Montag, 31. Januar 2011

I: 9.1 IBMs Griff zu den Sternen - Start ins Ungewisse

Wenngleich die Satellite Business Systems kaum eine Chance hat, das Fernleitungsgeschäft von AT&T in den USA jemals ernsthaft zu gefähren, ist sie dennoch für IBM eine strategisch äußerst wichtige Waffe im Kampf mit dem Telefon-Giganten, der nicht minder ehrgeizig in das Computergeschäft eingreift.
Diese Rolle erkennen auch die Politiker, die mit aller Konsequenz die Schlacht der beiden Kolosse um den Weltmarkt der Supertechnologien in die Wege geleitet haben. Sie haben nichts mehr dagegen, dass IBM versucht, mehr und mehr die Kontrolle über die SBS zu gewinnen. Präsident Stephen B. Schwartz ist nicht nur Chef der SBS, sondern auch Vizepräsident der IBM.1983 war dies noch eine unmögliche Konstellation. Schon besitzt der blaue Riese 60 Prozent Anzeile, nachdem Comsat sich 1984 aus ihrem SBS-Engagement zurückzog. Die amerikanische Genehmigungsbehörde Federal Communications Commission (FCC) hatte 1983 das Comsat-Monopol aufgehoben. Immer mehr Anbieter dürfen Telekommunikationsdienste über eigene Satelliten mit dem Ausland aufnehmen. Das verärgert nicht nur Comsat, die um ihre Einnahmen bangen muss, sondern vor allem manche der europäischen Postgesellschaften, die einmal mehr fürchten müssen, dass nun der Preiskrieg endgültig begonnen hat.
Zudem war Comsat ihr Investement in der SBS zu hoch - und zu unsicher. So kostete der SBS-Platz am Himmel bislang eine Milliarde Dollar. Alle Welt wartet nun darauf, dass auch der dritte Partner, die Versicherungsgesellschaft Aetna Life & Casualty, die Lust verliert.
Genau darauf scheint auch IBM zu spekulieren, die nach der Liberalisierung des Telekom-Marktes in den USA hier immer stärker auftrumpft. Sie versucht, die SBS mehr und mehr unter Kontrolle zu bekommen, um ihre eigenen Pläne damit zu verwirklichen. Im Vertrieb ist die Verbindung bereits sehr eng. Seit dem 10. Mai 1984 dürfen die Vertriebsbauftragten des Multis die Dienstleistungen der Satellitenfirma verkaufen. Dies war bislang verboten.


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Donnerstag, 27. Januar 2011

I: 8.3 IBMs Griff zu den Sternen - Daten aus dem All (4)

SBS wittert ihre Chance im Telefongeschäft: Schon ist ihr größter Shareholder auch ihr größter Kunde. "Die IBM wickelt über die Nachrichtensatelliten der SBS innerhalb ihres internen Fernsprechnetzes an jedem Arbeitstag 160.000 Ferngespräche ab. Im Laufe des Jahres begann die Gesellschaft damit, Geschäfts und Fernsprechdienste anzubieten. Außerdem wurden Verträge abgeschlossen, die Telekommunikationsdienste mit Großbritannien und Italien vorsehen", schreibt der Marktführer in seinem Geschäftsbericht 1982. Der IBMer Stephen B. Schwartz, der im Januar 1984 als Präsident der SBS inthronisiert wurde, sieht in der Zerschlagung des 'neuen' Erzrivalen AT&T "eine große Marktchance, die für die SBS bislang nicht bestand." Im September 1984 schickte er einen vierten Satelliten zum Himmel. 1986 wird ein weiterer folgen. Schon plant das Unternehmen, das 2.000 Menschen beschäftigt, zwei Drittel des Umsatzes mit dem ordinären Telefonbusiness. Bis Ende 1984 will die SBS ihren Umsatz auf 280 Millionen Dollar verdoppeln und 1989 rund eine Milliarde Dollar einfahren. Das geht aber nur, wenn sie ihre Präsenz vergrößert: von 28 auf 50 bis 200 US-Städte. Aber auch in das internationale Geschäft drängt die SBS. Im Juli 1984 schloss sie mit dem kanadischen Fernmeldemonopol Telecom Canada einen Vertrag, der Kommunikationsverbindungen zu dem nördlichen Nachbarn zum Ziel hat. Und seit 1982 laufen bereits Verhandlungen mit British Telecom. Via Satellit soll der Brückenschlag zum alten Kontinent vollzogen werden.



Mittwoch, 26. Januar 2011

I: 8.3 IBMs Griff zu den Sternen - Daten aus dem All (3)

»Vor drei, vier Jahren galten Satelliten als sehr, sehr attraktiv", meint gegenüber dem Wall Street Journal EDV-Chef Joseph T. Briphy von Travelers. Doch mit der Verlegung von Glasfaserleitungen, wie sie vor allem der Telefongigant AT&T in den USA betreibt, verlieren die Satelliten am Himmel zunehmend an Bedeutung.
Hinzu kommt, dass die Anwender das orbitale Angebot für etwas ganz anderes nutzen, als es ursprünglich geplant war. Statt als privates Netzwerk, das Firmencomputer zusammenschaltet, setzten die Anwender die SBS-Satelliten für normale Telekom-Dienste ein: für Telefonverkehr.
Und auf diesen Bedarf stellt sich das Unternehmen ein, seit 1982 offeriert die SBS ihre digitalen Leitungen auch für ganz normale Telefongespräche - 30 Prozent unter dem Preis von AT&T, die sich nach der am 1.1.1984 vollzogenen Zerschlagung von ihren 22 lokalen Telefongesellschaften trennen musste. Damit hatte AT&T die wichtigsten Zulieferer für das lukrative Fernleitungsgeschäft verloren, mit dem sie etwa 40 Milliarden Dollar Umsatz macht.

Montag, 24. Januar 2011

I: 8.3 IBMs Griff zu den Sternen - Daten aus dem All (2)

Fast 30 Jahre nach dem Sputnikschock, jenem Urknall der amerikanischen Weltraumfahrt, ist IBM zu 60 Prozent (ursprünglich 33,3 Prozent) an einer Satellitengesellschaft, der Satellite Business Systems (SBS), beteiligt, die 1984 vier Hochleistungssatelliten besitzt.
1975 hatte IBM gemeinsam mit dem Satellitenbetreiber Communications Satellite Comsat und der Versicherungsgesellschaft Aetna Life & Casualty die Satellite Business Systems in McLean (Virginia) gegründet. Die Idee des Unternehmens war es ursprünglich, amerikanischen Großunternehmen neben der Datenfernverarbeitung Express-Telefax und Videoconferencing anzubieten. Sie sollten die digitalen Satellitenkanäle für den Aufbau privater Kommunikationsnetze sein.
Doch es kam ganz anders. Nachdem die SBS 1981 mit der Verfügbarkeit ihres ersten Satelliten 1981 endlich ihre Dienste anbieten konnte, zögerten die Großanwender. Sie nutzten kaum das Billigangebot der SBS für High-Speed-Data oder Telefax, geschweige denn für Videokonferenzen. Firmen wie U.S. Travelers Corp., die das himmelstürmerische Telekom-Angebot nutzen, um gewaltige Datenmengen zwischen zwei Rechenzentren auszutauschen, blieben die Ausnahme. Mit einem Verlust von 123,1 Millionen Dollar bei einem Umsatz von 141,8 Millionen Dollar in 1983 war die SBS bislang alles andere als erfolgreich.

Sonntag, 23. Januar 2011

I: 8.3 IBMs Griff zu den Sternen - Daten aus dem All (1)

IBM und viele andere Giganten waren schon immer fasziniert gewesen von den kolossalen Dimensionen des Weltraums.
So niederschmettern der Sputnick-Schock für die USA, IBM und deren gemeinsame Verbündete war, so euphorisch wurde 1965 der Fernmeldesatellit Early Bird begrüßt, der 1985 seinen 20. Geburtstag feiert. Nicht nur die Postmonopole und deren Lieferanten versprachen sich von der Pionierleistung am Erdenhimmel die Erfüllung hochgesteckter Ziele.
Die Fernsehgesellschaft American Broadcasting Corp. (ABC) wollte einen eigenen, privaten Satelliten an den Himmel heften, um den amerikanische Way of Life vor den Bildschirmen zu deutlich niedrigeren Kosten zu kultivieren. Die Visionen aus der Nachrichtentrommel, die da nun am Himmel prangte, verlockten selbst ehrwürdige Elektrogiganten zu grandiosen Spekulationen. So sah General Electric in dem gerade flügge gewordenen Early Bird den Vorboten für weltumspannende Computernetzwerke, die sich über dem Himmel zusammenschalteten. Als 1968 bei den den Olympischen Spielen in Mexico den Menschen die Fernsehübertragung via Satellite vor Augen geführt wurde, war ein weiterer Meilenstein in der Kommunikation der Kontinente erreicht.
Unbemerkt von diesen telegenen Spektakeln vollzog sich der Einsatz der Satelliten in der Datenverferarbeitung. General Electric errichtete mit Mark III das damals größte Rechnerverbundsystem der Welt. Die IBM erkannte ebenfalls die Möglichkeiten der Satellitentechnik, hatte aber ganz andere Pläne als GE. Sie wollte damit vor allem die Kommuniukationskosten senken, die damals - so glaubte man - einer schnellen Verbreitung am meisten entgegenstanden.

Samstag, 22. Januar 2011

I: 8.2 IBMs Griff zu den Sternen - Die Himmelsstürmer

Die neue Technik zog sehr schnell auch die Fernmelde-Welt in ihren Bann. Bald vereinigten sich die Telefongesellschaften und Postmonopole viele Länder zu einem Konsortium, das dieser neuen, himmelsstürmerischen Technologie zum internationalen Durchbruch verhelfen sollte: Die Kommunikation von Kontinent zu Kontinent, von Land zu Land über Satellit.
Der Name der Vereinigung: International Telecommunication Satellites (Intelsat). Heute sind 108 Nationen daran beteiligt, die sich auf dem Fernmeldesektor zu einem internationalen Satelliten-Monopol zusammengetan haben.
Der ursprünglichen Absprache zufolge darf jeder Staat für den internationalen Fernmeldeverkehr in seinem Land nur an eine einzige Organisation die Satelliten-Sende-Erlaubnis vergeben. Lizenznehmer in Europa waren klassischerweise die Postgesellschaften. Sie sollten die fernmeldehoheitlichen Rechte der Nationen vor dem Einmarsch privater, kommerzieller Telekommunikationsriesen wie ITT schützen. 1925 hatte International Telephone and Telegraph einen Großteil der Auslandstöchter von AT&T übernommen, die nur noch in den USA tätig sein durfte. Auch das Satelliten durfte AT&T nicht direkt wahrnehmen. Sie durfte zwar Leitungen mieten, aber selbst keine Satelliten besitzen. Dies war ihr aufgrund eines Beschlusses des amerikanischen Parlamentes verboten worden. Sie musste dies einer Firma überlassen, die bis heute Hauptaktionär von Intelsat ist: das amerikanische Privatunternehmen Communications Satellite Corp. (Comsat). Mitte der siebziger Jahre wickelte dieser Carrier 97 Prozent alle via Satellit geführten Auslandsgespräche von und zu den USA ab. Mehr als die Hälfte des internationalen Telefonverkehrs in Amerika erfolgte über dessen Satelliten.
Selbst AT&T musste also Satellitenleistung bei Comsat mieten, die alsbald nicht nur größter Kunde war, sondern auch der größte Auftraggeber für Intelsat. Dreiviertel des gesamten Intelsat-Umsatzes kam damals von American Telephone & Telehraph (AT&T), der auch nach der am 1. Januar 1984 vollzogenen Zerschlagung mit einem Anlagevermögen von 34 Milliarden Dollar nach wie vor reichsten Telefongesellschaft der Welt.
Die Comsat Corp. durfte wiederum nicht direkt in das Geschäft mit den Endbenutzern einsteigen. Es herrschte also eine von der US-Regierung gewollte Patt-Situation, die beiden Unternehmen keineswegs gefiel. Immer wieder vcersuchten sie, die Vorschriften zu ändern. Und sie hatten schließlich Erfolg.
Seit Anfang der achtziger Jahre darf AT&T eigene Satellitenkeitungen für Telefon und Datenübertragung anbieten und weitervermieten. Und Comsat fand bereits Mitte der siebziger Jahre einen Weg, wie sie langsam aber sicher in das Geschäft mit den Endbenutzern einsteigen konnte - über AT&Ts Erzrivalen IBM.

Freitag, 21. Januar 2011

I: 8.1 IBMs Griff zu den Sternen - Pieptöne aus dem All

Die IBM fühlte sich in ihrer multinationalen Ehre zutiefst gekränkt. Mit einem einzigen Federstrich zerstörte sie kurzerhand den aufwendigen Zeichentrickfilm, dem sie beim legendären Technicolormaler Walt Disney in Auftrag gegeben hatte. Völlig zerrüttet verzichtete der Computerriese auf jene halbe Million Mark Vorschuss, den er ein Jahr zuvor an die Disneyländer gezahlt hatte. Das war das Ende einer gigantischen Illusion, aus der die Trickkünstler die phantastischen Perspektiven eines neuen Zeitalters schmieden sollten.
Der Anlass für das missgestimmte Streichkonzert waren ein paar Pieptöne aus dem All. Ein kleiner Ball aus Gold und Magnesium, der mit einer Geschwindigkeit von 30.000 Kilometern in der Stunde um die Erde raste, lädierte das ehedem so starke Selbstbewusstsein der IBM so sehr, dass sie den Glauben an die heile Disneywelt verlor.
Ohnmächtig musste der "Gigant unter den Giganten" (Jean-Jacques Servan-Schreiber) mitansehen, wie die Russen mit ihrem Sputnik-Start am 4. Oktober 1957 die USA austricksten.
Die Blamage saß tief. Der Glaube der verbündeten Nationen an die Technologiemacht USA war erschüttert. Die IBM - gewohnt sich grundsätzlich mit dem Erfolg zu identifizieren - nahm die Schlappe geradezu persönlich. Mit Recht. Sie war nämlich 1956 von der amerikanischen Akademie der Wissenschaften beauftragt worden, die gepanten Raumfahrtprojekte der jungen Nation durch ein mächtiges Computerzentrum zu unterstützen. Und nun gehörte sie zum engsten Kreis der bis auf die Knochen blamierten Verlierer.
Als dann1965 mit Early Bird der erste kommerzielle Nachrichtensattelit über der Erde stand, der den Kontakt zwischen den USA und Europa auf 240 Fernsprechkanäle drastisch erweiterte, brach eine neue Ära an. Die Spekulationen mit der Zukunft kannten keine Grenzen mehr.

