Sonntag, 4. Januar 2009

Kapitel I: 2.02 Die doppelte Herausforderung

Cover: Fortune, 22. März 1982



Die damals 353.00 Mitarbeiter des Computerriesen (Weltumsatz 1981: 29 Milliarden Dollar) in 130 Ländern seufzten erleichtert auf. Die drohende Zerschlagung des Multis in viele Einzelgesellschaften fand nicht statt. Jetzt war die Zeit des ewigen Wartens auf den Richterspruch endgültig vorbei.
IBM hatte allerdings bereits 1979 mit den ersten kräftigen Lockerungsübungen begonnen und sich so verhaltren, als ob es das Verfahren gar nicht mehr gäbe. Sie schien sich ihres Sieges sicher. Dass dies nicht voreilig war, bestätigte zwei Jahre später der von Präsident Ronald Reagan inthronisierte Chefankläger Baxter. Er deutete 1981 an, dass er das Verfahren einstellen werde. Es sei „ohne Verdienste“. Schlimmer noch: Baxter, ein Meister der Rhetorik, der seine Vorgänger im Amt des Kartellwächters nicht direkt kritisieren wollte, gab gegenüber der britischen Wirtschaftszeitung „Financial Times“ im Februar 1982 zu verstehen: Es ist schwer, sich selbst hinter einen Vorhang von Ignoranz zu stellen.“
Obgleich viele Insider mit einer Niederschlagung des Antitrustprozesses gegen IBM schon seit 1979 rechneten und der Marktführer sich seit dieser Zeit auch schon so aggressiv verhielt, als ob es das Verfahren gar nicht mehr gäbe, steht dennoch eins fest: Mit der Beendigung dieser beiden Kartell-Verfahren veränderte sich innerhalb weniger Stunden die gesamte Wettbewerbssituation am internationalen Markt für Informationstechnologien. Mit ihren Antitrust-Entscheidungen hatte die Regierung endgültig die immer größer werdende japanische Herausforderung angenommen.
Meinte der Präsident der American Business Conference, John Albertime: „Baxter hat schon immer innerhalb der Reagan-Administration in der vordersten Front derjenigen gestanden, die den Wert der Antitrustbestimmungen in der Verbesserung unserer internationalen Wettbewerbsfähigkeit sehen.“
So erlaubte der Kartellwächter, dass sich 1983 in den USA zwölf Technologie-Firmen (CDC, Digital Equipment, Sperry etc.) zusammentaten, um unter dem Namen Microelectronics & Computer Cooperative (MCC) eine Gemeinschaftslaboratorium für die Entwicklung von Computern der Fünften Generation zu errichten – allerdings ohne die Teilnahme von IBM. Vielmehr sollten die Im Vergleich zu dem Koloss erheblich kleineren Firmen dazu befähigt werden, sich gegen IBM, gegen AT&T und gegen die Japaner zu behaupten.
Mit der Beendigung der Antitrustprozesse wurden aus dem bisherigen Gefangenen der amerikanischen Regierung deren gefährlichste Waffen im Wirtschafts- und Technologiekrieg mit den Japanern, die wie kein anderer von der Lähmung der IBM in den siebziger Jahren profitiert hatten. Und um die Energie der beiden gesündesten Giganten der USA gegen Japan richtig zu aktivieren, wurden sie obendrein noch aufeinander losgelassen. Die Explosionskraft von 100 Milliarden Dollar Jahresumsatz wurde freigesetzt.
Prophezeite im Januar 1982 das amerikanische Nachrichtenmagazin „Newsweek“: „Was von Ma Bell[1] (nach der Zerschlagung) übrig bleibt, könnte zu dominierenden Macht in dem nun anbrechenden Informationszeitalter werden – ein Schrecken für die Wettbewerber im Telekommunikationsbereich, bei Kabelfernsehen, Zeitungen und selbst für die mächtige IBM“.Der Marktführer ist in der Tat seitdem doppelt herausgefordert: durch die Japaner und durch AT&T. Und jeden der drei Konkurrenten beseelt der Wunsch, die Welt in einem Sinn zu verändern – ein gewaltiger Anspruch, den zu realisieren bislang nur einem der drei gelungen war: IBM in den goldenen /360er Jahren[2].
[1] „Nickname“ für AT&T vor dem 8. Januar 1982
[2] .Mit ihrer 1964 angekündigten Großrechnerfamilie /360 war IBM der große Durchbruch auf den internationalen Märkten gelungen. Siehe auch: Hermann K. Reiboldt, Raimund Vollmer, „Der Markt sind wir – Die IBM und ihre Mitbewerber“, Stuttgart 1978





Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen