Montag, 30. März 2009

I: 4.4 Der kategorische IBMperativ

Schaut man sich die Vergangenheit an, so basierte IBMs Marktverhalten nach Meinung des Amerikaners Howard Andcerson, Präsident der Marktforschungsfirma Yankee Group, schon immer auf zwei kategorischen Imperativen, die jedem Mitarbeiter dieses Unternehmens sorgfältig eingehämmert werden, deren Durchsetzung aber von den Telekommunikationsbehörden ständig behindert wurde:
1. Erlaube niemals, dass sich irgendjemand in Dein Verhältnis zu Deinen Kunden einschaltet.
2. Erlaube niemals, dass irgendjemand sich zwischen IBM und ihrem Wachstumsmarkt einmischt.
Genau diesen Imperativen widersprach in den siebziger Jahren zum Beispiel der Monopolbetrieb AT&T, dessen überaltertes Telekommunikationsnetz IBMs Wachstum gefährdete. Berichtet Anderson: "Das AT&T-Netz ist hervorragend geeignet für das, was es täglich übertragen muss: für Sprache. Wenn die Verbindung etwas schlecht sein sollte, spricht man einfach etwas lauter. Aber das AT&T-Netz ist miserabel, wenn es um Vermittlung von Daten geht."
Andersons Betrachtungen und das, was sich daraus für IBMs Imperative ergibt, gelten nun natürlich nicht nur für AT&T, sondern für alle Postnetze. In der Tat: Daten kann man nicht einfach lauter senden, wenn die Vermittlung schlecht ist. Und damit sind wir genau bei dem Phänomen, nach dem sich nach Meinung der IBM überall sehr unvorteilhaft in die Beziehung zwischen ihr und ihren Kunden einschaltet: die Fernmeldeorganisationen.
Rund 80 Prozent aller Computer in den USA sind heute in irgendeiner Form bereits an Übertagungsleitungen angeschlossen. Millionen von Personal Computern sollen in den achtziger Jahren ebenfalls telekommunikativ erschlossen werden. Allein aus diesen Gründen ist IBM sehr daran interessiert, einen möglichst preiswerten und hohen technischen Kommunikationsstandard durchzusetzen.
"IBMs Zukunft ist unauflöslich mit der Verfügbarkeit von billiger Datenübertragung verbunden", meint Howard Anderson. Und Frank T. Cary, Vorgänger von John R. Opel als Chief Executive Officer, erklärte 1980 gegenüber der New York Times: "Die wichtigste Aufgabe besteht darin, die Kommunikationskosten zu senken."
Mit der Beendigung des Antitrust-Verfahrens gegen AT&T hat sich die Lage nun völlig geändert. Nun ist der Telefonriese, der selbst in das Computergeschäft einsteigt, ebenfalls an einer Erneuerung der Telekommunikationsnetze brennend interessiert, nicht nur in den USA, sondern weltweit.
Dadurch wird sich die Veränderung der wohlgeordneten Telekommunikationslandschaft in den hochindustrialisierten Staaten der Erde, die diese bislang in weitgehender Unabhängigkeit voneinander aufgebaut hatten, weiter beschleunigen. Denn nun ist das Aufeinanderprallen zweier bislang streng isolierter Machtblöcke unausweichlich.
- auf der einen Seite die Telekommunikation mit einem Weltmarkt von rund 300 Milliarden Dollar, in dem 1983 allein 60 Milliarden Dollar in Fernmeldetechnik investiert wurde und der zu 70 Prozent von nationalen Postgesellschaften beherrscht wird.
- auf der anderen Seite die Informationsverarbeitung mit einem Weltmarkt von über 100 Milliarden Dollar im investiven Bereich (ohne die Personalkosten bei den Anwendern), der zu 95 Prozent von multinational organisierten Unternehmen bestimmt wird.
Diese beiden Machtblöcke nähern einander immer schneller und stellen alles in Frage: "Gedanken über eine Deregulierung der Märkte und über das Ende der Monopole, die vor wenigen Jahren noch als Häresie behandelt wurden, werden nun zu Aufgaben der öffentlichen Politik erhoben", analysiert Roberte Sageman, Chef von AT&T International, der Auslandstochter des amerikanischen Telefongiganten.
Schon entwickelt sich ein Wirtschaftskrieg, in den alte und neue Wettbewerber, Telefonbaufirmen, Netzbetreiber und Computerhersteller aller Nationen verwickelt sind. Auf dem Alten Kontinent, dem zweitgrößten Technologiemarkt der Welt, wird die Schlacht entschieden. Wer diesen Markt besitzt, beherrscht die ganze Welt. Und deswegen unternehmen die beiden Industriegiganten IBM und AT&T die größten Anstrengungen, um Partner zu gewinnen. Während sich IBM europäischer gibt als die Europäer, schmückt sich AT&T mit zwei der nobelsten Firmen innerhalb der EG, mit Philips und Olivetti.
Gestützt auf eine starke europäische Basis werden sich die beiden Riesen dann auf den Weltmärkten einen gnadenlosen Machtkampf liefern - zum Schrecken der Wettbewerber und zum Wohl der (längst) Vereinigten Staaten von Amerika, die damit ihre technische Überlegenheit gegenüber den Japanern behaupten wollen.
Wo immer die beiden Supermächte gegeneinander antreten, werden es Nippons Technologieschmieden es ungemein schwer haben - in Europa, in der Dritten Welt, in den USA. Eine neue Form amerikanischen Industrie-Imperialismus entsteht.
Fortsetzung folgt

