trugen die Eurokraten im Laufe der Jahre soviel Stoff zusammen, um gegen den Computer-Koloss eine insgesamt tausend Seiten umfassende Klageschrift verfassen zu können. Sehr zum Ärgernis des IBM-Topmanagements wurde dem Giganten genau das vorgeworfen, was bereits in den USA Verfahrens-Gegenstand gewesen war: wettbewerbfeindliches Verhalten in den "relevanten Märkten", wo Big Blue eine "dominante Position" besitzt.
Das ist vornehmlich der Großrechner-Bereich, wo IBM den kompatiblen Anbietern wie Amdahl, National Advanced Systems, BASF, ICL und Siemens gegenüber steht, die sich dabei heute durchweg japanischer Computer-Technologie bedienen. Nur die Amdahl Corp. (Umsatz 1983: 777 Mio. Dollar) ist noch teilweise autark. Doch ihre selbstentwickelten Systeme werden breits zu 50 Prozent in Japan von ihrem wichtigsten Aktionär Fujitsu (49 Prozent) produziert.
Es ist eindeutig das Ziel der Japaner, neben IBM zur zweitgrößten Computermacht auf diesem Markt zu werden. Auch auf dem Gebiet der kompatiblen Speicherperipherie für Großrechner wagt sich die fernöstliche Supermacht immer weiter vor. Sie kann IBM nicht schlagen, die stets erfolgreich versucht, ganze Märkte an sich zu binden. Die Japaner können jedoch die Konkurrenz der IBM von sich abhängig machen. Und genau das ist die Strategie. Schon gibt es im Speichergeschäft nur noch drei wirklich relevante amerikanische Selbstversorger, die auf den Weltmärkten tätig sind: die Storage Technology Corporation, die Burroughs-Tochter Memorex und CDC. Selbst der deutsche Speichersoezialist BASF vertreibt mittlerweile Hitachi-Platten.
Doch das große Regiment führt nach wie vor der Altmultinationale IBM. Er hat das Zepter fest in seiner Hand. Er hat die Strategie der Japaner durchschaut und funkt nun dazwischen, indem er ebenfalls Kooperationsverträge mit Wettbewerbern wie zum Beispiel Siemens eingeht. (Siehe Kapitel: Die Zerreissprobe")
IBMs mächtigstes Herrschaftsinstrument in diesem Markt ist die Systemsoftware, die sowohl auf den eigenen Maschinen als auch auf denen der kompatiblen Wettbewerber läuft. Letzteres ist nur dann gewährleistet, wenn die Wettbewerber die in der Software vorgegebenen Schnittstellen in ihrer Hardware mitvollziehen. Doch das ist leichter gesagt als getan. Die IBM versucht dies mehr und mehr zu unterbinden - und nicht zuletzt deswegen hatte sie seit 1980 die EG-Klage am Hals. "IBM-Standards sind Weltstandards, nicht nur Firmenstandards", erklärte gegenüber dem Nachrichtenmagazin "Time" Bruno Lamborghini, Forschungschef bei Olivetti, dass die IBM-Standards längst der Allgemeinheit gehören. Doch der Marktführer möchte seine Standards schützen, zumindest dort, wo er die meisten Investitionen tätigt: bei der Software.
Das Zusammenspiel zwischen Hardware und System.Software kann man vergleichen mit zwei Zahnrädern, die sich gegenseitig bewegen. Das obere Rad ist die Systemsoftware, das Betriebssystem. Dies ist heute die treibende Kraft. Das untere Zahnrad ist die Hardware, ein Konglomerat aus Chips und Drähten, das die Anweisungen der Software verarbeitet. Die Räder drehen nur dann, wenn ihre "Zähne" genau aufeinander abgestimmt sind. Wird eines der Räder verändert, so muss das andere angepasst werden. Und genau das macht IBM. Sie modifiziert unentwegt ihr Räderwerk.
Sie verlagert zum Beispiel bestimmte Programmierbefehle, die bislang Teil des Betriebssystems waren, in die Hardware, in den sogenannten Microcode, einem Programm, das direkt mit der Hardware verbunden ist. Das Ergebnis ist, dass die Maschine diese Instruktionen viel schneller ausführen kann.
Als IBM 1978 erstmals 14 Befehle des Betriebssystems MVS (Multiple Virtual Storage) in den Microcode aufnahm, brachte das eine Leistungssteigerung von 14 Prozent.
Gegen solche Tuningmassnahmen kann eigentlich niemand etwas haben. Auch nicht die EG-Kommission. Was die Eurokraten indes gegen IBM aufbrachte, war die Art und Weise, wie Big Blue diese Änderungen im Markt plazierte. Sie kündigte bislang diese Modifikationen an, sagte aber erst viele Monate später, bei der Ausliefrung ihrers Betriebssystems, wie diese Änderungen aussahen. Erst dann, wenn die Softare auf den IBM-eigenen Maschinen bereits lief, wussten die Wettbewerber, wie sie ihren Computer zu ändern hatten, damit er ebenfalls das neue Betriebssystem fahren konnte. Sie liefen also ständig der Entwicklung hinterher.
Ziel der Weihnachten 1980 gegen IBM angestrengten EG-Klage war es nun, den Marktführer dazu zu zwingen, dass er bereits vier Wochen nach Ankündigung die Schnittstellen publiziert, damit die Wettbewerber sich rechtzeitig darauf einstellen können und nicht der technischen Entwicklung unentwegt hinterherrennen müssen. Doch der Marktführer wehrte sich mit aller Kraft gegen diese Forderung. So meinte IBM-Topmanager John R. Opel, dass IBM "nicht glaubt, irgendetwas Falsches getan zu haben" (Financial Times, 31.12.1983: "Beliefs are imperatives").Und sie widersetzte sich den EG-Ansprüchen. Mit guten Gründen.
"Ich bezweifle nicht, dass unsere Wettbewerber besser mit uns konkurrieren können, wenn wir ihnen die notwendigen Informationen geben. Wir können sie auch gleich finanzieren", komentierte voller "Sarkasmus" (Wall Street Journal) Nicholas Katzenbach, IBMs mächtigster Jurist, die EG-Forderungen. (Wall Street Journal, 13.6.84: "IBM says it would appeal negative ruling in EC Case") Schon längst gäbe IBM viele technische Informationen, hinter denen zumeist immense Forschungsaufwendungen stecken, vorzeitig und freiwillig an Kunden weiter, damit diese sich rechtzeitig darauf einstellen können. "Wir tun dies, weil wir das so wollen, nicht weil man uns dies befiehlt", meinte Katzenbach im Juni 1984, sechs Wochen vor der Beilegung des Verfahrens.
Im Gegenteil: Statt mehr und frühzeitig Informationen weiterzugeben, neigt IBM inzwischen näher dazu, überhaupt keine mehr zu veröffentlichen. Seit 1983 liefert der Computerrise den Quellcode von mittlerweile über 60 Softwareprodukten nicht mehr an seine Kunden aus.
Bei diesem Sourcecode handelt es sich um das Urprogramm, in dem alle "Zahnräder" der Software haarklein aufgeführt werden. Wenngleich die EG-Kommission gegen diese Praxis nichts einzuwenden hat (sie beobachtet es nur), verlangt sie von IBM, dass diese zumindest jene "Zahnräder" definiert, die direkt auf die Hardware wirken. Diese sind die sogenannten Schnittstellen. Eine Offenlegung der gsamten Software fordert sie nicht. Warum auch? Die steckerkompatiblen Hersteller interessiert das Innenleben dieser Sofware (noch) nicht, solange sie diese auf ihre Rechner laden oder damit ihre Peripheriegeräte steuern können.
Warum will IBM ihre Software so massiv schützen? Die Gründe für diese Aktion liegen in der Zukunft.
1. Die Kunden sollen nicht mehr dazu verführt werden, die Systemsoftware nach eigenem Gutdünken zu verändern. Dabei muss man wissen, das "Zahnräder" der Systemsoftware nicht nur das Zusammenspiel mit der Hardware regelen, sondern auch mit den übergelagerten Anwendungsprogrammen. Viele Anwender haben nun solche "Zahnräder", die in ihre Applikationsprogramme hineinwirken, verändert oder durch eigene ersetzt. Dies hat in den vergangenen zwanzig Jahren zu einem enormen Wildwuchs geführt, der letzten Endes die weltweite Kompatibilität der IBM-Software gefährdet und "Releasewechsel" erschwert. Zwar sind die so veränderten Systemprogramme nach wie vor kompatibel mit der Hardware, aber die Kunden müssen nun jedemals, wenn sie eine neue, erweiteret und verbesserte Version der IBM-Programme in den Computer laden, die Änderungen, die sie vorgenommen haben, wiederholen, damit ihre Anwendungen kompatibel bleiben. Dies ist mit soviel Aufwand verbunden, dass die Anwender erst gar nicht die neue Version einsetzen, sondern ihre DV-Organisation auf der alten Software einfrieren. Dadurch entsteht eine große Gefahr für IBM: sie verliert die Kontrolle über den Software.Markt, der wie kein anderer in den kommenden Jahren ihren Umsatz und ihren Gewinn bestimmen soll.
2. Genau diese enormen Wachstumschancen im Softwaregeschäft sehen auch die Japaner, die nicht nur mit IBM-kompatibler Hardware in den Markt drängen wollen, sondern künftig auch mit eigener Software, die verträglich ist mit den Anwendungsprogrammen der IBM-Anwender. Die Entwicklung von solcher Basis-Software wird wesentlich erleichtert, wenn man IBMs Programme als Vorbild nutzen kann. Und deswegen will der Marktführer seine Software massiv schützen.
Meinte IBM-Präsident John F. Akers wenige Wochen vor der Entscheidung des EG-Verfahrens in der "Computerworld": "Wir haben es niemals als notwendig angesehen, technische Informationen zum Wohle unserer Wettbewerber zur Verfügung zu stellen. Ich kenne keine andere Branche, in der so etwas üblich ist." Und der agile IBM-Manager kannte niemanden, "inklusive der EG-Kommission, der die Autorität besitzt", von einer Technologie-Firma zu verlangen, "die Früchte ihrer Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten wegzuschenken."
Doch seit dem 2. August 1984 gibt es nun diese Autorität. IBM verpflichtete sich vor der EG-Kommission, innerhalb von vier Monaten nach Ankündigung eines neuen Produktes die Schnittstellen zwischen Hard- und Software ihrer auf System /370-Architektur basierenden Produkte offenzulegen.

Bild oben: Vorabdruck des Buches als Serie 1984 in der Computer-Zeitung

Mittwoch, 28. Januar 2009

Kapitel I: 2.08 Die Klagemauer bricht zusammen

Dennoch: Auch die Guerilla-Taktik der Vertriebsbeauftragten konnte nicht darüber hinwegtäuschen, dass die US-Regierung über ein Jahrzehnt hinweg den Riesen in seinem gewaltigen Expansionsdrang eingedämmt und seine Aggressionslust weitgehend geebremst hatte.
Die Angst vor der Zerschlagung lähmte den Riesen zumindest bis 1979. Die Kartellwächter hatten ihm den Schneid abgekauft und somit - ohne Urteil - vieles von dem erreicht, was sie erreichen wollten: Sie hatten den wilden Riesen domestiziert.
Als Dompteur spielte sich in den siebziger Jahren aber nicht nur die US-Regierung auf, sondern auch eine kleine Schar von Wettbewerbern. Ermutigt durch die Regierungsinitiative und durch Anfangserfolge zogen immer mehr IBM-Kontrahenten gegen Big Blue vors Gericht und dabei meist den kürzeren. Insgesamt gewann IBM 16 Prozesse. Gleichwohl trug dies dazu bei, IBM in ihrem Expansionsdrang auszubremsen.
Im Herbst 1973 hatte die Telex Corporation, IBM-kompatibler Peripheriehersteller, gegen ihren übermächtigen Wettbewerber das erste Verfahren in erster Instanz gewonnen. IBM, der Verletzung des Wettbewerbsrechts vorgeworfen worden war, wurde zur Zahlung von 295,5 Millionen Dollar verurteilt. Das Vor-Urteil machte mutig. Innerhalb der nächsten 13 Monate strengte mehr als ein Dutzend anderer Wettbewerber ebenfalls ein Verfahren gegen den Marktführer an. Doch 1975 erlebten sie dann ihr blaues Wunder. Ein Bundesgericht in Denver verwarf das Telex-Urteil. Alsbald wurden weitere Verfahren abgeschmettert.
