Doch der Computergigant weiß, dass durch die Verschmelzung von Datenverarbeitung und Nachrichtentechnik ein Supermarkt der Erwartungen entsteht, den er allein nicht mehr erfüllen kann. Deshalb sucht er die Kooperation auf allen Ebenen:
"IBM bedient sich derzeit mit aller Macht externer Ressourcen, um innerhalb der nächsten fünf Jahre die Kontrolle über sämtliche neue Wachstumsmärkte zu erlangen, in denen sie bislang unterrepräsentiert ist", meinte David N. Martin, Präsident von National Advanced Systems, im Oktober 1983 gegenüber der Düsseldorfer "Wirtschaftswoche". "Sie sucht dabei jede Form der Zusammenarbeit, auf technologischem Gebiet ebenso wie im Marketing."
Dieser Wille zur Kooperation ist so stark, dass IBM sogar bereit ist, ihre normative Kraft auch einmal losgelöst von direkten, wirtschaftlichen Zielen kooperativ einzusetzen.
So formierte sich in den USA im April 1984 auf Anregung des amerikanischen Wirtschaftsministers Malcolm Baldrige ein Gremium von 15 Firmen, das auf freiwilliger Basis Standards für eine offene Computerkommunikation festlegen will. Neben Hewlett-Packard, Digital Equipment, Honeywell Informations Systems und NCR wirkt IBM mit an diesem Projekt, das genau dieselben Ziele verfolgt wie das Gespann der zwölf europäischen Firmen: die Verwirklichung des OSI-Modells der International Standardization Organisation. Zwar hält IBM diese Bemühungen insgeheim für "ideaistisch", doch sie konnte sich kaum dem Aufruf des Politikers entziehen: "Dies ist ein wichtiger Schritt in Richtung Computerkompatibilität. Große und kleine Firmen sind daran beteiligt. Dies lässt vermuten, dass die Zusammenarbeit zwischen Industrie und Regierung im vollen Umfang funktioniert, besonders auf den Gebieten der Hochtechnologien, die enorme Bedeutung für die Weltwirtschaft haben. (2)
Und unter dem Namen T-Link stellte BR Merlin, ein für den Bereich "Büroautomation" zuständiges Tochterunternehmen von British Telecom, einen Kommunikationsstandard vor, auf dessen Basis Personal Computer unterschiedlichster Hersteller miteinander verbunden werden können- Dieses Protokoll wird unter anderem unterstützt von ICL, Apple - und IBM. (3)
Dass IBM ihre Rolle als treibende und auch vereinigende Kraft begriffen hat, zeigt ihre Bereitschaft, sich an dem von der Europäischen Gemeinschaft initiierten Forschungsprojekt E.S.P.R.I.T. (European Strategic Project for Research in Information Technologies) zu beteiligen, das den Technologieherstellern der Alten Welt mit 1,3 Milliarden Dollar EG- und Privatgeldern den Weg in die Zukunft ebnen soll. (4) Ende Juli 1984 stimmte die EG-Kommission, die selbst die Beteiligung IBMs gewünscht haben soll, dem Ansinnen des Amerikaners zu und erlaubte der IBM - neben ITT - als den beiden einzigen Nicht-Europäern die Teilnahme an den langsam anlaufenden Forschungs-Projekten.
Doch dieser Wunsch stößt bei der Mehrzahl der beteiligten Europäern keineswegs auf Gegenliebe. Denn die EG-Kommission befindet sich damit im Widerspruch zu den ursprünglichen ESPRIT-Ambitionen.
Ziel des Forschungsprojektes war es bislang - laut EG-Kommission - "für die grundlegenden Technologien zu sorgen, die die europäische Industrie benötigt, um im Wettbewerb mit der japanischen und amerikanischen Industrie bestehen zu können." Hersteller mit europäischer Abstammung sollten im Bereich der Elektronik, Informatik und Telekommunikation bis 1989 an diversen Gemeinschaftsprojekten Grundlagenforschung im vorwettbewerblichen Bereich betreiben. Strittig war nun, ob IBM Europa mit ihren 100.000 europäischen Mitarbeitern, ihren 26 Fertigungsstätten auf dem Alten Kontinent, ihren zehn Milliarden Dollar Umsatz, ihrer Steuermilliarde, ihrem europäischen Management nun ein amerikanisches Unternehmen ist oder nicht.
Anfangs war IBM ausgeschlossen gewesen, durfte auch nicht an den Voruntersuchungen für ESPRIT teilnehmen. Trotz seiner 100 000 in Europa beschäftigten Mitarbeiter galt der Gigant nach wie vor als amerikanisches Unternehmen. Doch es war sehr bald fraglich, ob in der EG nicht mit zweierlei Maß gemessen werde, wenn IBM ausgesperrt bliebe: Denn die ESPRIT-Teilnehmer hatten längst zarte Bande mit dem außereuropäischen Ausland geknüpft:
- Philips kooperiert mit AT&T,
- AT&T ist Großaktionär bei Olivetti,
- Siemens arbeitet mit Fujitsu und IBM zusammen,
- ICL Ist liiert mit Fujitsu, AT&T und dem kanadischen Telefonbauer Mitel,
- der französische Staatsbetrieb Compagnie des Machines Bull ist nach wie vor mit seinem früheren Hauptaktionär Honeywell verbunden und schloss über ihn einen Vertrag mit Nippon Electric Corp. (NEC) über die Lieferung von Supercomputern,
- das italienische Telefonmonopol STET verhandelt mit IBM über eine Zusammenarbeit.
Fremdbestimmt durch ihre außereuropäischen Kooperationen sind somit auch die drei Teilhaber eines Gemeinschaftslaboratoriums auf dem Gebiet "Expertensysteme", das die drei europäischen Firmen ICL, Siemens und Compagnie des Machines Bull 1983 gründeten. Eine rein europäiche Lösung ist längst nirgends mehr in Sicht.
Lästert ein Branchenkenner: "Viele europäischen Hersteller leben längst in Bigamie mit japanischen udn amerikanischen Herstellern. Das hindert sie aber nicht daran, Moral zu predigen. Das sind doch Pharisäer."
Mit der Teilnahme IBMs am ESPRIT-Projekt ist der Computerriese voll in Europa integriert. Und das ist gut so. Denn man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass IBM eines der ganz wenigen multinationalen Unternehmen der Welt ist, dass die moralische Kraft zu einer ehrlichen und langfristig angelegten Zusammenarbeit mit einer Vielzahl von Unternehmungen der unterschiedlichsten Art und Herkunft besitzt. Die Europäer können davon nur lernen. Statt gegen IBM zu lamentieren, sollten die Wettbewerber die ausgestreckte Hand des Multis annehmen und dessen Verantwortungsbewusstsein für diese Branche dort testen, wo man allein IBMs guten Willen testen kann: in der Kooperation.
Versagt IBM allerdings, dann ist es an der Zeit, dass sich alle Gerichte dieser Welt zusammentun und die Zerschlagung des Konterns beschließen.
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