Donnerstag, 20. Januar 2011

I: 8.0 IBMs Griff zu den Sternen

»In nahezu allen Belangen erinnert das bevorstehende Gefecht zwischen den Kolossen AT&T und IBM an den Kriegsschauplatz zweier Nationen«, meinte 1978 der Branchenguru Charles P. Lecht in seinem Buch »The Waves of Change«. Schon reicht der globale Krieg bis zu den Sternen, zu denen IBM bereits in den fünfziger Jahren aufbrach. Was als Technologierennen zwischen den USA und der UdSSR begann, mündet nun in den Kampf zweier amerikanischer Privatunternehmen, die das Geschäft mit der Telekommunikation suchen. Während AT&T ihr Heimatland mit einem dichten Netz von Glasfaserkabeln überziehen will, greift IBM zu den Sternen: Sie will sich ihre Basis am Himmel schaffen, im Satellitengeschäft.

Mittwoch, 19. Januar 2011

I: 7.2 Teufel gegen Beelzebub

Die hiesigen Postgesellschaften, die allein in den siebziger Jahren die historische Chance gehabt hatten, das Schicksal Europas und seiner Technologiefirmen in einer konzertierten Aktion zu bestimmen, haben versagt. Jetzt ist es zu spät. Das Zusammenwachsen von Nachrichtentechnik und Informationsverarbeitung ist zu weit fortgeschritten.
"Die einzige 'InternationaleÄ, die auf der Basis von Gleichen zu Gleichen mit IBM in den Dialog treten kann, ist die Allianz der Fernmeldeorganisationen." So postulierten noch 19z78 dier beiden Autoren Alain Minc und Simon Nora in ihrer vor allem in Frankreich berühmten Studie "Die Informatisierung der Gesellschaft". Doch bis heute ist es nicht zu diesem Dialog gekommen. Und nun ist es zu spät. Stattdessen finden Einzelgesprächen zwischen IBM und den Postgesellschaften statt. Und der Computermulti muss sich einzig und allein mit AT&T auseinandersetzen. Die Fernmeldeorganisationen können nur noch entscheiden, ob sie in ihren jeweiligen Hoheitsgebieten den Beelzebub IBM durch den Teufel AT&T austreiben wollen. Oder umgekehrt. Genau dies bereitet der Fernmeldewelt große Sorgen. Meint Anfang August 1984 Frankreichs Postminister Louis Mexandeau gegenüber "Business Week"; Europa darf nicht erlauben, dass solche multinationale Giganten wie IBM mit ihren eigenen Standards die einzigen echten Kommunikationsnetzwerke kreieren. Sie würden ihre Wettbewerber in ein ruinöses Rennen mit der Kompatibilität stürzen."
Doch lässt sich dies wirklich noch verhindern? Haben die nationalen Computerhersteller und Amtsbaufirmen überhaupt noch irgendeine andere Chance, als sich mit einem der Giganten wie IBM und AT&T zu arrangieren? Sie müssen sich wenigstens einen dieser beiden stärksten Anbieter zum Freunde machen, die ihrerseits die in Einzelstaaten zerstückelte Welt Europas längst als integraler Bestandteil ihres globalen Plans betrachten können.
IBM und AT&T wissen, dass sie heuite unter sich den Weltmarkt aufteilen müssen, wenn sie in den neunziger Jahren der japanischen Herausforderung begegnen wollen. Denn die fernöstliche Supermacht hat ihre Kraft noch längst nicht voll entfaltet. Doch deren Ziel ist bekannt: in der kommenden Dekade wird Japan mit aller Macht den Griff zur Weltherrschaft im Markt der Supertechnologien wagen.
Nur mit Europa als Verbündeten können IBM und AT&T diesen Angriff Japans auf den Weltmärkten abwehren.



Dienstag, 18. Januar 2011

I: 7.1 Teufel gegen Beelzebub

Europa befindet sich in der Entscheidung: Kann irgend etwas den Alten Kontinent noch aus der Umklammerung durch IBM und AT&T retten? Eines ist klar: Würde alles über den Markt entschieden, so würde das Informationszeitalter in Europa - und somit auch weltweit - von dem amerikanischen Duopol regiert.
Der Zwiespalt kennzeichnet die Szene: Da setzen sich Postgesellschaften, nationale Computerhersteller und Amtsbaufirmen zusammen, um gegen IBM eigene Normen zu erlassen. Gleichzeitig fürchten sie AT&T, das jedes Machtvakuum auszufüllen sucht.
Was soll man tun? Ist Europa nicht zur Kooperation mit IBM und AT&T verurteilt? Oder können uns vielleicht die Japaner als Vorbild dienen?
Diese setzen in ihrem Inselstaat voll auf eine Liberalisierung des Fernmeldemonopols. Wenn alles gutgeht, wird Nippon Telegraph & Telephone (NTT) mitsamt seinen 330.000 Mitarbeitern ab 1. April 1985 in den freien Markt entlassen.
Die Fernmeldeorganisation, die in den zwanziger Jahren noch eine Tochtergesellschaft von American Telephone & Telegraph war, kann dies getrost tun. Denn sie errichtet derzeit das modernste Netzwerk der Welt in einem geschlossenen Markt. Sie braucht weder IBM noch AT&T zu fürchten. Und auch nicht die vier japanischen Konsortien, die sich bereits gebildet haben, um gegen NTT mit eigenen Netzwerken zu konkurrieren.
IBM Japan Ltd., einer der wichtigsten Lieferanten von NTT und deren supermodernem Information Network System (INS), hatte ebenfalls ihr Interesse an einem eigenen Netzwerk angekündigt, diese Absicht jedoch vorläufig zurückgezogen. Denn die Japaner diskutieren zur Zeit heftig, ob sie einem Ausländer erlauben sollen, alleiniger Eigentümer eines Netzes zu sein.
Die Technologiemacht Japan sperrt ganz einfach gefährliche, ausländische Wettbewerber aus. Ist dies auch ein Weg für Europa? Kann sich der alte Kontinent auf diesem Weg der Überfremdung durch IBM und AT&T erwehren?
Wohl kaum. Zu unterschiedlich sind die Interessenlagen in den einzelnen Staaten, zu sehr weichen auch die Auffassungen in den einzelnen Ländern voneinander ab, als dass es zu einer einheitlichen Konzeption kommen könnte. Es fehlt hier an einer starken, einigenden Kraft wie dem japanischen Ministerium für Handel und Industrie (MITI), das die Normen auf dem fernöstlichen Inselstaat setzt und die einheimische Industrie kompromisslos zur Zusammenarbeit verpflichtet.

Montag, 17. Januar 2011

I: 6.2 IBM - normativ und kooperativ (Teil 2)