Samstag, 28. März 2009

I: 4.3 Die zerstörte Ordnung

Obwohl 1980 für die Übertragung von Computerdaten nur 2,5 Prozent oder fünf Milliarden Dollar der Weltausgaben für Telekommunikation aufgewandct wurden, schickt sich die Informationstechnik mit aller Kraft an, die gute, alte Fernmeldewelt völlig umzukrempeln.
Monopole brechen auseinander. Immer mehr Wettbewerber treten auf den bislang sorgsam geschützten National-Plan der Postgesellschaften. Heimatmärkte öffnen sich unter dem Druck und Ansturm der neuen und alten Kontrahenten, die durch den unverhüllt demonstrierten Ehrgeiz von IBM und AT&T aufgeschreckt sind und sich nicht mehr an die Stillhalte-Abkommen der Vergangenheit gebunden fühlen.
Der Technologiekroieg droht allenthalben die alte Ordnung der Telekommunikation zu zerstören, die dadurch entstand, dass vor 50 Jahren unter dem Schutz der nationalen Fernmeldemonpole mächtige Telefonbaufirmen gegründet wurden, die besonders in den klassischen Industrieländern die heimischen Märkte weitgehend für sich allen beanspruchten und zunehmend auf den internationalen Märkten der Dritten Welt heftig miteinander konkurrierten:
- Siemens, SEL (ITT), AEG.Telefunken in der Bundesrepublik Deutschland,
- Plessey, Standard Telephone & Cables (bis 1982 mehrheitlich ITT) und General Electric Corp. (GEC) in Großbritannien,
- Thomson-CSF, CIT-Alcatel und CGCT (bis 1982 eine ITT-Beteiligung) in Frankreich,
- Philips in den Niederlanden,
- Italtel in Italien.
- L.M. Ericsson in Schweden,
- Fujitsu, Nippon Electric Corporation (NEC) und Oki in Japan,
- Northern Telecom und Mitel in Kanada
- Western Electric (heute AT&T Techn ologies Inc., hundertprozentige Tochter des ehemaligen Telefonmonopols AT&T), General Telephone and Electronics (GTE) und MCI in den USA.
Es war alles in allem eine heile Welt, in der keiner dem anderen allzu sehr ins Gehege kam: "Die nationalen Postverwaltungen der Industrieländer konzentrierten bisher ihre Nachfrage nach fernmeldetechnischen Einrichtungen fast ausschließlich auf inländische Anbieter. Es bestand deshalb eine Vielzahl isolierter Märkte für Fernmeldeeinrichtungen", konstatierte im Februar 1981 in einem Sondergutachten zuf "Rolle der Deutschen Bundespost" die Bonner Monopolkommission.
So wie in der Bundesrepublik, so wird in ganz Europa, in den USA und in Japan der Fernmeldesektor "üblicherweise von staatlichen Entscheidungen beherrscht", analysierte auch die EG-Kommission noch im Juni 1983 in einer "Mitteilung" an den Europarat die Lage des "Fernmeldewesens" auf dem alten Kontinent: "Netzaufbau und -leistung, Zulassungsvorschriften, obligatorische Normen, Kosten der Dienstleistungen für den Benutzer - alles dies wird weitgehend von den Staaten entschieden, die im übrigen auch bisher der wichtigste Kunde der Fernmeldeindustrie im engeren Sinne sind."
In Wahrheit waren Computer und mit ihnen die Mikroelektronik längst in das staatliche und stattliche Hoheitsgebiet der Telekommunikation eingedrungen, in dem souverän zu schalten und zu walten die Fernmeldebehörden gewohnt waren. In den Laboratorien der Computerhersteller, Elektronikfirmen, aber auch der Telefonbaufirmen entstanden in den siebziger Jahren neue Kommunikationstechnologien, die das verbriefte Postmonopol über Telefon, Telegraf und Telex zunehmend in Frage stellten.
Satellitentechnik, Breitbandkabel, Telefax, Datenübertragung, Bildschirmtext (Videotex), digitale Telefonnebenstellenanlagen, Telekonferenzen, Elektronische Post (Teletex) und natürlich die Computer selbst sorgen dafür, dass der Ruf nach einer Neuinterpretation oder gar Abschaffung der Postmonopole immer lauter wird. Die neuen Technologien verunsichern die Postgesellschaften und ihre Hoflieferanten, treffen sie in ihrem Lebensnerv.
Schon werden die Lebenszyklen der nachrichtentechnischen Einrichtungen, bislang stets für einen Zeitraum von 30 Jahren geplant, immer kürzer. An allen Ecken und Endes des Telefonnetzes tauchen neue, mitl Elektronik vollgestopfte Geräte auf, die in Kommunikation zueinander treten sollen. Doch dafür ist das gute, alte Telefonnetz überhaupt nicht geschaffen.
Wie keine andere Computerfirma der Welt ist IBM nun an der Zerstörung der alten Ordnung, sprich Modernisierung der Fernmeldewelt, interessiert, denn diese bestimmt zunehmend ihrenGeschäftserfolg. Seit Beginn der siebziger Jahre drängt sie auf eine Verbesserung und Verbilligung der Telekommunikationsdienste, die im entscheidenden Maße ihr Verhältnis zu den Kunden beeinflussen.
Solange aber die Einzelstaaten die Gestaltung ihres Fernmeldenetzes monopolistisch verwalten, ist der Computerriese machtlos, muss er erdulden, wie ihm die Postgesellschaften ständig ins Handwerk pfuschen. Ein unerträglicher Zustand für den Marktführer, der stets allein über seine Kunden herrschen will.

Montag, 23. März 2009

I: 4.2 Zauber der Digitalisierung

Die Digitalisierung des Fernmeldenetzes - das ist es, was technisch die Revolution des Telekommunikationsmarktes ausgelöst hat - bedeutet einen Abschied von der seit 100 Jahren angewandten Analaogtechnik. Auf digitaler Basis arbeiten heute alle Computer. Informationen werden dabei nur noch mit Hilfe zweiwertigen Cides, als Bit (binary digit), der Null und der Eins, "Strom fließt - Strom fließt nicht", verarbeitet.
Dieses Prinzip soll nun auch im Fernmeldenetz, also bei der Informationsübertragung angewandet werden. Das heißt:
- die bisherige analoge Übertragung, bei der die Signale in Form von Schwingungen transportiert werden,
- wird ersetzt durch die digitale Übermittlung, bei der Spannnungsimpulse in einer festen Größe weitergegeben werden.
Die Vielzahl von Diensten, mit denen die Postgesellschaften dem rergen Kommunikationsbedürfnis der Bürger nachkommen, werden also bald auf den Transport von Nullen und Einsen, dem binärern Code, dem Bit reduziert. Durch diesen Trick können Sprache, Text, Daten und sogar Bilder über ein- und dasselbe Netz, das Integrated Services Digital Network (ISDN) verschickt werden.
Diese enorme Vereinfachung ist die Basis dafür, dass Nachrichten- und Informationstechnik im Laufe dieses Jahrzehnts zu einem Supermarkt zusammenwachsen, in dem wektweit über eine Billion Dollar umgesetzt werden. Das ist (nominal) mehr als eine Verdreifachung gegenüber heute. "Kein Monopol kann diesen Bedarf befriedigen", sieht Björn Svedberg, Präsident des schwedischen Telekom-Giganten L.M. Ericsson, den Zwang zur Kooperation zwischen Fernmeldebehörden, Telefonbaufirmen und Computerherstellern.
Bereits in den siebziger Jahren entwickelte sich unter den Nationen im Telekommunikationssektor ein erbarmungsloses Rennen um die Exportmärkte. Denn nur durch den Absatz ihrer Produkte im Ausland können die Telefonbaufirmen ihre enormen Entwicklungskosten wieder hereinspielen.
- Japans Ausfuhren an fernmeldetechnischen Einrichtungen wuchsen in der vergangenen Dekade um durchschnittlich 25 Prozent auf über drei Milliarden Dollar. Die fernöstlichze Technologie-Macht ist damit größter Weltlieferant unter den OECD-Staaten und beherrscht den Markt der südostasiatischen Schwellenländer.
- Mit einem Exportanteil von 2,4 Milliarden Dollar wurden die USA mit einem durchschnittlichen Wachstum ihrer Ausfuhren von nur 18 Prozent auf Platz 2 der Weltrangliste verdrängt. Doch mit der Liberalisierung des Fernmeldesektors und mit der durch AT&T und Philips vollzogenen Allianz stoßen sie nun mit neuer Aggressivität in die Weltmärkte vor.
- Drittgrößter Exporteur unter den OECD-Staaten war 1980 die Bundesrepublik, deren Fernmeldeindustrie ihre Ausfuhren um knapp 20 Prozent auf zwei Milliarden Dollar steigerte.
Entwicklungskosten wieder hereinspielen.
- Viertgrößter Exporteur ist Großbritannien, das in den siebziger Jahren seine Ausfuhren um lediglich 16 Prozent auf 1,2 Milliarden Dollar vergrößerte. In den sechziger Jahren waren die Briten noch die stärkste Exportmacht gewesen.
- Platz 5 der Exportrangliste teilen sich mit je einer Millarde Dollar Frankreich (Wachstum: 24 Prozent) und die Niederlande (21 Prozent).
- Die weiteren Plätze belegen Schweden (0,9 Mrd. Dollar bei einem Wachstum von 18 Prozent), Italien (0,6 Milliarden Dollar/19 Prozent), Belgien (0,5 Milliarden Dollar/20 Prozent) und Kanada 0,5 Milliarden Dollar/12 Prozent)
Sie alle kämpfen um einen Weltmarkt, der 1980 rund 40 Milliarden Dollar groß war und zu 85 Prozent durch Investitionen der Wirtschaft und der Postmonopole im klassischen Telefonsektor bestimmt wurde. Doch die Expansion dieses Marktes hat erst jetzt begonnen: Marktforschungsunternehmen prognostizieren, dass bis 1990 die Telekommunikationsmärkte (inklusive Inflation)
- in Nordamerika von 20 auf 150 Milliarden Dollar und
- in Europa und Asien von jeweils zehn auf 70 Milliarden Dollar wachsen werden,
- in Lateinamerika sich auf zehn Milliarden Dollar und
- in Afrika und Ozeanien auf fünf Milliarden Dollar jeweils verzehnfachen werden.
Vor allem auf den von satten Wachstumsraten geprägten Markt der Entwicklungsländer zielen dabei die Ambitionen der größten Exportmächte im Telekommunikationssektor. Denn von den 550 Millionen Telefonen, 560 Millionen Fernsehern, den 1,4 Millionen Fernschreibern, die heute die Erde bevölkern, gehören 90 Prozent den 15 größten Industrienationen. Das bedeutet: Die Entwicklungsländer haben einen gigantischen Nachholbedarf.
Dieses zu befriedigen, darauf sind die Telekommunikationshersteller der Industrienationen erpicht. "Jedes dritte Telefon wird im Jahr 2000 in Asien abgesetzt, heute ist es erst jedes fünft", prophezeit Horst Edgar Martin von Siemens. Er glaubt zudem, dass 1990 etwa 30 Prozent der Nachfrage an Einrichtungen im Bereich Telekommunikation aud den Entwicklungsländern kommen wird. Heute sind es nur 25 Prozent.

