Sonntag, 15. März 2009

I: 4.1 Europa zwischen IBM, AT&T und der Japan AG

"Europa ist sehr müde", diagnostizierte Heinz Nixdorf, Vorstandsvorsitzender der Nixdorf Computer AG. Sein Rezept: "Europa muss durch Kooperationen lebendiger werden."
"Wir können nicht alles selbst entwickeln", setzt auch Carlo9 de Benedetti, Chef des größten europäischen Computerherstellers Olivetti, auf Kooperation. Und der Börsenanalyst Jack Summerscale von Zoete & Bevan in London: "Ohne Zusammenarbeit sind die europäischen Firmen in einem kolossalen Nachteil gegenüber den großen amerikanischen Herstellern."
Doch die Frage ist, wer kooperiert mit wem gegen wen? Und schon ist Europa zerstückelt wie eh und je. Schlimmer noch: Am wenigstens mögen sich offenbar europäische Unternehmen untereinander.
So ergab eine Untersuchung der europäischen Marktforschungsgesellschaft Reseau, Mailand, dass europäische Elektronikunternehmen von 1979 bis 1984 rund 200 Vereinbarungen über Zusammenarbeit mit anderen Firmen getroffen haben. davon
- 51 Prozent mit US-Companies,
- 31 Prozent mit japanischen Unternehmen und nur
- 18 Prozent mitanderen europäischen Gesellschaften.
"Wenn einheimische Firmen kooperieren", resümiert Pierre Chavance, Executive Managing Director bei CIT-Alcatel, dem französischen Telecom-Hersteller, "dann ist es gewöhnlich mit japanischen oder amerikanischen Firmen". Dabei sind es gerade diese, die es den Europäern an den Weltmärkten für neue Technolo9gien immer schwerer machen. Gegen sie müssten sich eigentlich gemeinsame europäische Kooperationen richten.
Nach Aussage des amerikanischen Technologieberaters Kenneth R. Sonnenclar von Gartner Group stammen "45 Prozent der Produkte im Markt für Informationsverarbeitung in Westeuropa von Unternehmen mit amerikanischer Herkunft." Und mit dem Vormarsch der Japaner glaubt er bereits an "den Tod" von Europas wichtigsten Computerfirmen, die schon jetzt - wollen sie mit den Amerikanern nicht kooperieren, sondern konkurrieren - mit Nippons Technologieriesen zusammenarbeiten müssen.
Eine neue gefährliche Abhängigkeit entsteht, aus der es kein Entkommen gibt. Keiner kann alein bestehen. Und so fühlen sich die europäischen Technologiefirmen hin und her gerissen, vor allem zwischen Kooperationspartnern aus USA und Japan. Nur als ultima ratio feassen sie schließlich auch die Gemeinschaft mit einheimischen Industrieunternehmen ins Auge.
Alles in allem fehlt es an einer einheitlichen Strategie. Uneinigkeit beherrscht die Szene. Dies zeigt sich nirgendwo deutlicher als bei der Frage, wer denn nun eigentlich Europas größte Widersacher sind. Hier klaffen die Antworten nach wie vor weit auseinander.
Jean-Pierre Brunet, der frühere französische Botaschafter in Bonn und jetzige Chef des Technologie-Konzerns Cie. Generale d'Electricité (CGE) meint: "Angesichts der klaren Übermacht der amerikanischen Giganten wie IBM und American Telephone and Telegraph wird es für uns ein Kampf ums Überleben, wenn die e3uropäischen Unternehmen nicht anfangen, miteinander zu kooperieren."
Und Robert Wilmot, Managing Direktor des britischen Computerherstellers International Computer Ltd. (ICL): "Die Amerikaner mögen glauben, dass Japan unser größter Feind sei, wir tun das nicht."
Nicht ganz klar ist, wir Dr. Karlheinz Kaske, Vostandsvorsitzender der Siemens AG, denkt: "Ich akzeptiere die Japaner als Wettbewerber, aber ich fürchte sie nicht."
Philips-Chef Wisse Dekker pläduert indes für eine "gemeinsame Front gegen die Japaner", die seiner Meinung nach nicht nur aus Europäern bestehen muss.
Für "verkalkt und unbeweglich" hält Carlo de Benedetti, allgewaltiger Chef des italienischen Computerbauers Olivetti, die Wirtschaftspolitik auf dem Alten Kontinent: "Wir in Europa neigen dazu, die alten Industrien zu schützen und die neuen nicht zu fördern." Auch er glaubt nicht, dass Europa sich aus eigener Kraft erneuern kann. Sein Rezept lautet deshalb: "Eine europäische Lösung ohne Verbindung zu Amerika ist überhaupt keine Lösung." Denn eine Partnerschaft amit europäischen Firmen allein bringt ihm nichts.
"Es ist schwierig, Vereinbarungen zu treffen, wenn man untereinander weder Märkte noch Technologien austauschen kann."