Doch der Computergigant weiß, dass durch die Verschmelzung von Datenverarbeitung und Nachrichtentechnik ein Supermarkt der Erwartungen entsteht, den er allein nicht mehr erfüllen kann. Deshalb sucht er die Kooperation auf allen Ebenen:
"IBM bedient sich derzeit mit aller Macht externer Ressourcen, um innerhalb der nächsten fünf Jahre die Kontrolle über sämtliche neue Wachstumsmärkte zu erlangen, in denen sie bislang unterrepräsentiert ist", meinte David N. Martin, Präsident von National Advanced Systems, im Oktober 1983 gegenüber der Düsseldorfer "Wirtschaftswoche". "Sie sucht dabei jede Form der Zusammenarbeit, auf technologischem Gebiet ebenso wie im Marketing."
Dieser Wille zur Kooperation ist so stark, dass IBM sogar bereit ist, ihre normative Kraft auch einmal losgelöst von direkten, wirtschaftlichen Zielen kooperativ einzusetzen.
So formierte sich in den USA im April 1984 auf Anregung des amerikanischen Wirtschaftsministers Malcolm Baldrige ein Gremium von 15 Firmen, das auf freiwilliger Basis Standards für eine offene Computerkommunikation festlegen will. Neben Hewlett-Packard, Digital Equipment, Honeywell Informations Systems und NCR wirkt IBM mit an diesem Projekt, das genau dieselben Ziele verfolgt wie das Gespann der zwölf europäischen Firmen: die Verwirklichung des OSI-Modells der International Standardization Organisation. Zwar hält IBM diese Bemühungen insgeheim für "ideaistisch", doch sie konnte sich kaum dem Aufruf des Politikers entziehen: "Dies ist ein wichtiger Schritt in Richtung Computerkompatibilität. Große und kleine Firmen sind daran beteiligt. Dies lässt vermuten, dass die Zusammenarbeit zwischen Industrie und Regierung im vollen Umfang funktioniert, besonders auf den Gebieten der Hochtechnologien, die enorme Bedeutung für die Weltwirtschaft haben. (2)
Und unter dem Namen T-Link stellte BR Merlin, ein für den Bereich "Büroautomation" zuständiges Tochterunternehmen von British Telecom, einen Kommunikationsstandard vor, auf dessen Basis Personal Computer unterschiedlichster Hersteller miteinander verbunden werden können- Dieses Protokoll wird unter anderem unterstützt von ICL, Apple - und IBM. (3)
Dass IBM ihre Rolle als treibende und auch vereinigende Kraft begriffen hat, zeigt ihre Bereitschaft, sich an dem von der Europäischen Gemeinschaft initiierten Forschungsprojekt E.S.P.R.I.T. (European Strategic Project for Research in Information Technologies) zu beteiligen, das den Technologieherstellern der Alten Welt mit 1,3 Milliarden Dollar EG- und Privatgeldern den Weg in die Zukunft ebnen soll. (4) Ende Juli 1984 stimmte die EG-Kommission, die selbst die Beteiligung IBMs gewünscht haben soll, dem Ansinnen des Amerikaners zu und erlaubte der IBM - neben ITT - als den beiden einzigen Nicht-Europäern die Teilnahme an den langsam anlaufenden Forschungs-Projekten.
Doch dieser Wunsch stößt bei der Mehrzahl der beteiligten Europäern keineswegs auf Gegenliebe. Denn die EG-Kommission befindet sich damit im Widerspruch zu den ursprünglichen ESPRIT-Ambitionen.
Ziel des Forschungsprojektes war es bislang - laut EG-Kommission - "für die grundlegenden Technologien zu sorgen, die die europäische Industrie benötigt, um im Wettbewerb mit der japanischen und amerikanischen Industrie bestehen zu können." Hersteller mit europäischer Abstammung sollten im Bereich der Elektronik, Informatik und Telekommunikation bis 1989 an diversen Gemeinschaftsprojekten Grundlagenforschung im vorwettbewerblichen Bereich betreiben. Strittig war nun, ob IBM Europa mit ihren 100.000 europäischen Mitarbeitern, ihren 26 Fertigungsstätten auf dem Alten Kontinent, ihren zehn Milliarden Dollar Umsatz, ihrer Steuermilliarde, ihrem europäischen Management nun ein amerikanisches Unternehmen ist oder nicht.
Anfangs war IBM ausgeschlossen gewesen, durfte auch nicht an den Voruntersuchungen für ESPRIT teilnehmen. Trotz seiner 100 000 in Europa beschäftigten Mitarbeiter galt der Gigant nach wie vor als amerikanisches Unternehmen. Doch es war sehr bald fraglich, ob in der EG nicht mit zweierlei Maß gemessen werde, wenn IBM ausgesperrt bliebe: Denn die ESPRIT-Teilnehmer hatten längst zarte Bande mit dem außereuropäischen Ausland geknüpft:
- Philips kooperiert mit AT&T,
- AT&T ist Großaktionär bei Olivetti,
- Siemens arbeitet mit Fujitsu und IBM zusammen,
- ICL Ist liiert mit Fujitsu, AT&T und dem kanadischen Telefonbauer Mitel,
- der französische Staatsbetrieb Compagnie des Machines Bull ist nach wie vor mit seinem früheren Hauptaktionär Honeywell verbunden und schloss über ihn einen Vertrag mit Nippon Electric Corp. (NEC) über die Lieferung von Supercomputern,
- das italienische Telefonmonopol STET verhandelt mit IBM über eine Zusammenarbeit.
Fremdbestimmt durch ihre außereuropäischen Kooperationen sind somit auch die drei Teilhaber eines Gemeinschaftslaboratoriums auf dem Gebiet "Expertensysteme", das die drei europäischen Firmen ICL, Siemens und Compagnie des Machines Bull 1983 gründeten. Eine rein europäiche Lösung ist längst nirgends mehr in Sicht.
Lästert ein Branchenkenner: "Viele europäischen Hersteller leben längst in Bigamie mit japanischen udn amerikanischen Herstellern. Das hindert sie aber nicht daran, Moral zu predigen. Das sind doch Pharisäer."
Mit der Teilnahme IBMs am ESPRIT-Projekt ist der Computerriese voll in Europa integriert. Und das ist gut so. Denn man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass IBM eines der ganz wenigen multinationalen Unternehmen der Welt ist, dass die moralische Kraft zu einer ehrlichen und langfristig angelegten Zusammenarbeit mit einer Vielzahl von Unternehmungen der unterschiedlichsten Art und Herkunft besitzt. Die Europäer können davon nur lernen. Statt gegen IBM zu lamentieren, sollten die Wettbewerber die ausgestreckte Hand des Multis annehmen und dessen Verantwortungsbewusstsein für diese Branche dort testen, wo man allein IBMs guten Willen testen kann: in der Kooperation.
Versagt IBM allerdings, dann ist es an der Zeit, dass sich alle Gerichte dieser Welt zusammentun und die Zerschlagung des Konterns beschließen.

Sonntag, 16. Januar 2011

I: 6.1 IBM - normativ und kooperativ (Teil 1)

Trotz aller Bemühungen der Wettbewerber, IBM in ihrem Expansionsdrang zu zähmen, steht eins fest: Der Marktführer gibt nicht auf, seine Interessen durchzusetzen. Und schon deutete sich Ende Juli 1984 ein erster Erfolg an. Wie bereits erwähnt, will IBM gemeinsam mit dem Staatskonzern British Telecom, der im Hernbst 1984 privatsiert werden soll, ein Informationsnetzwerk in Großbritannien errichten. Und dieses Netzwerk wird aller Voraussicht nach auf SNA basieren.
Kalkulation von British Telecom (Umsatz 1983/84: 6,87 Milliarden Pfund): etwa die Hälfte ihrer Geschäftskunden auf der Insel sind IBM-Anwender. Gleichzeitig will BT, wenn die Privatisierung abgeschlossen ist, ihre Aktivitäten bis nach USA hin ausdehnen. Wer könnte dabei ein besserer Partner sein als IBM?
Enorme Vorteile würde auch der Computergigant aus solch einer Kooperation ziehen. Damit wäre IBM nicht nur als normative Kraft in einem bislang ausschließlich von Telekommunikationsunternehmen beherrschten Markt akzeptiert, sondern selbst Netzbetreiber in Europa. Dieses Ziel hat sie in den USA bereits mit der Gründung des Gemeinschaftsunternehmens Satellite Business Systems im Jahre 1975 erreicht, das digitale Übertragungsdienste in direkter Konkurrenz mit AT&T anbietet.
Noch zwei weitere Kooperationen in den USA zielen in Richtung Netzbetrieb":
- Im März 1984 verkündete der blaue Riese, dass er gemeinsam mit der Wall Street Firma Marrill Lynch & Co. ein Informationsnetzwerk für Börseninformationen errichten wird, das von Personal Computern über das Satellitennetz angesteuert werden kann.
- Im Februar 1984 gründete der Computerriese mit dem Fernsehsender CBS und dem größten Versandhandelshaus der Welt, Sears & Roebuck, ein Gemeinschaftsunternehmen, das in den USA Videotex (Bildschirmtext) anbieten soll. Prompt stiegen die Aktien der drei Partner an der Wall Street und sogar der Wettbewerb frohlockte: "Wir sind hocherfreut darüber, dass IBM in Videotex einsteigt. Denn die Branche leidet darunter, dass einige Leute nicht an sie glauben", meint stellvertretend für die Wettbewerber Gary Arlen, Herausgeber eines Informationsdienstes zum Thema Videotex. (1)
Damit wird eins deutlich: IBM setzt nicht nur die Normen, sondern ihr Name macht erst die Märkte, für die ihre Standards gelten. Und dieser Wirkung wird sich keiner entziehen können, der mit oder gegen IBM Geschäfte machen will.

Freitag, 14. Januar 2011

I: 5.3 Mit ISO gegen SNA (Teil 5)

Sollte IBM tatsächlich solch ein Vertrag gelingen, dann würde SNA zum ersten Mal ein öffentlicher Standard. Damit hätten die Europäer die einzigartige Chance, den Computergiganten zu einer sehr schnellen Offenlegung seiner Schnittstellen zu zwingen. Dennoch würde SNA die nationaleuropäischen Hersteller auch weiterhin plagen. Meint Dr. Reinhard Veelken, Manager im Unternehmensbereich Datenverarbeitung von Siemens: "Wir möchten nicht, dass SNA ein Standard wird. Denn jedesma, wenn es gerändert wird, weiß dies IBM zwei Jahre voraus." (3)
Die Bemühungen der europäischen Hersteller, im Verein mit AT&T die Expansion von IBMs normativer Kraft in den Bereich der öffentlichen Netze abzuwehren, haftet indes nach Meinung von Insidern "etwas Rührendes" an, wenngleich sie bereits erste Erfolge verzeichnen können. So darf IBM auf Intervention des britischen Computerherstellers ICL bei dem Projekt "Cashless Shopping", das sie gemeinsam mit British Telecom im Auftrag des Committee of London Clearing Banks (CLCB) durchführt, nicht ihr SNA einsetzen. (4)
So soll sichergestellt werden, dass auch andere Hersteller Produkte für das Netzwerk anbieten können, ohne abhängig von IBM-Standards zu sein. Zur Kontrolle des Projektes - und vor allem auch der IBM - wurde ein unabhängiges Beratungsteam installiert, das die Gemeinschaftsarbeiten beobachtet. Insider werten dies als einen Tribut an ICL, denn die Gesellschaft war sehr enttäuscht, dass sie nicht selbst den Auftrag erhalten hatte.
Und auch in der Bundesrepublik scheiterte IBM mit dem Versuch, den neuen Postdienst "Bildschirmtext" auf der Basis von SNA zu verwirklichen.

Donnerstag, 13. Januar 2011

I: 5.3 Mit ISO gegen SNA (Teil 4)

"AT&T überflutet die Standardisierungsgremien mit Leuten. Sie wollen dadurch einen Fuß in den internationalen Markt bekommen", meint Joseph Bagley, Marketingmanager bei Hewlett-Packard für Optoelektronik. "Am Ende setzt jedoch der Markt die Standards", also IBM. Und die tut natürlich alles, um ihre Interessen zu verteidigen: "IBM wird eine führende Rolle bei den Arbeiten für die Standardisierung der Kommunikationsmethoden und -protokolle übernehmen", orakelte 1979 Butler. "Dabei wird sie gleichzeitig hoffen, dass die Fortschritte nicht allzu dramatisch sind."
Sie versucht aber auch, Postgesellschaften in Europa dazu zu überreden, SNA in den öffentlichen Vermittlungsnetzen einzusetzen. Und seit dem 2. August 1984 wird ihr dies viel leichter fallen als je zuvor. Denn jetzt ist sie offiziell eine Verpflichtung zur Offenlegung der Schnittstellen eingegangen, wenngleich sie bislang keine Zusagen darüber gemacht hat, in welchem Zeitraum nach Ankündigzng sie dies tun will. "Wenn nur eine PTT SNA unterstützt, würde dies für IBM einen Riesenschritt bei ihrem Vormarsch in die Fernmeldemärkte bedeuten", meinen die Journalisten John W. Verity und Paul Tate in der Fachzeitschrift "Datamation".

Mittwoch, 12. Januar 2011

I: 5.3 Mit ISO gegen SNA (Teil 3)

Tausende von Firmen in aller Welt, hunderte allein in der Bundesrepublik haben in den siebziger Jahren begonnen, auf der Basis von SNA und eigene, private und somit exklusive Rechnernetzeaufzubauen, die über das öffentliche Leistungsnetz zusammengeschlossen werden. Sie haben Milliarden in solche Netzwerke investiert, die auf der Basis der Industrienorm Systems Network Architecture (SNA) funktionieren. Nicht die Post, sondern die privaten Endgeräte, also Computer, steuern diese Netze.
Gegen SNA wollen nun die europäischen Hersteller eine eigene Norm gemäß gemäß dem ISO-Modell OSI entwickeln, um damit IBM mehr in ihre Richtung zu zwingen. Und in dem zwischen der EG-Kommission und IBM vereinbarten Kompromiss, der die Grundlage für die Aussetzung der 1980 initiierten EG-Klage darstellt, hat sich der Marktführer bereit erklärt, Verträglichkeit zwischen SNA und OSI herzustellen. Zudem will er künftig die Schnittstellen offenlegen. Dies alles geschieht sehr zur Freude von AT&T und deren europäischen Partnern, die darin eine Chance wittern, die IBM-Norm SNA zu knacken. Der amerikanische Telefonriese setzt voll und ganz auf das ISO-Modell, das auch Vorbild beim Zusammenschluss der Computernetzwerke von AT&T und ICL ist.

Dienstag, 11. Januar 2011

I: 5.3 Mit ISO gegen SNA (Teil 2)

Auf weltweiter Basis ist hierfür die Internationale Standardisierungs-Organisation (ISO) verantwortlich, in der alle namhaften Computer- und Fernmeldefirmen mitwirken. Die ISO entwickelte seit 1977 ein Modell für die Open Systems Interconnection (OSI), bei dem offene Standards auf sieben Ebenen festgelegt werden. Doch bei der Ausfüllung der sieben Schichten mit exakt definierten Normen sind die Beteiligten noch nicht über die dritte Ebene hinausgekommen. Der Grund heißt IBM, die lange vor der ISO begann, einen eigenen Standard zu verwirklichen.
1974 kündigte IBM ihre Systems Network Architecture (SNA) an. Damals nur ein Konzept (wie das OSI-Modell), entwickelte es sich sehr schnell zu einem Kommunikationsstandard, der mittlerweile weltweit in unterschiedlichen Ausbaustufen von 60.000 Unternehmen, davon 20.000 in Europa, adaptiert wurde. Millionen von Endgeräte - Bildschirmterminals, Personal Computer, Großrechner - sind bei diesen Anwendern auf die IBM-Norm abgestimmt. Und diese Kunden stellen etwa 50 Prozent des Weltmarktes. IBMs Kommunikationsarchitektur ist nur mit sehr vielen Einschränkungen vergleichbar mit dem Schichtenmodell der ISO.