Sonntag, 15. März 2009

I: 4.1 Europa zwischen IBM, AT&T und der Japan AG

"Europa ist sehr müde", diagnostizierte Heinz Nixdorf, Vorstandsvorsitzender der Nixdorf Computer AG. Sein Rezept: "Europa muss durch Kooperationen lebendiger werden."
"Wir können nicht alles selbst entwickeln", setzt auch Carlo9 de Benedetti, Chef des größten europäischen Computerherstellers Olivetti, auf Kooperation. Und der Börsenanalyst Jack Summerscale von Zoete & Bevan in London: "Ohne Zusammenarbeit sind die europäischen Firmen in einem kolossalen Nachteil gegenüber den großen amerikanischen Herstellern."
Doch die Frage ist, wer kooperiert mit wem gegen wen? Und schon ist Europa zerstückelt wie eh und je. Schlimmer noch: Am wenigstens mögen sich offenbar europäische Unternehmen untereinander.
So ergab eine Untersuchung der europäischen Marktforschungsgesellschaft Reseau, Mailand, dass europäische Elektronikunternehmen von 1979 bis 1984 rund 200 Vereinbarungen über Zusammenarbeit mit anderen Firmen getroffen haben. davon
- 51 Prozent mit US-Companies,
- 31 Prozent mit japanischen Unternehmen und nur
- 18 Prozent mitanderen europäischen Gesellschaften.
"Wenn einheimische Firmen kooperieren", resümiert Pierre Chavance, Executive Managing Director bei CIT-Alcatel, dem französischen Telecom-Hersteller, "dann ist es gewöhnlich mit japanischen oder amerikanischen Firmen". Dabei sind es gerade diese, die es den Europäern an den Weltmärkten für neue Technolo9gien immer schwerer machen. Gegen sie müssten sich eigentlich gemeinsame europäische Kooperationen richten.
Nach Aussage des amerikanischen Technologieberaters Kenneth R. Sonnenclar von Gartner Group stammen "45 Prozent der Produkte im Markt für Informationsverarbeitung in Westeuropa von Unternehmen mit amerikanischer Herkunft." Und mit dem Vormarsch der Japaner glaubt er bereits an "den Tod" von Europas wichtigsten Computerfirmen, die schon jetzt - wollen sie mit den Amerikanern nicht kooperieren, sondern konkurrieren - mit Nippons Technologieriesen zusammenarbeiten müssen.
Eine neue gefährliche Abhängigkeit entsteht, aus der es kein Entkommen gibt. Keiner kann alein bestehen. Und so fühlen sich die europäischen Technologiefirmen hin und her gerissen, vor allem zwischen Kooperationspartnern aus USA und Japan. Nur als ultima ratio feassen sie schließlich auch die Gemeinschaft mit einheimischen Industrieunternehmen ins Auge.
Alles in allem fehlt es an einer einheitlichen Strategie. Uneinigkeit beherrscht die Szene. Dies zeigt sich nirgendwo deutlicher als bei der Frage, wer denn nun eigentlich Europas größte Widersacher sind. Hier klaffen die Antworten nach wie vor weit auseinander.
Jean-Pierre Brunet, der frühere französische Botaschafter in Bonn und jetzige Chef des Technologie-Konzerns Cie. Generale d'Electricité (CGE) meint: "Angesichts der klaren Übermacht der amerikanischen Giganten wie IBM und American Telephone and Telegraph wird es für uns ein Kampf ums Überleben, wenn die e3uropäischen Unternehmen nicht anfangen, miteinander zu kooperieren."
Und Robert Wilmot, Managing Direktor des britischen Computerherstellers International Computer Ltd. (ICL): "Die Amerikaner mögen glauben, dass Japan unser größter Feind sei, wir tun das nicht."
Nicht ganz klar ist, wir Dr. Karlheinz Kaske, Vostandsvorsitzender der Siemens AG, denkt: "Ich akzeptiere die Japaner als Wettbewerber, aber ich fürchte sie nicht."
Philips-Chef Wisse Dekker pläduert indes für eine "gemeinsame Front gegen die Japaner", die seiner Meinung nach nicht nur aus Europäern bestehen muss.
Für "verkalkt und unbeweglich" hält Carlo de Benedetti, allgewaltiger Chef des italienischen Computerbauers Olivetti, die Wirtschaftspolitik auf dem Alten Kontinent: "Wir in Europa neigen dazu, die alten Industrien zu schützen und die neuen nicht zu fördern." Auch er glaubt nicht, dass Europa sich aus eigener Kraft erneuern kann. Sein Rezept lautet deshalb: "Eine europäische Lösung ohne Verbindung zu Amerika ist überhaupt keine Lösung." Denn eine Partnerschaft amit europäischen Firmen allein bringt ihm nichts.
"Es ist schwierig, Vereinbarungen zu treffen, wenn man untereinander weder Märkte noch Technologien austauschen kann."