1977 gewann IBM ein gegen sie von California Computer Products Inc. (Calcomp) angestrengtes Verfahren, bei dem immerhon 309 Millionen Dollar Schadensersatz zur Diskussion standen.
1978 sah sich Memorex (gehört heute zu Burroughs) mit einer 908-Millionen-Dollar-Klage abgewiesen.
1979 musste auch die Transamerica Computer Co., heute Transamerica Equipment Leasing, eine Abfuhr hinnehmen. Sie hatte 261 Millionen Dollar Schadenersatz von IBM gefordert.
Doch das Verfahren wurde von Bundesrichter Robert H. Schnacke in San Francisco niedergeschlagen. Sein Kommentar: "Es wäre eine unkluge Gesetzespolitik, Wettbewerber zu verhätscheln, vor allem dann, wenn der Schutz nur dazu dienen soll, die Wettbewerbsanstrengungen eines größeren Unternehmens zu zerstören. Gerade jene Firmen, die beschlossen haben, einen beherrschten Markt zu betreten, müssen nach Lage der Dinge darauf vorbereitet sein, dem Wettbewerb zu begegnen." Zu den von Transamerica erhobenen Vorwürfen, meinte der Richter: "Selbst wenn man annimmt, dass IBM eine Monopolstellung in den relevanten Märkten besitzt, bedeuten ihre Mietstrategien, Designänderungen und Preispolitik noch keine unerlaubten Restriktionen für den Wettbewerber."
Auch Frank T. Cary, IBMs Chairman zu jener Zeit, blies voll Zorn ins selbe Horn. "Dies ist eine innovative und hochgradig wettbewerbsorientierte Branche. Wer etwas anderes annimmt, sieht der Wirklichkeit nicht ins Auge." Doch das alles wollte Transamerica nicht einsehen. Die Gesellschaft zog vor den Obersten Gerichtshof, um sich dort Gehör zu verschaffen. Aber auch hier wurde die Klage im Oktober 1983 ohne Kommentar abgewiesen.
Die einzige Firma, die jemals im großen Stil gegen IBM vor Gericht gezogen war, ist die Control Data Corporation (CDC). Nach fünf Jahren Vorbereitung verdonnerte sie im Januar 1973 den Computerriesen in einem spektakulären Vergleich zur Zahlung von 250 Millionen Dollar. Außerdem verpflichtete sich IBM, sich in den USA aus dem Geschäft mit den Service-Rechenzentren zurück zu ziehen. Dauer des Stillhalteabkommens: zehn Jahre. CDC hatte in mühsamer Kleinarbeit eine Fülle von belastendem Material gegen IBM zusammengetragen, das im Januar 1973 in einer Nacht-Und-Nebel-Aktion von den beiden Prozessgegnern gemeinschaftlich vernichtet wurde. Während IBM sonst immer in aller Breite in ihren Geschäftsberichten auf die diversen Antitrust-Klagen einging, hatte sie in ihrem "Annual Report '73" nur ein paar dürre Worte für diesen Vergleidch übrig.
Obwohl die anderen Wettbewerber niemals diesen Erfolg wiederholen konnten, gaben sie nicht auf. Sie wechselten nur den Schauplatz: von den USA nach Europa. Hier unterstützten drei US-Wettbewerber, die IBM-kompatoblen Anbieter Amdahl, Itel und Memorex die EG-Kommission rat- und tatkräftig bei der Vorbereitung einer Verwaltungsklage gegen den Riesen wegen Mißbrauch von Marktmacht, die 1980 erhoben worden war und nach zähen Verhandlungen am 2. August 1984 mit einem Kompromiss endete. Die EG-Kommission muss sich dabei vorwerfen lassen, sich zum Spielball amerikanischer Werrbewerber gemacht zu haben.
Genua dieses Engagement außereuropäischer Anbieter erbbiterte IBM. Meinte John F. Akers, seit Februar 1983 Präsident des Multis, kurz vor der Beilegung des Verfahrens: "Es ist wichtig, sich vor Augen zu führen, dass nicht ein einziger Benutzer in der Europäischen Gemeinschaft geklagt hat, nicht ein einziger Wettbewerber in der EG hat geklagt." Es waren durchweg amerikanische Firmen, die - wie Memorex - bereits gegen IBM vor Gericht verloren hatten.