I: 5.3 Mit ISO gegen SNA (Teil 1)

"Wenn es einen globalen Krieg zwischen IBM und AT&T geben wird, ist es gut, wenn Italien auf beiden Seiten steht", zitiert die Financial Times "einen scharfen Beobachter der italienischen Telekommunikations-Szene". Er drückt damit jene Position aus, die den Europäern in diesem Kampf der Giganten am liebsten waäre: souveräne Neutralität. (1)
"Das ist der geheime Wunsch, der hinter allen Kooperationen mit und gegen IBM und AT&T steht. Auf mich wirken sie halbherzig und widersprüchlich", analysiert Klaus Sabirowsky. "Es fehlt in Europa eine klare und vor allem innovationsfreudige Kooperationsstrategie."
"In Wirklichkeit haben wir den Traum von einem sich selbst bestimmenden Europa immer noch nicht aufgegeben", meint auch der Karlsruhe Technologie-Experte Schlagenhauf.
In der Tat - trotz ihrer Kooperationen mit dem Giganten AT&T und IBM, aber auch mit den Japanern, die bereits seit Mitte der siebziger Jahre vor allem im Computerbusiness auf Zusammenarbeit setzen, wollen sich die europäischen Firmen einen Rest von Souveränität bei der Gestaltung der Telekommunikationslandschaft auf dem Alten Kontinent erhalten.
So schlossen sich am Jahresanfang 1984 die Technologiehersteller AEG, Nixorf und Siemens, GEC, ICL und Plessey (Großbritannien), Bull Thomson und CGE (Frankreich), Olivetti und STET (Italien) sowie Philips (Niederlande) zu einem Normenausschuss zusammen. Sie wollen einen europäischen Standard entwickeln, der ein Höchstmaß an Verträglichkeit zwischen den Endgeräten dieser Hersteller ermöglicht. Das Feindbild dieser Allianz: IBM.
Das Konglomerat will eine weltweite Vorreiterrolle auf dem Weg zu "offenen Systemen" spielen. Während die Postverwaltungen mit dem Einzug der Dogitaltechnik in den öffentlichen Vermittlungsanlagen ihre Netze vereinheitlichen wollen, suchen die Computerhersteller einen gemeinsamen Standard bei den Endgeräten.

Montag, 10. Januar 2011

I: 5.2 Am Rockzipfel von Mother Blue (Teil 8)

2. AT&T in Spanien
In Spanien verhandelte der Koloss mit Erfolg mit dem dortigen Wirtschaftsministerium über den Aufbau eines Halbleiterwerks für rund 200 Millionen Dollar, in denen die supermodernen Mikroprozessoren (32 Bit) hergestellt werden sollen.
Damit würde sich AT&T endgültig eine Startbasis in die Europäische Gemeinschaft sichern, in die Spanien 1986 aufgenommen werden will. Ein weiterer Coup ist dem Tele-Goliath dabei mit der halbstaatlichen Fernmeldeverwaltung Compania Telefonica Nacional de Espana geglückt, der als Partner für die Fertigungsstätte auftritt. Diese Ende Juli 1985 beschlossene Kooperation mit Telefonica ist deshalb wichtig, weil die Spanier derzeit noch eng mit ITT zusammenarbeiten - dem neuen "Erzrivalen" von AT&T. ITT will ebenfalls 200 Millionen Dollar in Spanien investieren. Das eigentliche Ziel von AT&T ist indes in greifbare Nähe gerückt. Sie will die offensichtliche Anti-AT&T-Stimmung bei der europäischen Fernmeldevereinigung CEPT durchbrechen. (13)
Fortsetzung folgt: Kapitel 5.3 Mit ISO gegen SNA

Sonntag, 9. Januar 2011

I: 5.2 Am Rockzipfel von Mother Blue (Teil 7)

1. AT&T in Großbritannien
Auf den britischen Inseln sicherte sich AT&T bereits die Zusammenarbeit des Computerherstellers ICL. Beide wollen ihre elektronischen Computernetzwerke miteinander verbinden, über die dann Kunden zum Beispiel Datenaustausch und Elektronische Post betreiben, Informationen aus Datenbanken abfragen oder Computerleistung anfordern können. Das ICL-Netzwerk ist als eine direkte Konkurrenz zu dem Gemeinschaftsprojekt von IBM und British Telecom zu verstehen, das die beiden Unternehmen derzeit planen. Diese Partner können damit als globale Netzbetreiber auf dem Markt auftreten. (9)
Dick im Geschäft mit Großbritannien ist die amerikanische Technologiemacht AT&T bei der Realisierung eines ehrgeizigen Kabelprojektes, das die USA mit dem Inselstaat verbinden soll. (10) Die beiden Länder verlegen mit einem Aufwand von 323 Millionen Dollar bis 1988 ein transatlantisches Glasfaserkabel, das die beiden Staaten miteinander verbinden wird. AT&T beteiligte sich mit 123 Millionen Dollar selbst an diesem Projekt und erhielt dafür mit 249 Millionen den Löwenanteil des Auftrags.
Das Kabel ist 4500 Kilometer lang. Seine Übertragungskapazität übertrifft die bisherigen Kupferkabel um den Faktor 4. Es kann 37.800 Telefongespräche gleichzeitig übertragen. Die Lebensdauer der langen "Lichtleitung": 25 Jahre. Insgesamt verbinden derzeit sieben Kabel die beiden Kontinente.
Mit der von der British Technology Group aufgekauften kanadischen Firma Aregon schloss AT&T Mitte 1984 einen Vertrag über die Entwicklung und Vermarktung von Videotex-Software. Aregon gilt als eine der Pioniere auf dem Gebiet Bildschirmtext.
Kein Glück hatte die US-Firma bei ihrem Versuch, den britischen Halbleiter-Hersteller Inmos aufzukaufen. Rund 45 Millionen Pfund soll der Riese der Technologieschmiede angeboten haben. Zum Zuge kam jedoch im Juli 1984 der einheimische Elektronikkonzern Thorn EMI PLC., der 95 Millionen Pfund für eine 76-Prozent-Beteiligung auf den Tisch des Hauses legte. Diesen Anteil hatte zuvor die britische Regierung gehalten. (12)

I: 5.2 Am Rockzipfel von Mother Blue (Teil 6)

4. IBM in Italien
Hier sucht IBM die Zusammenarbeit mit dem Fernmeldemonopol STET - sehr zum Ärger von Olivetti, die dagegen vergeblich intervenierte und sich bemühte, ihren Hauptaktionär AT&T ins Spiel zu bringen.
Der Relefonriese versucht nämlich mit aller Macht, in den Technologiemärkten Europas, in denen er durch die Arrangements mit Philips in Holland und Olivetti in Italien erste Marginalien gesetzt hat, noch weiter Fuß zu fassen.

Donnerstag, 6. Januar 2011

I: 5.2 Am Rockzipfel von Mother Blue (Teil 5)

3. IBM in Frankreich
In Frankreich erstellt IBM zusammen mit der französischen Post Telegraphe et Telephone (PTT) ein elektronisches Auskunftssystem. Sie verhandelt mit dem Staatskonzern CGE über eine Zusammenarbeit auf den Gebieten Telekommunikation und Datenverarbeitung. (6)
"Die Sozialisten erscheinen mehr marktorientiert zu denken als die früheren Regierungen. Die Beziehungen sind leichter und weniger formal als früher", erklärt Hervé Caron, Planungschef der IBM Frankreich, die mit den Franzosen ganz andere Erfahrungen zu machen scheint als Olivetti oder Philips, die nur noch auf Nebenschauplätzen mit den Staatsfirmen kooperieren. (7)
Immerhin ist IBM der fünftgrößte Exporteur in Frankreich und einer der wichtigsten Steuerzahler. Jean Le Garec, Planungsschef der französischen Regierung, arbeitete 26 Jahre bei der IBM, bevor er in den Staatsdienst überwechselte. Frankreich fürchtet vor allem um seine internationale Wettbewerbsfähigkeit, die sie sich durch IBM zu sichern sucht. "Unsere Größe entspricht einem Sechstel von Western Electric, einem Drittel bis zur Hälfte von ITT, der Hälfte von Siemens und zwei Drittel von L.M. Ericsson", sieht George Péberau, Managing Director von CGE, seine Firma am Schluss jener Gruppe von Telekommunikations-Herstellern, die als Sieger in dem Wettrennen um die Fernmeldemärkte hervorgehen werden. (8)