Wisse Dekker und Carlo de Benedetti haben nicht von ungefähr ihrer Skepsis gegenüber einer europäischen Exklusivlösung gemein. Sie haben beide in jüngster Zeit schlechte Erfahrungen mit europäischen Partnern (sprich: französischen Unternehmen) gemacht:
- Philips wollte 1979 von CIT-Alcatel, heute eine Tochter der CGE, die Digitaltechnik auf dem Gebiet der Fernvermittlung einkaufen - und war an der Bürokratie gescheitert.
- Olivetti hatte 1980 ein Aktienpaket von 32 Prozent an dem über 300 Jahre alten Mischkonzern Saint Gobain verkauft, das ein Jahr später im Rahmen der Verstaatlichung an CIT-Alcatel (Umsatz: 1,6 Milliarden Dollar) weitergegeben worden war. Aus der Technologie-Beteiligung war "ein reines finanzielles Investment" (Benedetti) geworden. Heute hält CIT-Alcatel nur noch zehn Prozent der Aktien.
So suchte jeder für sich außerhalb Europas einen Partner - und sie fanden schließlich beide ein und denselben: den Telefonriesen American Telephone & Telegraph. Erwarteter Umsatz 1984: 56 Milliarden Dollar.
Der 100 Jahre alte Fernmelde-Koloss drängt seit dem Verlust seiner Monopolstellung in den USA auf die internationalen Märkte, die er 1925 zugunsten von International Telephone and Telegraph (ITT) aufgegeben hatte. Nun sucht er in aller Welt, vor allem aber in Europa, starke Partner:
- Mit Philips gründete er das Gemeinschaftsunternehmen AT&T-Philips, in das die Amerikaner die Technologie (digitale Telefontechnik) und die Holländer die internationale Präsent einbringen. Das Investmentment der beiden Partner: 800 Millionen Gulden.
- Für 260 Millionen Dollar erstand AT&T 25 Prozent der Aktien von Olovetti und erhielt dadurch mit seinen Produkten Zugang zum europäischen Computer-Markt. Dem Italiener hingegen öffnet sich endgültig der US-Markt.
Klar ist dabei schon jetzt, wer als Sieger aus diesen Kooperationen hervorgehen wird: AT&T. "Dieser Gigant wird verswuchen, ebensoviel Einfluss auf Europa zu gewinnen, wie ihn derzeit nur ein anderes amerikanisches Unternehmen besitzt - IBM", meint der Technologie-Experte Dr. Karl Schlagenhauf, geschäftsführender Gesellschafter des Instituts für Angewandte Organisationsforschung GmbH in Karlsruhe.
Zuhilfe kommt AT& T dabei, dass Europa schließlich auch darüber uneinig ist, wer denn nun eigentlich der größte amerikanische Herausforderer für die einheimischen Hersteller ist: IBM oder AT&T.
Diese Machtblöcke stehen einander in einem Kampf der Giganten gegenüber. Durch das Zusammenwachsen von Datenverarbeitungg und Nachrichtentechnik sind nicht nur die europäischen Computer- und Telefonbaufirmen, sondern auch die Fernmeldebehörden und die Europäische Gemeinschaft gezwungen, sich für einen der drei Konkurrenten - Japan AG, IBM, AT&T - zu entscheiden. "Gegen alle drei zusamen können sie nichts ausrichten", meint der Branchenbeobachter Klaus Sabirowsky, geschäftsführender Gesellschafter des Softwarehauses OSP-Metra GmbH in Essen, eine seit Jahresende 1983 bestehende gemeinsame Gründung des französischen Informatik-Konzerns SEMA-METRA (2000 Mitarbeiter) und der OSP.
Schon gilt dieser Technologiekrieg als so wichtig, dass sich zunehmend die Politiker einschalten. Denn diese haben ihn letzten Endces auch initiiert: durch die von US-Regierungen angezettelten beiden großen Antitrust-Prozesse gegen IBM und AT&T waren diese Giganten in ihrem Expansionsdrang über ein Jahrzehnt lang gelähmt. Dies half den Japanern bei ihrer staatlich massiv unterstützten, beispiellosen Aufholjagd, die ohn diese Verfahren niemals so erfolgreich gewesen wären.
Jetzt wollen auch die europäischen Politiker den Ausgnag dieses Rennens beeinflussen. Mit gewaltigen Mitteln wollen sie die europäische Industrie ins Spiel bringen: durch nationale und europäische Forschungsprogramme in Milliardenhöhe. "Europaliegt zurück", konstatiert Maurice Allegre, ein hohen Beamnter am französischen Ministerium für Forschunbg und Wirtschaft. "Aber es hat noch genügend Potential Der Rückstand kommt einzig und allein von der Tatsache, dass Europa nichts anderes ist als ein Nebeneinander von Ländern."
Und dies kann sich der Alte Kontinent nicht mehr länger leisten: "Entweder wir kooperieren miteinander, oder wir werden die Satelliten von amerikanischen und japanischen Firmen", fürchtet Pierre Chanvance von CIT-Alcatel. Doch die Techno-Kolonisation Europas hat schon längst begonnen.