Wisse Dekker und Carlo de Benedetti haben nicht von ungefähr ihrer Skepsis gegenüber einer europäischen Exklusivlösung gemein. Sie haben beide in jüngster Zeit schlechte Erfahrungen mit europäischen Partnern (sprich: französischen Unternehmen) gemacht:
- Philips wollte 1979 von CIT-Alcatel, heute eine Tochter der CGE, die Digitaltechnik auf dem Gebiet der Fernvermittlung einkaufen - und war an der Bürokratie gescheitert.
- Olivetti hatte 1980 ein Aktienpaket von 32 Prozent an dem über 300 Jahre alten Mischkonzern Saint Gobain verkauft, das ein Jahr später im Rahmen der Verstaatlichung an CIT-Alcatel (Umsatz: 1,6 Milliarden Dollar) weitergegeben worden war. Aus der Technologie-Beteiligung war "ein reines finanzielles Investment" (Benedetti) geworden. Heute hält CIT-Alcatel nur noch zehn Prozent der Aktien.
So suchte jeder für sich außerhalb Europas einen Partner - und sie fanden schließlich beide ein und denselben: den Telefonriesen American Telephone & Telegraph. Erwarteter Umsatz 1984: 56 Milliarden Dollar.
Der 100 Jahre alte Fernmelde-Koloss drängt seit dem Verlust seiner Monopolstellung in den USA auf die internationalen Märkte, die er 1925 zugunsten von International Telephone and Telegraph (ITT) aufgegeben hatte. Nun sucht er in aller Welt, vor allem aber in Europa, starke Partner:
- Mit Philips gründete er das Gemeinschaftsunternehmen AT&T-Philips, in das die Amerikaner die Technologie (digitale Telefontechnik) und die Holländer die internationale Präsent einbringen. Das Investmentment der beiden Partner: 800 Millionen Gulden.
- Für 260 Millionen Dollar erstand AT&T 25 Prozent der Aktien von Olovetti und erhielt dadurch mit seinen Produkten Zugang zum europäischen Computer-Markt. Dem Italiener hingegen öffnet sich endgültig der US-Markt.
Klar ist dabei schon jetzt, wer als Sieger aus diesen Kooperationen hervorgehen wird: AT&T. "Dieser Gigant wird verswuchen, ebensoviel Einfluss auf Europa zu gewinnen, wie ihn derzeit nur ein anderes amerikanisches Unternehmen besitzt - IBM", meint der Technologie-Experte Dr. Karl Schlagenhauf, geschäftsführender Gesellschafter des Instituts für Angewandte Organisationsforschung GmbH in Karlsruhe.
Zuhilfe kommt AT& T dabei, dass Europa schließlich auch darüber uneinig ist, wer denn nun eigentlich der größte amerikanische Herausforderer für die einheimischen Hersteller ist: IBM oder AT&T.
Diese Machtblöcke stehen einander in einem Kampf der Giganten gegenüber. Durch das Zusammenwachsen von Datenverarbeitungg und Nachrichtentechnik sind nicht nur die europäischen Computer- und Telefonbaufirmen, sondern auch die Fernmeldebehörden und die Europäische Gemeinschaft gezwungen, sich für einen der drei Konkurrenten - Japan AG, IBM, AT&T - zu entscheiden. "Gegen alle drei zusamen können sie nichts ausrichten", meint der Branchenbeobachter Klaus Sabirowsky, geschäftsführender Gesellschafter des Softwarehauses OSP-Metra GmbH in Essen, eine seit Jahresende 1983 bestehende gemeinsame Gründung des französischen Informatik-Konzerns SEMA-METRA (2000 Mitarbeiter) und der OSP.
Schon gilt dieser Technologiekrieg als so wichtig, dass sich zunehmend die Politiker einschalten. Denn diese haben ihn letzten Endces auch initiiert: durch die von US-Regierungen angezettelten beiden großen Antitrust-Prozesse gegen IBM und AT&T waren diese Giganten in ihrem Expansionsdrang über ein Jahrzehnt lang gelähmt. Dies half den Japanern bei ihrer staatlich massiv unterstützten, beispiellosen Aufholjagd, die ohn diese Verfahren niemals so erfolgreich gewesen wären.
Jetzt wollen auch die europäischen Politiker den Ausgnag dieses Rennens beeinflussen. Mit gewaltigen Mitteln wollen sie die europäische Industrie ins Spiel bringen: durch nationale und europäische Forschungsprogramme in Milliardenhöhe. "Europaliegt zurück", konstatiert Maurice Allegre, ein hohen Beamnter am französischen Ministerium für Forschunbg und Wirtschaft. "Aber es hat noch genügend Potential Der Rückstand kommt einzig und allein von der Tatsache, dass Europa nichts anderes ist als ein Nebeneinander von Ländern."
Und dies kann sich der Alte Kontinent nicht mehr länger leisten: "Entweder wir kooperieren miteinander, oder wir werden die Satelliten von amerikanischen und japanischen Firmen", fürchtet Pierre Chanvance von CIT-Alcatel. Doch die Techno-Kolonisation Europas hat schon längst begonnen.

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