I: 5.2 Am Rockzipfel von Mother Blue (Teil 4)

2. IBM in Großbritannien
Mit British Telecom (BT), der (noch) staatlichen Fernmeldeorganisation Großbritanniens, plant IBM nicht nur Satellitennetze. (2) Hier realisiert sie zusammen mit BT und Clearing Banken ein Teleshopping-Projekt, an das in der ersten Stufe 100.000 Endgeräte angeschlossen werden sollen. (3) Sie beliefert BT mit Großrechnern. Das britische Post Office (die von der Fernmeldewelt getrennte Gelbe Post auf der Insel) orderte Anfang April 27 Telefonanlagen vom Typ IBM 1750, um dadurch sein internes Kommunikationsnetz zu erneuern. (4)
Als wirklich spektakulär muss jedoch die Ende Juli 1984 veröffentliche Absicht IBMs gewertet werden, mit British Telecom ein Gemeinschaftsunternehmen zu gründen, das als Netzbetreiber ein umfassendes Informationsnetzwerk auf der Insel errichten will. (5)

Mittwoch, 5. Januar 2011

I: 5.2 Am Rockzipfel von Mother Blue (Teil 3)

1. IBM in der Bundesrepublik Deutschland
Die Deutsche Bundespost entwickelte gemeinsam mit der IBM Deutschland GmbH den neuen Dienst "Bildschirmtext", dessen bundesweite Einführung nach einem Jahr Verspätung 1984 sukzessive vollzogen wird. Mit Siemens - so munkeln Insider - habe IBM insgeheim eine Art Stillhalteabkommen geschlossen, was von IBM energisch dementiert wird. Immerhin liefern die Münchner an den Rechnerriesen Speicherchips und vermarkten seit 1983 IBMs erfolgreiche Plattenspeicher 3380 statt der kompatiblen Produkte ihres japanischen Großrechner-Lieferanten Fujitsu.
Solche Abkommen lassen den Eindruck entstehen, dass IBM und Siemens untereinander ihre Interessen abgleichen. Es sieht so aus, als wollten sie sich nicht gegenseitig ins Gehege kommen. So verkündete IBM-Geschäftsführer Edmund Michel, zuständig für den Unternehmensbereich "Neue Märkte" (5000 Mitarbeiter), dass die deutsche Tochter sich nicht um eine Teilnahme an der Ausschreibung der Bundespost bei der Realisierung des digitalen Vermittlungsnetzes bemüht habe. Hier wie im Ausland muss Siemens zunehmend mit amerikanischer Konkurrenz fertig werden. Zum Beispiel mit ITT und deren deutschen Tochter Standard Elektrik Lorenz (SEL), die erstmals neben den Münchnern als Lieferant für öffentliche Vermittlungssysteme von der Bundespost ausgewählt worden war. Jetzt gilt es für Siemens, IBM abzuwehren. Denn durch die 1983 vollzogene Beteiligung an dem kalifornischen Telefonbauer ROLM (22 Prozent) ist der blaue Riese mittelfristig durchaus in der Lage, bei der Digitalisierung der öffentlichen Netze technologisch mitzuhalten. Schon plant der Computerhersteller Mitte 1984 die Gründung einer Gesellschaft in der Bundesrepublik, die zusammen mit Rolm private Telekommunikationsgeräte vermarkten soll.

Dienstag, 4. Januar 2011

I: 5.2 Am Rockzipfel von Mother Blue (Teil 2)

Mit dem Eindringen von AT&T in die internationalen Märkte scheint sich die restriktive Haltung der PTTs gegenüber IBM zu ändern "IBMs bevorstehender Kampf mit AT&T wird die europäischen Postgesellschaften ordentlich plagen. IBM wird deshalb die Verbindung zu den Fernmeldegesellschaften zu stärken suchen", sah bereits 1979 der britische Marktforscher David Butler eine keineswegs einseitige Annäherung zwischen dem Multinationalen und den nationalen Postgesellschaften.
Auch einige Amtsbaufirmen pflegen neuerdings den Kontakt mit dem jahrzehntelang geächteten Multi. Sie versuchen dabei, ihn als Partner zu gewinnen, um ihn nicht als Gegner fürchten zu müssen, der langfristig vor allem auf den lukrativen Telekom-Märkten der Dritten Welt den traditionellen Herstellern das Überleben schwer machen kann. Denn der Gigant sicherte sich 1983 eine auf mittlerweile über 20 Prozent ausgebaute Beteiligung an der kalifornischen Telefonbaufirma Rolm (Umsatz: 502 Millionen Dollar in 1983), deren digitale Vermittlungstechnik auch in öffentlichen Fernmeldeanlagen eingesetzt werden kann.
Noch zielt IBM lediglich auf den Markt für private Telefonanlagen. "Wir denken, dass IBM uns hilft, Nebenstellenanlagen in Europa zu vermarkten", hofft auch Rolm-Manger Richard Moley vorerst auf die private Kundschaft von Big Blue.
IBM kommt die Bereitschaft zur Kooperation der europäischen Fernmeldewelt sehr entgegen. Denn sie muss ihre von der digitalen Telekommunikation zunehmend beeinflussten Computerstandards gegenüber den Postmonopolen verteidigen, wenn sie nicht an Marktmacht verlieren will. Dies gelingt ihr eher, wenn sie die Amtsbaufirmen ebenfalls auf ihrer Seite weiß. So kristallisiert sich seit 1981 immer stärker eine Politik des "do ut des" zwischen IBM, Postgesellschaften und Amtsbaufirmen heraus.


Nachtrag: Am 31. August 1984 - als das Buch "Das blaue Wunder" bereits in Druck ging - war der Wirtschaftswoche die Deutsche Bundespost eine Titelgeschichte wert. Die Headline ließ damals wohl nichts Gutes erwarten.
Heute, 4.1.2011, war der 1000. Leser hier.

Montag, 3. Januar 2011

I: 5.1 Am Rockzipfel von Mother Blue (Teil 1)

Vor allem aus Sorge vor der Supermacht AT&T-Philips suchen nun einige der europäischen Amtsbaufirmen in bilateralen Verhandlungen Schützenhilfe bei IBM. Der Computermulti ist seit einem halben Jahrhundert in Europa präsent und beherrscht hier - wie in allen Industriestaaten - das EDV-Business. Er setzt in Europa, dem mit 27 Milliarden Dollar zweitgrößten Computermarkt der Welt, allein zehn Milliarden Dollar um und ist einer der größten Steuerzahler.
IBM drängt ebenfalls mit aller Macht in das Geschäft mit der Telekommunikation. "Wir glauben, dass es bald unmöglich sein wird, zwischen Firmen zu unterscheiden, die als Computerhersteller begannen und solchen, die der Telekommunikation entstammen", meint Kaspar V. Cassani, IBMs Europa-Präsident. "Das ist der Grund, warum wir die Telekommunikationsmärkte betreten wollen." (1)
Und John Akers, Präsident der IBM Corp., hat den Telekommunikationsmarkt bereits zu einem der wichtigsten Wachstumsmärkte erklärt, wenngleich "unser Anteil an der Kommunikationswelt sicherlich klein ist."
Das kann sich jedoch bald ändern. Bereits seit 1968 bemüht sich der US-Gigant in Europas Fernmeldewelt Fuß zu fassen. Mit einem in Frankreich entwickelten Telefoncomputer wollte der Riese damals in das lukrative Geschäft mit den Nebenstellenanlagen eindringen. Doch die Postgesellschaften verwehrten dem Newcomer den Einstieg, indem sie ihm lange Zeit für die elektronische Anlage keine reguläre Zulassung für das öffentliche Netz geben wollten.
Der heimliche Grund: Die traditionellen Telefonbaufirmen, die über die Postmonopole einen Großteil ihrer elektromechanischen Anlagen vertrieben, konnten technologisch lange Zeit nichts Gleichwertiges liefern.

Sonntag, 2. Januar 2011

I: 4.6 Aufbruch der Giganten (Teil 2)

Druck entsteht aber nicht nur bei den Netzbetreibern, sondern vielmehr bei den Amtsbaufirmen. Sie wissen, dass die einzelstaatlichen Märkte in Europa trotz des riesigen Potentials mittlerweile viel zu klein sind, um angesichts ihrer vielfältigen Betätigungsfelder als Basis für die angestrebte internationale Wettbewerbsfähigkeit dienen zu können. EG-Kommissar Viscount Etienne Davignon empfahl deshalb bereits 1981 den europäischen Postgesellschaften, ihre bislang isolierten nationalen Märkte zu öffnen und ab 1986 mindestens 10 Prozent des Investitionsvolumens an ausländische Firmen zu vergeben, um somit der europäischen Fernmeldeindustrie den Anschluss an die beiden Supermäcjte Japan und USA zu ermöglichen.
"Die allmähliche Öffnung dieser Märkte ist eine historische Chance, die wir uns auf keinen Fall entgehen lassen dürfen", meint Georges Peberau, Managing Director von CGE. (3) Gleichzeitig wollen die Postgesellschaften bei der Standardisierung der Fernmeldewelten enger zusammenarbeiten. Gerade bei diesen Bemühungen haben sie Schützenhilfe auch von den Regierungen, die - so der damalige französische Wirtschaftsminister und heutige Minitsrepräsident Laurent Fabius - dies mit "einem absolut definitiven politischen Nachdruck" forcieren wollen. (4)
Dabei lassen vor allem die Franzosen keinen Zweifel daran, dass dies eine Allianz gegen AT&T sei, aber auch - in erheblich abgemildeterer Form - gegen IBM. "Wenn es um Europa geht, entwickelt sich Frankreich mehr und mehr zur treiben Kraft", sieht der Branchenbeobachter Klaus Sabirowsky bei den deutschen Nachbarn den stärksten Gemeinschaftswillen.
So sucht der Olivetti-Kleinaktionär CIT-Alcatel (10 Prozent) mit aller Macht die Zusammenarbeit mit dem italienischen Telefonmonopol STET, mit dem bereits AT&T erfolglos verhandelte und das stark von OBM umworben wird. Mit dem spanischen Staatskonzern Telefonica wollen die Franzosen ebenfalls zusammenarbeiten. Mit dem Spanier ist ITT seit Jahren im Geschäft, in das sich aber auch AT&T kräftig einmischen will. Und IBM steht ebenfalls als Partner von Telefonica an.
Schön plädieren die Franzosen für eine Zusammenarbeit der Amtsbaufirmen CIT-Alcatel (F), Siemens (D), GEC und Plesse (GB) auf dem Gebite der Forschung und der Vermarktung von digitalen Vermittlungsanlagen, vornehmlich aus zwei Gründen:

1. Die Entwicklungskosten sind zu hoch. Allein für die Digitalisierung der Orts- und Fernvermittlung müssen die nationalen Telefonbaufirmen neue Technologien entwickeln, deren Kosten nach Erkenntnissen der EG-Kommission "je nach Hersteller zwischen 700 und 1,3 Milliarden Dollar" liegen.
Philips, das sich mit AT&T arrangierte, hat ausgerechnet, dass die Entwicklung einer kompletten Familie von digitalen Vermittlungsanlagen sogar rund zwei Milliarden Dollar kosten kann und betrachtet schon deshalb das Arrangement mit dem amerikanischen Telefongiganten als ein "Muss-Geschäft" (Vorstandsvorsitzender Dr. Wisse Dekker).
Zudem haben die Europäer einen großen Nachholbedarf bei der Entwicklung neuer Technologien. So enthalten bereits jetzt die "zweifellos umfangreichen Ausfuhren der Gemeinschaft einen wachsenden Anteil herkömmlichen Materials, das oft im Rahmen von Geschäften geliefert wird, die schon vor mehreren Jahren abgeschlossen wurden", warnt die EG-Kommission vor dem Verlust der Konkurrenzfähigkeit durch Produkte, die "für den Export häufig zu teuer" sind.
So läuft die national-europäische Fernmeldeindustrie Gefahr, die "technischen Veränderungen, die für die Informationstechnologien charakteristisch sind, aus einer Position der Schwäche angehen zu müssen" (EG-Kommission). Mit anderen Worten: Die Industrie kann mit dem internationalen, vor allem durch USA und Japan bestimmten technischen Fortschritt nicht mithalten, wo große Inlandsmärkte gemischt mit massiven öffentlichen Aufträgen und Projekten die Innovationskraft bringen. Andererseits tun sich dier Europäer ungemein schwer, allein ihren gewaltigen Inlandsmarkt innerhalb der EG so zu öffnen, um dadurch eine Position der Stärke zu gewinnen.
So bemäkelt Dr. A.E. Pannenborg, Forschungschef bei Philips: "Es ist meine Erfahrung, dass die kulturellen Unterschiede, die Sprachbarrieren und andere Hindernisse innerhalb Europas so groß sind, dass es eine Generation dauern wird, bevor wir den Punkt erreichen, an dem wir in der Lage sind, mit einem Kollegen aus einem anderen Land so zusammenzuarbeiten wie mit einem eigenen Landsmann." (5)

2. Mit dem Eindringen von AT&T-Philips gilt der Markt endgültig als völlig überlaufen. 18 Wetbewerber akquirieren weltweit mit ihrer Digitaltechnik bei den Fernmeldebehörden. Allein in der EG gibt es sechs an den internationalen Märkten und in Europa heftig konkurrierende Systeme:
  • das Elektroniche Wählsystem mit Digitaler Durchwahl (EWSD) von Siemens (Bundesrepublik),
  • das System 12 von International Telephone and Telegraph (Belgien, Bundesrepublik und - nach dem EG-Beitritt - Spanien). ITT ist mit seinem Umsatz von 20,2 Milliarden Dollar der amerikanische Joker im Rennen um die Weltmärkte. Seine digitale Fernmeldetechnologie ist mittlerweile an 16 Länder verkauft.
  • das System X von Plessey, General Electric Corp. (Großbritannien), das bislang wenig erfolgreich im Auslandsgeschäft war. Es gilt als zu ehrgeizig und kostspielig.
  • das System E.10 von CIT-Alcatel, das zunehmend internationale Bedeutung gewinnt und durch eine von der französischen Regierung gewollte Neuordnung des Telekommunikationsgeschäftes
  • das System M.25 von Thomson-CSF (Frankreich), einer bislang nicht sonderlich erfolgreichen Technologie, verdrängt,
  • das System 5ESS von AT&T, das die technologische Basis des im August 1983 von dem amerikanischen Telefonriesen und Philips gegründeten Gemeinschaftsunternehmen stellt und das seit Jahresanfang 1984 international vermarktet wird. Schon kommen erste Aufträge (zum Beispiel Kolumbien) herein.