Samstag, 14. März 2009

I: 4.0 Die Zerreißprobe

In ihrer Angst, den technologischen Anschluss an die USA und Japan endgültig zu verlieren, betreibt Europas Fernmeldewelt und Computerindustrie eine hektische und widersprüchliche Überlebenspolitik. Schon befinden sich beide Branchen in einer gewaltigen Zerreißprobe zwischen amerikanschen Technologiemächten IBM und AT&T, die sich einen erbitterten Kampf um den alten Kontinent liefern. Im Hintergrund wartet die Japan AG, die als lächelnder Dritter ihre Chance zu wahren sucht.

Samstag, 7. März 2009

I: 3.6 Schulden statt Schuld

Zurück in das Jahr 1979. Zum ersten Mal in seiner Geschichte ging der Marktführer (Weltmarktanteil bei Universalcomputern zwischen 60 und 70 Prozent) an den öffentliuchen Kapitalmarkt und nahm eine Anleihe von einer Milliarde Dollar auf, um den Mietbedarf seiner 303X-Kunden gerecht zu werden. Die Verschuldung des Unternehmens, das einst als "Schatzkästlein" Amerikas von dem Wirtschaftsmagazin Business Week gepriesen worden war, verfüffachte sich inm dioesem Jahr von knapp 300 Millionen auf 1,6 Milliarden Dollar und hat sich seitdem nochmals verdoppelt. Gleichzeitig wuchsen innerhalb eines Jahres IBMs Investotionen in Mietmaschinen um 50 Prozent von 2,7 auf 4,2 Milliarden Dollar. Der Anteil der langfristighen Verbindlichkeiten im Vergleich zum Umsatz des Giganten stieg um 0,9 Prozent (1978) auf 9,0 Prozent (1982).
"Das ist die größte Anleihe, die seit 1970 von einem Privatunternehmen aufgenommen wurde", meinte 1979 die britische Tageszeitung "Financial Times". Bis dahin hatte IBM ihre langfristigen Kredite, die bis 1979 im Vergleich zum Eigenkapital etwa 1,3 Proztent ausmachten, stets privat bei Banken und Versicherungsgesellschaften aufgenommen.
Eine überaschende Politik für ein Unternehmen, das täglich damit rechnen musste, dass es in mehrere Einzelgesellscjhaften zerschlagen werden kann.
IBM, hätte sie dies wirklich beführchtet, wäre wohl kaum auf den Kapitalmarkt gegangen, um dort Anleihen zu zeichnen, deren Laufzeit bis in das nächste Jahrtausen reichten. Zudem hätte sie, anstatt durch äußerst attraktive Mieten ihren Kapitalbedarf aufzublähen, eher die Verkaufspolitik favorisiert.
Damals - so besagen hartnäckige Gerüchte - habe sich die IBM den gewaltigen Preissturz beim Technologiewechsel von den Vorgängermodellen der /370-Generation zur Computerserie 4300 von der amerikanischen Regierung absegnen lassen, um zu verhindern, dass die aggressive Marketing-Strategie der neuen Rechner Gegenstand des Antitrust-Verfahren wird. Die Regierung in den USA soll vor allem angesesichts der weltweit zunehmenden japanischen Herausforderung eingewilligt haben.
IBM selbst befürchtete gegen Ende der siebziger Jahre, und zu Recht, dass sie auf dem japanischen Inlandsmarkt von Position 1 (1978) auf 2 rutschen würde. So mächtig drehte Fujitsu auf. In der Tat: 1979 verdrängte hier der japanische Hersteller den Computergiganten von dem Spitzenplatz, den dieser bis heute nicht zurückerobern konnte. Und auchauf den lokalen Märkten Europasverlor der Computerriese zunehmend an Boden - durch nationale Hersteller wie Siemens, ICL oder CII-Honeywell Bull, mehr noch aber ebenfalls durch die Japaner, die mit eiropäischen Formen kooperierten.
