Samstag, 17. Januar 2009

Kapitel I: 2.06 Der Glaube ist Befehl

In 130 Ländern tätig, macht die IBM mittlerweile mehr als die Hälfte ihres Umsatzes von 40,2 Milliarden Dollar (1983) außerhalb der USA. Wie keinem anderen Unternehmen ist es ihr gelungen, Mitarbeiter unterschiedlichster Mentalität, Nationalität, Geschichte und Kultur unter einem einzigen Dach zu vereinigen. „IBM war cleverer als die vielen anderen amerikanischen Multis. Sie schuf sich ihre eigene Kultur, die so mächtig ist, dass sie alle Unterschiede zwischen Amerikanern und Europäern überspielt“, vergleicht der britische Computerexperte David Butler den EDV-Riesen mit dem Römischen Reich, das einst mit dem Status Civis Romanus seinen Bürgern und somit seinem Imperium Supranationalität verlieh. „Die Leute glauben, unsere wahre Stärke läge im Marketing. Doch das ist nicht unser Geheimnis. Unsere wahre Stärke ist die Organisation“, würdigt ein alt gedienter Mitarbeiter die Meriten seines Arbeitgebers.
Im Herbst 1982 befragte das amerikanische Wirtschaftsmagazin Fortune 6000 Manager der Neuen Welt. Das Ergebnis: Neben Hewlett-Packard votierten die Führungskräfte am häufigsten für IBM. Und ein Jahr später, 1983, stand der Koloss allein an der Top-Position.
„Die Überzeugung, dass Umsatz- und Gewinnwachstum wesentlicher Bestandteil einer göttlich verklärten Mission sein soll, ist uns Europäern nur sehr schwer zu verkaufen. Wir haben zu viele Helden wie den Hunnen Attila gesehen. Wir haben des Dritte Reich erlebt. Wir glauben nicht mehr an Missionen. Die Europäer reagieren auf so etwas mit Skepsis“, stellt Butler die überwältigende Anziehungskraft der IBM heraus, die es grandios verstand, dieses geschichtlich gewachsene Misstrauen zu überwinden.
Dieser Firma gelang es, aus einer Geschäftsphilosophie so etwas wie eine Religion zu entwickeln, die dereins von Firmengründer Thomas J. Watson gepredigt wurde. Selbst der Intellektuelle John R. Opel, IBMs heutiger Topmanager, meint: „Ich habe die absolute Überzeugung, dass unser Glaubensbekenntnis, unsere Verpflichtung gegenüber unserem Glaubensbekenntnis, unsere Ethik einen Imperativ darstellt. Man kann alles ändern, nur das nicht.“[1]
Und der deutsche Technologieexperte Dr. Karl Schlagenhauf, Geschäftsführer des Instituts für Angewandte Organisationsforschung in Karlsruhe, vergleicht den Koloss mit der katholischen Kirche. „IBM ist multinational und hierarchisch organisiert. Sie hat sich eine eigene Sprache gegeben, eigene Lebensregeln, eine eigene Uniform, und sie hat die Ohrenbeichte eingeführt.
In der Tat hat kaum ein anderes Unternehmen ein derart inniges Verhältnis zu seinen Kunden wie Mother Blue, wie die Amerikaner den Marktführer wegen seiner jahrzehntelang gepflegten Vorliebe für diese uniforme Farbe – vom Computer bis zum Anzug der Vertriebsbeauftragten – nennen. (Heute wird IBM aber auch gerne als der „Graue Riese“ apostrophiert, nachdem das Firmenlogo in dieser Farbe gestrichen wurde. Hellgrau sind auch viele Rechner und dunkelgrau die Anzüge.)
Viele Kunden verstehen sich als wahre Gläubige, die mit „big blue eyes“ der IBM überallhin folgen, wohin diese sie führt. Sie beichten jeden Schritt, den sie vom Pfad der Tugend (z.B. durch Bestellungen beim Mitbewerber) abgewichen sind, und hoffen auf Absolution. Sie brauchen die Gnade von Mother Blue wie das tägliche Brot.
Diese Ausstrahlung auf ihre Kunden bezieht IBM aus ihrer unerschöpflichen Kraft, Mitarbeiter zu fesseln und für eine große Sache zu gewinnen.
Wenngleich heute mitunter die Faszination der sechziger Jahre vor allem unter den Vertriebsbeauftragten ein wenig abgeklungen ist, so funktioniert die Identifikation der Mitarbeiter mit diesem hochkapitalistischen Unternehmen nach wie vor selbst dort, wo man es in anderen Firmen am wenigsten erwartet: bei den gewerblichen Mitarbeitern.
„Wenn Sie daran zwqeifeln, dass es der IBM nicht gelungen sei, europäische Manager und Arbeiter unter ihrer transnationalen Kultur zu vereinen, so mag Sie vielleicht folgendes Faktum überzeugen. In Greenock, Großbritannien, hat es in der dortigen IBM-Fabrik noch niemals einen Streik gegeben. Dabei handelt es sich hier um eines der schwierigsten Notstandsgebiete der Insel“, erläutert der Brite Butler.
Greenock gewann sogar 1982 die IBM-interne Ausschreibung für die Produktion des Personal Computers (PC) in Europa, der im Januar 1983 auf dem Alten kontinent angekündigt worden war. Es ist eines der wichtigsten Produkte, das mit dazu beitragen soll, dass IBM in dieser Dekade die Umsatzgrenze von 100 Milliarden Dollar überschreiten wird. „Wir werden in den achtziger Jahren durchschnittlich um 20 Prozent wachsen“, prophezeite John Opel, Chief Executive Officer der IBM, anlässlich der Ankündigung des Personal Computers in den USA im August 1981.
In der verbleibenden Zeit dieses Jahrtausends hat IBMs Run auf die Supermärkte der nahen Zukunft begonnen. Sie geht dabei bestens gerüstet in die Schlacht.

[1] Financial Times, December 31, 1983: „Beliefs are imperatives“


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