Doch auf fremde Hilfe waren die EG-Kläger angewiesen. 1972 hatten die europäischen Kartellwächter damit begonnen, gegen IBM belastendes Material zu sammeln. Kunden und Wettbewerber des Masrktführers wurden angeschrieben. DIe IBM selbst wurde um die Herausgabe diverser Akten gebeten. Trotzdem sahen sich die Antitrust-Schnüffler lange Zeit auf verlorenem Posten. Meinte damals ein Gemeinschaftsdiener gegenüber dem deutschen Geschäftsführer einer kleinen Anti-IBM-Firma, von der er Stoff für seine Prozess-Träume erhoffte: "Wass sollen unsere drei Mann schon gegen die drei Großbuchstaben ausrichten?"


Montag, 19. Januar 2009

Kapitel I: 2.07 Geheimdienst am Kunden

Ein wesentlicher Grund für den überragenden Erfolg dieses Unternehmens ist aber auch seine multinationale Verfassung, der alle 369.000 Mitarbeiter (Stand: 31.12.1983) weltweit unterworfen sind.
Sorgsam wachen die Manager des Goliaths darüber, dass keiner Mitarbeiter offiziell gegen die Geschäftsgrundsätze verstößt. In diesem hehren Codex sind unter anderem alle nach wie vor gültigen Bestimmungen aus dem Antitrustvergleich von 1956 eingearbeitet, den der Computergiganz damals mit der US-Regierung abgeschlossen hatte. An diesem Vergleich hatte übrigens auch Bundesrichter David N. Edelstein mitgewirkt, der in diesem vier Jahre währenden Verfahren ebenso den Vorsitz führte wie in dem 1982 abgeschlossenen Prozess.
IBM wirbt mit ihren Grundsätzen, wann immer sich eine Gelegenheit bietet. Sie möchte damit ihren hohen moralischen Anspruch dokumentieren. Und bei aller Kritik an der praktischen Umsetzung dieser Grundsätze muss man ihr zugestehen, dass sie sich wie kein anderer Multi bemüht, ihre supranationale Verfassung einzuhalten und gegenüber den Mitbewerbern durchzusetzen. Die IBM-Bediensteten in aller Welt sind ihr bedingungslos unterworfen.
So scheut sich der Geschäftsmoralapostel nicht, bei Verstößen gegen die heiligen Gebote spektakuläre Exempel gegen die eigenen Angestellten zu statuieren. Dies zeigt jedenfalls die Degradierung von Cornelius Schulz-Wolfgram, bis 1981 brillanter Vertriebsleiter der IBM Deutschland, der damals bei strikt verbotenen „Kompensationsgeschäften“ ertappt worden sein soll, mit denen er eine Amdahl-Offerte bei Unilever in Hamburg parieren wollte.
Diese Todsünde wider den guten Geschäftsgeist der IBM musste geahndet werden. Es war eine harte Entscheidung, nicht nur gegen „Schuwo“ oder „CSW“, wie der smarte Vertriebschef von seiner Verkaufsmannschaft kurz genannt wurde, sondern auch für die IBM Deutschland, die vom European Headquarter in Paris gedrängt worden war, den allzu offensiven Starverkäufer zu maßregeln.
In dem Schicksal von CSW spiegelt sich der moralische Zwiespalt wider, in den jeder Vertriebsmann der IBM unweigerlich geraten muss. Berichtet ein deutscher Ex-IBMer über seine täglichen Verkaufserfahrungen. „Als Vertriebsbeauftragter lebte man täglich in einem unerträglichen Zielkonflikt. Einerseits ist laut Geschäftsgrundsätze alles verboten, was man wirklich effektvoll im Kampf gegen Wettbewerber einsetzen kann. Andererseits ist der Erfolgsdruck so hoch, das man gar nicht anders kann, als zum Beispiel Konkurrenten zu diskriminieren oder einmal eine Vorankündigung zu wagen.“
Kurt Lingg, Vizedirektor des Schweizer Softwarehauses Systor AG, war in den siebziger Jahren Systems Engineer bei der IBM. Er erinnert sich: „In den Meetings passierte es regelmäßig, dass die Vertriebsbeauftragten eine leidenschaftliche Diskussion über die Antitrustbestimmungen anfingen. Die VBs wollten einfach nicht einsehen, dass ihnen in Gesprächen mit Kunden bestimmte Argumentationsweisen, die den Wettbewerbern erlaubt waren, verwehrt blieben.“
Als besonders unverständlich erschien es den Vertriebsbeauftragten, dass ein Fehlverhalten in der Schweiz Gegenstand der Antitrust-Klage in den USA werden konnte. Lingg: „Bei aller Identifikation mit der IBM - irgendwo sahen wir uns als Schweizer in unserer nationalen Souveränität betroffen.“
IBMs Geschäft blühte derweil im Verborgenen. Hin und her gerissen zwischen den persönlichen Zielen, dem Wohl der Firma sowie der Kunden und den hohen moralischen Ansprüchen der supranationalen Verfassung, machte sich selbst im Topmanagement eine ungesunde Doppelmoral breit, die fatale Folgen haben konnte.