So machten die Hersteller wie Hitachi (Nr. 4 auf der Insel) und Fujitsu der IBM das Leben auf den internationalen Computermärkten immer schwerer. Bislang konzentrierte sich dieser Kampf auf Großcomputer in der Größenordnung bis zu 10 Mio. Dollar. Doch nun stand ein Frontalangriff auf IBMs Breitenbasis, die kleineren Großrechner (bis zu einer Million Dollar) bevor. Dass IBM diesen Breitenmarkt auf jeden Fall verteidigen wollte, zeigte schon dass Vorgeplänkel zur Ankündigung der 4300er Serie: Unter dem Codewort E-Serie (E für low END) kamen 1978 aus Japan die ersten Gerüchte über die bevorstehende Ankündigung des Computers.
"Amerika ist nur noch auf zwei Märkten weltweit führend: auf dem der Landwirtschaft und dem der Informationstechnologien", warnte zu jener Zeit die New York Times und schürte damit die Angst der Amerikaner vor den Japanern, die ihnen diesen Führungsanspruch zumindest im Computerbereich offensichtlich nehmen wollten und die eine Großoffensive nach der anderen auf die amerikanische Elektronikindustrie starteten.
Angesichts der Tatsache, dass es den übrigen amerikanischen Computerherstellern im Großcomputergeschäft nicht gelungen war, während des zu jener Zeit (1979) zehn Jahre alten und die IBM in ihrem Aktionsspielraum lähmenden Antitrustprozess ernsthaft zu stoppen, sah die amerikanische Regierung wohl auch keine Veranlassung auf Produzenten wie Burroughs, Univac, NCR, Control Data und Honéywell besondere Rücksicht zu nehmen.
Die Regierung erkannte auch, dass eine in viele Einzelgesellschaften zerschlagene IBM die neue fernöstliche Herausforderung ebenfalls kaum bewältigen konnte. William Baxter, Generalstaatsanwalt und Chefankläger gegen IBM, rehabilitierte endgültig den Computergiganten: "Es ist vollkommen klar, dass IBM ihren riesigen marktanteil auf gänzlich legalem Weg erhalten hat."
Und noch etwas kam hinzu: End e1979 hatten die Japaner über 40 Prozent des Marktes für Speicherchips mit dem damals üblichen Fassungsvermögen von 16.000 Basiszeichen (16 Kilobits) besetzt. Und IBM offerierte mit ihren jüngsten Computern den Einsatz der neuen Generation von Speicherchips: die 64-Kilobit-Chips. Um zu verhindern, dass die Japaner diese Technologie monopolisierten, war die Regierung auf den Hersteller angewiesen, der als einziger Amerikaner zu diesem Zeitpunkt in nder Lage war, 64-K-Chips in Mengen herzustellen: IBM.
Diese fortschrittöliche Speichertechnologie hatte es der IBM denn auch zu verdanken, dass sie den Preissturz bei ihrer E-Serie vornehmen konnte. Angesichts der zu diesem Zeitpunkt darniederliegenden Halbleiter-Branche in den USA war die amerikanische Regierung damals gezwungen, auf das einzige Trumpf-As, über das sie verfügt, zu setzen: auf IBM.
Für den Marktführer war damit wohl endgültig klar, dass die Regierung die in dem Antitrust-Prozess erhobenen Vorwürfe nicht mehr länger aufrecht erhalten konnte oder wollte. Und als dann am 8. Januar 1982 endlich die Niederschlagung des Verfahrens proklamiert wurde, konnte der Computergigant seinen Erobderunbgsfeldzug endlich fortsetzen: Im neuen Markt der Telekommunikation, dessen Schicksal sich auf dem alten Kontinent, in Europa, entscheiden wird.