So hatte 1978 im Vorlauf der weltweiten Ankündigung des für Verteilte Datenverarbeitung ausgelegten Computersystems IBM 8100 ein hoher Manager des Multis im Fight gegen einen Wettbewerber bei einem süddeutschen Großunternehmen sich nicht mehr anders zu helfen gewusst als den Rechner in allen damals verfügbaren Details vorab anzukündigen (Preannouncement). Der im Umgang mit dem Marktführer erfahren EDV-Chef trieb nun seinen Schabernack mit dem Starverkäufer. Er schrieb ihm einen Brief, in dem er nicht minder ausführlich die geheimen Inhalte des Vor-Verkaufsgesprächs resümierte. Das Ergebnis: Der IBMer jettete prompt zum Kunden, rückte den Brief , auf dem der Eingangsstempel fehlte, und bat den Anwender flehentlich, das Schreiben als nicht geschrieben betrachten zu dürfen. Der EDV-Chef lachte wohlwollend, nahm seinen Brief zurück – und gab dem Wettbewerber den Auftrag.
Doch in der Regel funktioniert der Geheimdienst am Kunden bestens. Noch so vage Andeutungen der Vertriebsbeauftragten über künftige Produkte verunsichern die Anwender zumeist so sehr, dass sie selbst nicht mehr fremdzugehen wagen – oder nur mit sehr starken Gewissensbissen. „Noch nie hat jemand einen Job verloren. Weil er sich für IBM entschieden hat“, meint Barry Smith, Marketing-Manager bei Apple-Computers, IBMs größtem Herausforderer im Markt der Personal Computer.
Stöhnte 1980 Michael E. Zioutas, damals Vertriebsleiter des IBM-Wettbewerbers Amdahl: „Ich habe alle Argumente auf meiner Seite. Im Gespräch mit den Kunden gelingt es mir stets, alle rationalen Bedenken aus dem Weg zu räumen – nur nicht die irrationalen.“ Und Jürgen P. Schoon, für den DB/DC-Bereich der ADV/ORGA F.A. Meyer AG verantwortlicher Manager, dessen Mannschaft in Deutschland gegen IBMs IMS-Datenbanksystem das von dem amerikanischen Softwarehaus Cullinet entwickelte IDMS rund 100mal installierte: „Es gibt keine sachlich begründeten Vorbehalte gegenüber unserem Produkt. Ich höre immer nur strategische Drohungen, an denen zumeist nichts dran ist, die aber dann so wirkungsvoll unters Volk gebracht werden, dass sich unsere EDV-Chefs sogar gegen den Rat ihrer eigenen Experten für IMS entscheiden.“
Mit dem Kürzel FUD (Fear , Uncertainty und Doubt) – so berichtet Gene Amdahl, der prominenteste aller Ex-IBMer – hatte der Gigant intern selbst diese Strategie der permanenten Verunsicherung der Kunden gekennzeichnet.
„Hochnasenstrategie“ nennt dies Nixdorf-Manager Gerd Wagner. Der Ex-IBMer ist Gründer und Chef der rund 450 Mann starken Nixdorf-Division Compatible Informations Systeme (CIS) in München, die nach zweijähriger intensiver Vorbereitung 1980 in das Geschäft mit hochkompatoblen DOS-Maschinen eingetreten war und bis April 1980 über 400 System vom Typ 8890 verkauft hat. „Mit der Floskel ‚Ob-Die-Das-Wohl-Können’ haben die IBMer immer wieder versucht, Zweifel bei den Anwendern zu säen.“