Montag, 2. März 2009

I: 3.5 Ausverkauf bei Ankündigung

Mit der Ankündigung der 4300 im Januar 1979 exerzierte der Gigant zum ersten und bislang einzigen Mal eine Strategie, die ihre gesamte Durchschlagkraft aus dem Preis holte. Das Ergebnis: Der Ausverkauf einer Computerserei fand bereits zum Ankündigungszeitpunkt statt. Daran änderte auch nichts die Preiserhöhung am 28. Dezember 1979, als IBM die meisten Preise um fünf bis sieben Prozent anhob. "Mit einem Federstrich hat IBM ihren Umsatz um eine Milliarde Dollar erhöht", kommentierte der Marktforscher S.S. "Tim" Tyler von Input in Palo Alto, Kalifornien, die Preiskorrektur gegenüber Business Week. (1) Viele Insider werteten dieses "Weihnachtsgeschenk" als ein Eingeständnis der IBM für eine verfehlte Preispolitik: Am Erfolg der Strategie des Marktherrschers änderte dies grundsätzlich nichts: die Gewinnung von Neukunden.
Mit der 4300 geriet das Preisgefüge des Computermarktes völlig durcheinander. Obwohl die Maschinen erst ein Jahr später in Mengen installiert wurden, erwarteten die Anwender, dass die Mitbewerber der IBM bereits zum Ankündigungszeitpunkt ihre Preise auf das neue Niveau senkten. Die Verkaufspläne der PCM-Anbieter (Plug Compatible Manufacturer) waren nicht einmal mehr das Papier wert.
Die AS/3.5 von Itel, 1978 als Dauerrenner gegen IBMs 4341-Vorgänger /370-138 und -148 angesetzt, verkümmerte zu einem "Ein-Jahres-Produkt" (Nuccio Condulmar, damals Präsident von Itel International in London im Frühjahr 1979). Sämtliche Pläne des aggressiven Computermixers aus San Francisco waren über den Haufen geworfen. Ein Dritel der Installationen wollte Itel 1979 mit dieser von dem kalifornischen Halbleiter-Produzenten National Semiconductor gefertigten Maschine tätigen. Als Frontalschuss gegen IBM geplant, geriuet das 1978 vorgestellte Modell AS/3-5 nun zu einem Rohrkrepierer. Schlimmer noch: Itel konnte ihren Abnahmeverpflichtungen gegenüber National Semiconductor und bei den Größtrechnern gegenüber Hitachi nicht nachkommen, der Schuldenberg wuchs ins Unermessliche (1,2 Milliarden Dollar).
Zu allem lockte die IBM mit äußerst günstigen Mietkonditionen, die von keiner Bank zu schlagen waren. Wer zum Beispiel seinen Rechner über eine Leasinggesellschaft zu ähnlichen Raten finanzieren wollte, musste einen Vier-Jahres-Mietvertrag abschließen. Bei IBM bekam er für denselben Preis bereits einen Zwei-Jahres-Mietvertrag, er konnte sich also erheblich kürzer
binden.
Heute sind rund 45.000 der bis zu 1,5 Millioen Mark teuren Computersysteme installiert, davon zwei Drittel IBM 4331, die seit Herbst 1983 zur Erweiterung auf IBM 4361 anstehen.
Amerikanischen Untersuchungen zufolge waren 1982 etwa 60bis 75 Prozent der Mittelgroßen Universalcomputer vom Typ 4300 gemietet.
IBM, die ihre Mietmaschinen zu Herstellungskosten in ihrer Bilanz als Anlagevermögen ausweist, benötigte in einem bislang ungekannten Maße Kapital, das sie aus eigener Kraft nicht mehr aufbringen konnte und wollte. Immerhin war das Anlagevermögen 1979 um zwei Milliarden Dollar auf 13,7 Milliarden gestiegen.
Woher kam dieser immense Kapitalbedarf? Die Vorfinanzierung des Mietgeschäfts der IBM 4300 konnte nicht die Ursache sein. Sie befand sich 1979 noch gar nicht in der Mengenauslieferung. Was war dann der Grund? Mittelbar war die neue Rechnerserie dennoch schuld an dem großen Sprung im Anlagevermögen der IBM. Die IBM 4300 zeigte nämlich mit ihrem sensationellen Preis-/Leistungsverhältnis eine unerwartete Fernwirkung bei den Kunden der Größtrechnerserie 303X, die sich von der bevorstehenden Ankündiugung der H-Serie - so der Codename des in der Gerüchteküche bereits wärmstens empfohlenen neuen Rechners - einen ähnlichen Preissturz erhofften.
Die Kunden wollten deshalb kurzfristig über die erst im zweiten Jahr ihres Auslieferungszyklus befindlichen Rechner vom Typ 303X disponieren, die nur als Brückenköpfe in eine völlig neue Computergeneration dienten. Durch Kauf hätten sie sich langfristig an diese Maschine gebunden. Das schinen nun gefährlich. Denn wenn das Nachfolgesystem ebenfalls mit einem solchen sensationellen Preis-/Leistungsverhältnis aufwarten würde wie die 4300, dann war die 303X-Serie alsbald am Gebrauchtmaschinenmarkt nichts mehr wert. Deshalb mieteten sie (oder leasten kurzfristig) ihre Jumbos. Mit einer solchen Fernwirkung seiner erfolgreichen 4300-Serie hatte der Marktführer wohl kaum gerechnet.
"Im Rückblick wünscht sich IBM. siehätte die Preise nicht so aggressiv angelegt", meint William R. Becklean, Wall-Street-Analyst bei Bache Halsey Shields (1)
Die vorherrschende Meinung unter den Anwendern war, dass die 303X-Serie immer nur eine Interimslösung, eine Brücke, Übergangsangebpt war. Sie galt nur als Kurzfrist-Produkt. Computerfachleute behaupten sogar, dass diese Serie technologisch sich in keiner Weise von den Vorgängern (/370-158 und -168) unterschied.
Als dann 1989 die H-Serie mit dem Prozessor-Komplex 3081-D angekündigt wurde, vollzog IBM zwar endlich den gewünschten Technologiewechsel, doch dfafür wiederholte sie nicht das günstige Preis-/Leistungsverhältnis der 4300. Zudem war die 308X für den Großteil der Kunden kurzfristig nicht verfügbar. Die Bestellorder kletterten dennoch im Laufe der weiteren Ankündigungen auf 7.000. Bis Ende 1985 rechnet man mit ingesamt 8.000 Installationen weltweit. IBM hatte die gesamte Marktnachfrage auf sich konzentriert, der sie jedoch sehr zögernd nachkam. Mit gutem Grund: Die alten Mietmaschinen der Interimslösung 303X mussten erst in Kaufmaschinen umgewandelt werden.